07 Jan.

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 151

Europa am Vorabend großer Entscheidungen.

Es ist Herbst. Warm immer noch die Luft, hell die Nachmittagssonne. Europa steht oben im Palast des Minos zwischen zwei Säulen und lässt ihren Blick sehnsüchtig übers Meer gleiten. Dunst lässt den Horizont milchig verschwimmen. Wenn doch nur endlich ein Bote heimkehrte! Jeden Morgen betet sie in aller Frühe im Tempel der großen Göttin:

„Omana, Omana, Omana! Schick mir einen Traum oder lass bald einen Boten zurückkehren! Seit Jahren warten wir hier auf ein Lebenszeichen unserer Priesterinnen, die wir in deinem Namen in alle Welt geschickt hatten, die Botschaft vom Glück zu verkünden. Du hast es so gewollt, wir haben dir gehorcht. Was ist aus ihnen geworden?“

Und wenn Europa dann mit geschlossenen Augen dasteht und auf Antwort wartet, dringt nur das Geräusch des Flatterns der Vögel oben im Gesims zu ihr herab. Sonst nichts.

Ihre Söhne sind gewachsen in all den Jahren. Junge Männer jetzt. Archaikos ist alt geworden. Er liegt im Sterben. Jeden Tag kniet sie an seinem Lager, kühlt ihm die heiße Stirn, spricht auf ihn ein:

„Mein geliebter Mann, Minos, Vater unserer Söhne, du musst dem Rat der Alten deinen Willen verkünden. Die Nachfolge muss unbedingt geregelt werden.“

Aber Archaikos scheint es nicht hören zu wollen. Er schweigt, atmet schwer, öffnet seine Augen nicht, hält aber auch ihre Hand fest in der seinen. Was soll nur werden? Seufzend erhebt sie sich. Vielleicht kommt ja heute ein Bote, der wenigstens von einer der Priesterinnen berichten kann. Als sie durch die langen, düsteren Gänge eilt, kommt ihr ein Wächter entgegen. Er verbeugt sich hastig, will seine Botschaft möglichst schnell los werden:

„Herrin! Collschades schickt mich. Er wird den Rat einberufen. Die alten Ratsherren wollen nicht länger im Ungewissen bleiben. Sie wünschen deine Anwesenheit dabei.“

Und noch bevor Europa ihm danken kann, hat er sich wieder verbeugt und ist davon geeilt.

Ich muss mit meinen Söhnen reden. Es darf jetzt keinen Streit, keinen Machtkampf geben. Wie Pfeile fliegen die Gedanken durch ihren Kopf, sie kann ihnen kaum folgen. Was plant dieser Collchades hinter ihrem Rücken?

Als ihr die Wächter vor ihren Gemächern das Tor öffnen, hört sie schon die lauten Stimmen ihrer Zwillinge. Was geht da vor? Warum streiten sie?

07 Jan.

Europa – Meditation # 371

Nicht kleckern, sondern klotzen!

Und wieder diese besorgten Mienen vor laufenden Kameras in Berlin, in Düsseldorf, in Bad-Godesberg: „Die jungen Straftäter müssen mit aller Strenge den Arm der Justiz zu spüren bekommen, in aller Strenge…“ Und natürlich möchte man dabei keineswegs rassistisch rüber kommen, klar. Aber diese immer jüngeren Straftäter gilt es in ihre Schranken zu weisen. Fast schon ein öffentliches Ritual, was da leerläuft.

Warum gehen die Politikerinnen nicht den Ursachen nach?

Warum wird nicht endlich an der Basis etwas grundlegend geändert?

Warum nur?

Und wieder ein großer Artikel in der Wochenendausgabe der SZ zum gleichen Thema: Die Hauptschulen und Gesamtschulen werden selbstredend als grundlegend reformbedürftig beschrieben, selbstverständlich weiß man, dass die Digitalisierung der Schulen im Gymnasium hängen bleibt, dass alle Veränderungsansätze entweder im Sand verlaufen oder eben nur bei denen ankommen, die sowieso massiv privilegiert sind.

