05 Jul

Europa – Meditation # 456

Zwei völlig artfremde Überforderungen des Homo Sapiens sapiens. (Teil 1)

Natürlich könnte man in Dauerschleife dieses sapiens, sapiens, sapiens („weise, weise, weise!“) zu einem beschwörenden Raunen jedem Haushalt frei Haus als Gott der Wiederholung einspeisen, damit er – Goebbels hatte es in den USA als Werbe-Axiom zu bewundern und zu kopieren gelernt – leichter daran glauben kann. Doch die Ergebnisse seiner Weisheiten – Fließbandproduktion und Überschall-Passagier-Flugzeuge blenden nur mit Menge oder mit Geschwindigkeit, nicht aber schuf er sich Sinnfülle damit, nach der er sich so sehnt.

Damit nun aber diese verfehlten Anstrengungen nicht als verfehlt betrachtet werden müssen, badet der homo sapiens sapiens nachhaltig in Unterhaltungsformaten, die ihm beim Selbstbetrug schön trösten sollen. Das tun sie auch nach Kräften. Bestes Beispiel: der derzeitige Sommer. EM, Olympia, Tour de France und Wimbledon dürfen sich Tag und Nacht ordentlich wichtig tun. Denn untröstlich könnte er gleichzeitig genauso werden. Beste Beispiele: Der Plastikmüll in den Meeren, die schmilzenden Gletscher, die riesige Schere im Portemonnaie der wenigen Gewinner (von Rheinmetall wollen wir lieber schweigen) und der allzu vielen Verlierer weltweit (das gestrige Wahlergebnis in Großbritannien könnte sicher gut als Beispiel dafür dienen), die zunehmende Abfolge von Überschwemmungen und Waldbränden. Die Liste ließe sich leicht verlängern. Aber wie gesagt: Mengen und Geschwindigkeiten sind eher Pappkameraden als wirkliche Zuwächse an Lebensqualität. Doch wie vom Trampel aus Amerika wird auch hierzulande von verbindlicheren Schreihälsen die frohe Botschaft verkündet: alles nicht so schlimm und schuld sind sowie so die „Grünen“. Beinahe wären den Besserwissern doch glatt das Feindbild abhanden gekommen, nachdem das kommunistische Konzept krachend baden gegangen war. Aber die „Grünen“ genügen ihnen als Platzhalter des Bösen.

Gleichzeitig haben kriegerische Gewalt und männliche Übergriffigkeit, um es einmal euphemistisch zu umschreiben, nichts von ihrer uralten Gefühlskälte verloren. Dass dann auch noch spitzfindige Paragraphenhengste Priester aus dem Rennen nehmen können, sie sind ja wie alle Arbeitnehmer nur von morgens sieben bis abends fünf im Job(!), lässt sicher viele Täter klammheimlich bösartig grinsen. Die Triebe lassen sich einfach nicht unter Kontrolle bringen, da ist es nur günstig, weiter im Patriarchat vor sich hin zu dümpeln, drüber eine zuckrige Lasur von zivilisatorischer Wohlanständigkeit gelegt. Allein schon das allmähliche Verschwinden jedweder Verbindlichkeit im öffentlichen Raum macht dagegen allzu deutlich klar, dass die soziale Seite des homo sapiens sapiens mehr und mehr zu einer bloßen Plakatwand schrumpft – als wären wir alle auf einem launigen Segeltörn à la Truman Show; es dauert nicht mehr lange, bis wir gegen die Wand knallen und unliebsam aus unserem frustrierenden Konsumschlaf erwachen.

Sinnvoller wäre es allemal aber, schon jetzt die großen Mengen an Gütern und die Beschleunigungseuphorien wie von gestern aussehen zu lassen. Denn für morgen wird eh nur noch die kleine Menge und das Fahrrad – ohne Elektromotor natürlich – eine Perspektive des globalen Überlebens sein. Und dass der „Rufer in der Wüste“ natürlich ausgelacht wird, versteht sich von selbst. Leider hört sich dieses Lachen aber nur wie ein grässliches Krächzen an, das von der eigenen Ratlosigkeit mit viel Lärm ablenken soll, denn der homo sapiens sapiens ist mit seinen bisherigen Mustern – amazonisch-globale Sofortmengen im Höchstbeschleunigungsformat – am Ende mit seinem Latein.

28 Jun

Europa – Meditation # 455

Die Quadratur des Kreises: Gefühle in Worte fassen.

