22 Feb.

Europa – Meditation # 379

„Der russische Präsident glaubt, dass er die Ukraine in die

Unterwerfung prügeln kann“

Diese Zitat aus der SZ vom Wochenende (s. S. 4) lässt nur allzu deutlich werden, wie sehr wir Europäer nach wie vor gefangen sind in einer Bilderwelt, die gekennzeichnet ist von dem Ladenhüter:

„Männer machen Geschichte“

Wie fragt doch in dem wohlbekannten Gedicht von Bertolt Brecht der lesenden Arbeiter:

„Cäsar eroberte Gallien; hatte er wenigstens einen Koch bei sich…?“

Als Bildungsbürger, die wir‘s sind, kennen wir natürlich solche Zitate, klar. Aber dennoch sind die Bildungsbürger, die in den Medien Tag für Tag neue Artikel zum Krieg und den bestens vertrauten Krisen schreiben, in einer Sprache eingesperrt, die den Blick zu einem Tunnelblick erstarren lässt, weil ein Machtmensch in Moskau scheinbar alle Schalthebel selbst bedient. Nach der Trump-Episode nun die Putin-Legende: als wären diese Männlein wie Meteore vom Himmel gefallen und hätten um sich herum verbrannte Erde erzeugt – denn da ist scheinbar sonst niemand mehr, der fleißig mit am Kriegsrat dreht.

Dabei ist der ehemalige KGBler bestens vernetzt mit seinesgleichen, die alle von dem Kriegsprojekt profitieren. Sei es der nächste Karriereschritt, sei es die Revanche an einem Kollegen, sei es die Unterdrückung ihrer Frauen, die unverbesserlich einfach weiter mehr am Leben zu hängen scheinen als am Töten.

Je breiter man aber die Lage verorten würde, umso eher böten sich sicher Ansätze für jetzt noch schweigende Kriegsgegner – hüben wie drüben – die genauso zu Wort kommen sollten wie die scheinbar „alternativlosen“ Befürworter des Weiterführens dieses Zerstörungsfurors.

Jedenfallls ist die Einzahl in der Überschrift der Medien jeden Morgen in Sachen Kriegsberichtserstattung ein geradezu kindlicher Vereinfacher, der in letzter Konsequenz sicher auch die Beseitigung eines Einzelnen als Erfolg versprechend erscheinen lassen könnte. Was dann wirklich die Naivität solcher Beschreibungen der Kriegssituation nicht zu überbieten vermöchte.

(„Der junge Alexander eroberte Indien. Er allein?“)

18 Feb.

Europa – Meditation # 378

Wenn Narren Narren treiben.

Nie geht es nur darum, den Winter auszutreiben. Nie. Immer geht es auch darum, die eigenen Ängste vor sich herzutreiben. Wenigstens für einen Augenblick loszulassen, sich frei zu fühlen, wenn auch hinter einer Maske. Oder gerade hinter einer Maske. Denn da kann jeder so richtig loslassen, sich so richtig gehen lassen. Befreien. Wenigstens für einen Moment.

In diesen Tagen – ähnlich wie vor achtzig Jahren etwa (also gestern!) – ist das Narrentreiben besonders schrill. Denn zur Abwechslung werden nicht nur die bösen Geister vertrieben, nein, zur Abwechselung werden nun auch mal wieder die Narren selbst vor den Narren her getrieben – so ähnlich wie in Rottweil beim Narrensprung – diesmal treibt man den drolligen Bären vor sich her und fühlt sich dabei super stark – die Droge Angst tut genauso wie die Droge Alkohol ihren freiwilligen Dienst als wäre alles nur ein Albtraum oder bloße Einbildung. Am Aschermittwoch ist ja immer noch Zeit genug sich selbst in den Rücken zu fallen beim widerlichen Aufwachen aus Kater schwerem Unbehagen.

Aber jetzt – nach sage und schreibe drei Jahren! Drei Jahren! Verzicht – ist es nun wirklich höchste Zeit, dem Feind in sich selbst und im eisigen Osten den Garaus zu machen. Wirklich.

Dass sich die Narren dabei nur immer tiefer und tiefer in ihrer eigenen Narrheit verrennen, kann ihnen zum Glück ja gar nicht mehr bewusst werden. Denn der Dauer-Pixel-Sturm hat die Augen – und die Gehirne sowieso – längst nachhaltig so benebelt, dass alles die Anmutung von Filmvorführung, von Serien und Staffeln zu haben scheint.

Wie sollte man auch sonst noch die Dauer-Beschallung von Krisenmodi allenthalben aushalten können? Wie denn?