Fast könnte man von „fundamentalistischen Bildies“sprechen, die knallhart beim Sieben keine Gnade kennen, die weiter perspektivlose Schulabbrecher kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen, aber nicht bereit sind, massiv Geld in die Hand zu nehmen und es da zu investieren, wo es am nötigsten gebraucht wird: in den Hauptschulen, in den Gesamtschulen – oder viel besser: in einem völlig neuen Schulsystem mit jungen Pädagogen, die kleine Gruppen unterrichtend begleiten können (Finnland und Kanada machen das seit vielen Jahren nun schon erfolgreich vor) – jenseits eines unbarmherzigen Dreiklassensystem, das automatisch siebt und selektiert, bis die besten herausgefiltert sind und die Gelder verpulvert.

Der Rest muss dann von Justiz, Polizei und JVAs verwaltet und weggesperrt werden. Die haben es ja nicht anders gewollt. Alle versammeln sich solidarisch hinter der starken Hand des Staates, der eitel und selbstgerecht sein Gewaltmonopol zelebriert. Wie fundamentalistisch ist das denn? Und wie teuer?? Oh, diese besorgten Mienen, oh wie heuchlerisch sind die doch!

Wäre es da nicht viel günstiger, den gesamten Begabungshorizont eines Jahrgangs systematisch abzugrasen und gleichmäßig in kleinen Parzellen zu pflegen und zu fördern, auf dass möglichst alle Begabungen entdeckt, gefördert und gewinnbringend in die Gesellschaft integriert werden können? Es würde so viel weniger junge Straftäter geben! Alle wissen es!

Wie oft muss es noch gesagt werden?

Wie lange noch dürfen diese „fundamentalistischen Bildies“ ihren selbstgerechten Sermon absondern – eher wir sie endlich auslachen? Vor lauter Rüstungseuphorie, Bündnistreue und Energiesparhysterie geht den abgelenkten Konsumenten in ihren Werbespots und Sport-Events immer mehr der Blick für das längst Notwendigste verloren:

Mindestens genauso viel in die Grund- und Hauptschule zu investieren wie in Bundeswehr und Energievorsorge – denn sonst werden uns bald nicht nur Pflegekräfte, Lehrerinnen und Lok-Führer fehlen, sondern auch Polizisten, Sozialarbeiter und Gefängniswärter.

Also: nicht kleckern, sondern klotzen.

Es wäre d i e Z e i t e n w e n d e , die uns wieder optimistisch in die Zukunft blicken lassen würde.

06 Jan.

YRRLANTH – Historischer Roman II – Blatt 165 – Leseprobe

König Chlotar zwingt seine Nebenfrau in einen bösen Plan.

Während sich Bordov mit seinem feigen Trupp auf den Weg zurück nach Lutetia macht, läuft ihm der Angstschweiß den Rücken hinunter: Der König wird toben. Dass in den Zweigen Vögel fröhlich zwitschern, ärgert ihn ziemlich. Der König wird ihn hinrichten lassen, sicher. Auch das Sonnenlicht ärgert ihn. Wie kann um ihn alles so hell und fröhlich sein? Nichts läuft so, wie es soll. Dieser junge Römer ist von keinem Baum erschlagen. Der König wird dabei böse grinsen. Nur weil ich diesen jungen Römer nicht aus dem Weg geräumt habe. Am liebsten würde er das Lumpenpack, das jetzt kleinlaut hinter ihm her trottet, einen nach dem anderen hängen lassen. Diese feigen Ratten.

Der König wartet unterdessen bereits sehr ungeduldig auf die Rückkehr seines Gefolgsmanns. Auf Bordov ist Verlass, denkt er zufrieden. Er liegt gerade mit Aemihilth auf weichem Bärenfell. Dem Sklaven hat er befohlen, niemanden vorzulassen, niemanden. Während er ihre warme, weiche Haut lüstern streichelt und sie wohlig dazu heftig atmet, ist er in einem seiner Lieblingstagträumen unterwegs: Mit den Einnahmen aus den großen Gütern dieses Römers am Liger wird er neue Söldner bezahlen können. Mit denen wird er sich nicht nur Burgund, nein, den gesamten Süden einverleiben. Da kommt ihm eine glänzende Idee:

„Aemihilth, geiles Weib, wie würde es dir gefallen“, und dabei fährt er ihr mit seiner Hand zwischen die gespreizten Beine, „die nächste Königin zu werden?“

Aemihilth hält den Atem an. Sie ist doppelt erregt. Diese Hand, sie soll unbedingt weiter machen, unbedingt. Und Königin werden? Unbedingt. Aber wie? Da hört sie ihn die Antwort in ihr Ohr stöhnen:

„Zweimal müsstest du mir nur einen kleinen Gefallen tun.“

„Was für einen Gefallen, mein König?“

„Der Königin im Schlaf etwas ins Ohr träufeln, sonst nichts.“

Aemihilth zittert. Ist es die Wollust oder ist es die Angst? Sie weiß es nicht. Aber sie will unbedingt Königin werden. Sie nickt und strahlt ihn dabei an.

„Und der zweite Gefallen?“

„Oh, du bist aber schnell, mein Vögelchen. Das ist eine etwas längere Geschichte.“

Und dann beginnt Chlotar ihr ausführlich von der Villa Marcellina zu erzählen. Von diesem Römer Marcellus und seinem Sohn Julianus. Sie soll sich an den Alten ran machen, ihn aushorchen und dann bei Gelegenheit

ihm ebenfalls etwas ins Ohr träufeln, wonach er nie mehr aufwachen wird. Sie hat sich inzwischen auf ihn gerollt, richtet sich nun auf und lässt ihn in sich eindringen. Wild stoßen sie sich ächzend in einen wüsten Orgasmus. Beide liegen schweißgebadet nun nebeneinander. Beide sind zufrieden mit sich. Beide glauben, ihren Träumen einen Schritt näher gekommen zu sein.

Der König ist eingeschlafen, schnarcht. Aemihilth kann es nicht fassen. Nur zwei kleine Gefallen ist sie noch vom Thron entfernt. Wie leicht es doch ist.

Chlotar ist traumlos in tiefen Schlaf gesunken. Seine Nebenfrau betrachtet ihn lüstern im Dämmerlicht. Ich werde ihn besiegen, er wird mein Sklave sein. Nur zwei kleine Gefallen muss ich ihm noch tun, nur zwei.

Als er später aufwacht, fällt sein Blick auf die nackte Frau neben ihm. Sie stellt sich schlafend. Gleich fällt er wieder über sie her. Sie duldet es, weil sie weiß, dass er schon bald ganz von ihr abhängig sein wird.

Da pocht es an der Tür des Schlafgemachs des Königs. Sein Sklave hatte den Auftrag, ab Mittag wieder Bittsteller vorzulassen.

„Was denn, was denn?“ knurrt der König, „habe ich dir nicht gesagt…“

„Es ist weit über Mittag, mein König!“ ruft sein Sklave von der anderen Seite der geschlossenen Tür. Weit über Mittag? Chlotar kann es nicht fassen. Dieses Weib, sie raubt mir die Zeit. Am liebsten würde er sie gleich wegschicken, für immer. Aber er braucht sie noch. Also reißt er sich zusammen, steigt brummend in seinen Kleider, weist Aemihilth zur hinteren Tür hinaus und öffnet die Haupttür.

„Was gibt es denn so Wichtiges?“ schnauzt er seinen Sklaven an. Der verbeugt sich ängstlich und meldet dann:

„Euer Gefolgsmann Bordov bittet um dringende Audienz!“

Bordov? Hat er schon umgesetzt, was ich angedeutet habe? Das wäre ja wunderbar, geht es dem König durch den Kopf. Wohlwollend grinsend antwortet er darauf seinem Sklaven:

„Schon gut, schon gut. Du bist ein guter Sklave, Wynibolth. Er soll kommen.“

Wynibolth verbeugt sich erleichtert und verschwindet Richtung Vorhaushalle.

Chlotar glaubt, dass seit seiner Taufe die Dinge viel besser laufen als vorher. Dieser Christengott scheint einen Narren an ihm gefressen zu haben. Wenn das so weiter geht, bin ich bald schon Herr über das gesamte ehemalige Gallien, denkt er selbstzufrieden. Und seine Nebenfrau träumt schon von seinem baldigen Ende.