Wenn es eng wird beim politischen Palaver, neigen Sprecher wie Zuhörer dazu, von den Inhalten auf die Form auszuweichen. Neues Beispiel: Die TV-Debatte zwischen Biden und Trump. Denn die inhaltlichen Punkte, die Biden ansprach, hätten längst ausgereicht, den Kontrahenten noch älter aussehen zu lassen, als er ist, weil dessen Lügen, Prozesse und Schmieraffären eines Präsidentschaftskandidaten einfach nicht würdig sind. Doch die Aussetzer, Pausen, Abbrüche und Versprecher des ehrenwerten anderen Kandidaten überlagerten massiv die Inhalte, die er sachlich vorzutragen versuchte; so konnten die Gegner schmunzelnd der Selbstdemontage Bidens beiwohnen, ohne die Untiefen des eigenen Kandidaten entlarvt zu sehen. Wie praktisch, denn wie beim Fieberthermometer wurden sofort die Zahlen für Trump in die Höhe getrieben, denn die Zahlen haben außer ihrem Zahlenwert keinen weiteren. Der Hintergrund dieser Fieberkurve allerdings müsste jedem halbwegs klar denkenden Bürger eine massiv abwärts gerichtete Kurve präsentieren. Tut sie aber nicht. Denn es sind die Gefühle, die in jedem Duell gewinnen, nicht die kühlen Argumente.

Nehmen wir erst einmal zwei Gefühlsmeere Europas: Die mit dem Rhein mittendrin und die mit der Loire. Wie verwandt doch die Gefühlswelten, bzw. Untiefen in beiden trüben Gewässern sind: beide wabern in einem selbstmitleidigen Wutfuror gegen die da oben, gegen die sogenannten besseren Kreisen, die ihre Uneinsichtigkeit mit Bildung zukleistern, gegen die Geldfüchse, gegen die Politi-Profis, die in Dauerschleife den Satz „dafür brauche man eben Expertise“ absondern, um sich unliebsamen Fragen scheinbar elegant zu entziehen, und natürlich gegen die big player der Börse wie der Schwerindustrie. Und um denen ein Ende zu bereiten, sollen ruhig mal die bis dahin als nicht regierungsfähig verteufelten Rechten nach dem Rechten sehen. Schlimmer kann es sowie so nicht kommen, sagen die frustrierten, abgehängten Bürger in der Lausitz genauso wie in den Hauts-de-France. Sie fühlen sich sowas von abgehängt und nicht mehr wertgeschätzt, so gedemüdigt und abgefertigt, dass sie sich nun wie auf dem Rücken einer Tsunami-Welle fühlen, die es endlich denen, die kein Interesse an ihren Sorgen haben, zeigen wird.

Aber auch diejenigen, die im letzten Jahrhundert von Europa nach Übersee ausgewandert waren, scheinen in verwandtem Fahrwasser zu dümpeln: Nicht nur im sogenannten Iron-Belt, nein, auch im gesamten mittleren Westen, aber auch in den Bergen und an den Küsten, überall sollen sie sich in ihre demolierten Wohnmobile verkriechen, sie sind ja selbst schuld – so das Mantra der amerikanischen Selbst-Erlösungserzählungen – und nun haben sie ja endlich einen beinharten Fürsprecher, der kein Blatt vor den Mund nimmt, das Blaue vom Himmel verspricht und der einzige ist, der sich um ihre Interessen kümmern will. Dafür spielt er elegant auf der Klaviatur der leeren Versprechungen, der probaten Feindbilder und der Halbwahrheiten, bzw. hohlen Behauptungen, die jeden Gegner ziemlich alt aussehen lassen. So kann man dann ordentlich den Lukas hauen, bis denen in Washington endlich die Luft ausgeht und der Richtige ans Ruder kommt. Dazu werden sie voller Inbrunst ihre Stimme abgeben, eine Gefühlsorgie sondergleichen – ganz ähnlich der in Europa – , die alles andere mit dem Wahltag wegwischen wird. Halleluja! Hier kommt nämlich auch noch ein religiöses Moment hinzu, das dem Gefühlsbeben zusätzlich einen doppelten Boden beschert.