Wenn die Narren dann auch noch von Mutter Erde zum Narren gehalten werden: Sie kann es einfach nicht lassen und bebt mal wieder vor Zorn über dieses selbstgefällige, blindwütige Wachstums-Narren-Getue, das die Narren mit scheinbarem Goldregen garnieren.

So glauben sie dann gerne, dass sie reicher und reicher werden, wo doch ihre Armut nur noch immer unübersehbarer wird. Im wirklichen wie im übertragenen Sinne.

Diese Narren aber auch.

Und der Aschermittwoch wird einfach abgeschafft. Inoffiziell, versteht sich. Wir wären doch die reinsten Narren, wenn wir uns von diesen Untergangschören narren ließen!

15 Feb.

Europa – Meditation # 377

„Als Staat ist das ehemalige Königreich Preußen längst erloschen,

doch sein Erbe bleibt. Wie wir mit ihm umgehen, sagt viel über unser

Selbstverständnis und Geschichtsbewusstsein.“

(aus: General-Anzeiger – JOURNAL / Samstag/Sonntag 11./12. Februar 2023/S. 1

von Thomas Kliemann)

Seit einem Jahr beherrscht wieder das Thema „Krieg in Europa“ die Medien. Tag für Tag werden die Zuschauer in Europa überreich mit Bildern, Nachrichten, Interviews versorgt, die ordentlich mithelfen, dass „WIR“ uns daran gewöhnen, dass das, was gerade ist – neben Sport, Erdbeben und Inflationsrate (von Inzidenzen ist von einem auf den anderen Tag keine Rede mehr!) – normaler Alltag zu sein hat. Die Wiederholungsschleifen helfen dauerhaft beim Betonieren des Bildes, das zur gewaltsam aufgerichteten Panzerwand mutiert scheint und dass nur mit Gewalt wieder eingerissen werden kann. Das dauert eben.

Leid, Angst und Schrecken. Nicht nur in den Erdbebengebieten, nein, auch in den östlichen Landstrichen der Ukraine – und nicht nur da.

Gleichzeitig läuft in Mitteleuropa mal wieder ein Narrativ an, das scheinbar nichts mit dem aktuellen zu tun hat: (oder doch?) Das nachträgliche Korrigieren von Gewesenem, wie es in Namen erinnert wird: Bismarck, Schmitt, Stöcker, Deutsches Reich, Preußen…, in dem man gewohnte Namen aus der eigenen Geschichte ausradiert, weil sie mit Gewalt, Unterdrückung und autoritären Strukturen verbandelt sind. Aufrechte Demokraten fegen ungute Erinnerungen aus ihrem sauberen Haus, in dem moralische Ansprüche bis in die Straßennamen hinein reinen Tisch schaffen. Als könnte man auf diese Weise das Erinnern, bzw. das Gewesene in den Keller verbannen, wo es keinen Schaden mehr anrichten wird.

Auf solche Ideen können wohl nur Mitteleuropäer kommen, die durch ihre eigene Geschichte immer wieder zwischen die Räder kamen, zwischen Ost und West, zwischen fortschrittlichem und beharrendem Denken, zwischen Gewaltbereitschaft und Pazifismus. Neutralität war da fast immer ein Begriff, der einem das Fürchten lehren sollte. Nun sollen endgültig die „guten Namen“ ist Töpfchen und die schlechten ins Kröpfchen. Die Jury ist selbstverständlich über jeden Verdacht von Parteilichkeit erhaben.

Wäre es nicht angebrachter, statt auszusortieren einfach zu erklären, was mit welchem Namen verbunden ist und wie wir als Zeitgenossen die früheren Generationen zu sehen gelernt haben und wie sich dieses Wissen mit dem eigenen Wissen von Generation zu Generation wandelt, weitet, wächst oder schrumpft? Weil wir Europäer immer Teil der Geschichte bleiben werden, die wir in den letzten zweitausend Jahren uns selbst und der restlichen Welt zugemutet haben? Weil daraus nicht nur unsere Begriffe, unsere Bilder und Monumente, sondern auch unsere Werte und ihr Wandel entstanden sind, sondern auch deren Überschreibungen, Verschönerungen und Weglassungen und im Erzählen bildreich haben explodieren lassen – zu Überwältigungsfresken oder sogenannten Ewigkeitsmustern, an denen wir uns fleißig abarbeiten sollten?

Dann werden wir Europäer vielleicht auch ein wenig behutsamer mit dem neuen bellizistischen Feuerwerksgerede im Angesicht des Krieges in der Ukraine umgehen.