Und die traditionellen Medien schauen mit ihrer rationalen Schreibe diesem Treiben zu, ohne sich klar zu machen, dass die eigentlichen Adressaten längst eine eigene Rationalität zelebrieren, die nur so von einem Feuerwerk von Glaubenssätzen für die politischen Bühne blinken, dass nicht mal mehr ein Joint nötig scheint, um sich sicher zu sein, dass man endlich auf dem richtigen Dampfer angeheuert hat.

24 Jun

Europa – Meditation # 454

Manchmal liegt in Worten Wahrheit, öfter nicht.

Die anspruchsvollen Medien hüben wie drüben empören sich jeden Tag seit Jahren über die Lügengeschichte eines ehemaligen Präsidenten und derzeitigen Favoriten auf das Amt im Weißen Haus oder über die Wortwolken aus Budapest oder vom Balkan. Das könnte beim Leser falsche Rückschlüsse auslösen: Wir durchschauen ihn, also kommt er damit auch nicht durch – oder: Wir lassen uns nicht belügen, wir stehen auf der Seite der Wahrheit. Wie naiv ist das denn? Ist es nicht absolut professionell, den Konkurrenten zu belügen, damit d e r Entscheidungen daraufhin fällt, die dem Lügner nützen? Dünnes Eis, spiegelglatt. Das ist die Sprache. Und wenn man dann noch die älteste und wirksamste rhetorische Figur ausgiebig benutzt – die Wiederholung – dann dient die Sprache jeder Botschaft unbedingt.

In Europa wird derzeit Immanuel Kant immer wieder beschworen, der ebenfalls sehr wortreich und für die meisten unverständlich scheinbar Richtiges zu sagen hat: Nutzt euren Verstand, lasst euch nicht betrügen! Doch die Lügen haben lange Beine und einen noch längeren Atem.

Die Beispiele aus der Geschichte lassen sich gar nicht alle aufzählen: Kain, Belsazer, Odysseus, Catilina, Cäsar, Cleopatra….und als einer der peinlichsten Höhepunkte der Anstreicher aus Braunau nicht zu vergessen, der wie der Trampel aus Mannahatta einfach drauflos redet, bis keiner mehr zuhört. Aber das macht rein gar nichts. Denn vor dem Spiegel sagt die raunende Stimme sowie so nichts anderes als: „Du bist der Größte! Die sind dir alle nicht gewachsen! Wir schreien sie einfach nieder! “ Und warum sind die miesen Ratten uns nicht gewachsen? Weil sie nicht glauben wollen, dass es nicht um Wahrheit geht, wenn in großen und vor allem unendlich langen Reden der Weltuntergang beschworen wird, von dem nur e i n e r die Welt retten kann, nämlich der, der am überzeugendsten zu lügen versteht.

Denn es geht dabei ja gar nicht um Wahrheiten, nein, es geht um Gefühle. Auf der einen Seite die von Minderwertigkeit, die durch Lautstärke und Flucht nach vorne verscheucht werden sollen, und auf der anderen Seite um Hass gegen die Mächtigen, die dem einfachen Mann seinen Schneid abgekauft haben, die zu Unrecht mächtig sind, die nur mit Lügen (!) und Bestechung dahin gelangt sind, wo sie jetzt zu unrecht stehen. Und der schlecht gelaunte Schreihals vorne am Mikrofon spürt und fühlt, wie sie an seinen Lippen hängen, wie sie die Worte inhalieren, wie egal es ist ihnen ist, was da an Worttiraden auf sie nieder prasselt, sie fühlen einfach, wie gut es tut, wenn der beneidete

und gehasste Goliath vom goldigen David niedergemacht wird: Soll der Böse doch unter dem Berg an Worten ersticken, wir trampeln das ganze noch ordentlich fest, applaudieren und hofieren den furchtlosen Lügner, dem sie nun auch noch jede Menge Geld in den Säckel schütten, damit er die nächsten Lügen-Kampagnen auch finanzieren kann, damit „ihre eigenen Wahrheiten“ den längeren Atem haben werden.

Wie könnte man diesem Lügen-Tsunami wirkungsvoll entgegen treten?

Nicht mit Worten jedenfalls, aber mit Taten. Die bisherigen Nichtwähler müssen mobilisiert werden, deren Gefühle müssen getriggert werden. Denen müssen die Medien klar und deutlich und immer wieder vor Augen führen: Wenn ihr euch nicht entscheidet, eure Stimme abzugeben, werden die Lügenbarone und ihre jaulenden Scharen triumphieren. Wollt ihr das wirklich zulassen?