16 Jun

Europa – Meditation # 344

Das Märchen von der Demokratie

Wie stolz ist doch der „Westen“ auf seine demokratische Tradition, sein vorbildliches Gesellschaftsmodell!

Haben nicht schon „unsere“ Griechen vorgeführt, was es heißt, politisches Leben demokratisch zu gestalten?

Wirklich?

Oder war es nicht die wohlhabende Oberschicht, die unter sich ihre Führer wählte und die Beamten, die das Gemeinwesen über Steuereinnahmen auch militärisch fit hielt?

Waren nicht selbstverständlich Frauen, Zugereiste, Tagelöhner und Sklaven von jeder mitentscheidenden Teilhabe ausgenommen?

Ist dann nicht der schlanke Begriff Demokratie – Herrschaft des Volkes – bloß ein wohlklingender Euphemismus?

So viel über die Vorgeschichte dieser Herrschaftsform aus der Antike. Von Rom wollen wir sowie so lieber schweigen – da waren die machtvollen Interessen noch viel extremer ausjustiert. Von Teilhabe der Meisten keine Spur. Dann kam ja das sogenannte dunkle Mittelalter.

Gegenüber dieser Dunkelheit konnte „natürlich“ die Aufklärung und die Französische Revolution nur helleres Licht bedeuten: Ratio – ist seitdem der Zauberbegriff, mit dem wortreich und in atemberaubenden logischen Spiralen die Ungleichheit erklärt und betoniert werden konnte.

Wer waren denn die Entscheider in den 13 Kolonien in Übersee, wer die in der Nationalversammlung? Gebildete, wohlhabende oder zumindest nach dem Steuerrecht fixierbare Männer? WASPs.

Und wer blieb selbstverständlich draußen vor?

Die Frauen, die Zugereisten, die Tagelöhner, Kleinbürger und „natürlich“ auch weiterhin die Sklaven, die einfach mit Hilfe der Ratio aus der species homo sapiens als Sonderfall herausgenommen wurden – „natürlich“ auch mit dem Segen der Kirche.

Und nach der sogenannten Neuzeit kam dann noch heller und lichter strahlend die M o d e r n e – was für ein positiv konnotierter Begriff! Und „natürlich“ als ihre attraktive Schwester die D e m o k r a t i e !

Wie aber ist zu erklären, dass bei all diesem Glanz und dieser Vorbildlichkeit so viel daneben ging und geht, in diesen Demokratien? Trotz Vernunft nehmen die unvernünftigen Beschlüsse – mehrheitlich abgesegnet – von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zu. Menschen, Tiere und Natur werden ausgebeutet bis zum geht nicht mehr. In Weltkriegen werden die Kassen der Rüstungsindustrien ordentlich gefüllt, das Zerstörte in hochgelobten Aufbauprogrammen gewinnbringend ersetzt und verschlimmbessert, der Hunger, die Armut, die Demütigung von immer mehr Menschen – auch in den Demokratien – nimmt eigenartiger Weise zu statt ab.

Was für ein verlogenes System ist das denn?

Also schnell mal mit dickem Finger auf die Bösen im Osten zeigen!

14 Jun

Europa – Meditation # 343

Dienstleistungs-Mentalität – Anspruchshaltung – Egoismus.

Angesichts der bequemen Apparate, mit deren Hilfe wir uns Tag und Nacht aus den Ansprüchen anderer oder an uns selbst wegbeamen können, wird auch gerne vergessen, dass wir weder freiwillig geboren wurden, noch freiwillig sterben werden – alle gleichermaßen!

Freiwillig machen wir zuerst einmal gar nichts, außer uns unterhalten lassen.

Und dass wir von Natur aus – schon als Nesthocker ein auf die Gemeinschaft bedingungslos angewiesenes Wesen – also ein Gemeinschaftswesen sind, wird uns Tag und Nacht in Dauerschleife weggepixelt: Du bist das Wichtigste auf der Welt, du musst dich selbst verwirklichen, du musst dich gegen die Konkurrenz durchsetzen! Das ist dann gelebter Individualismus. Im Sinne des Fortschrittsgedankens die oberste Sprosse, die der homo sapiens inzwischen erreicht habe. Dabei verbirgt sich hinter dieser Individualismus-Variante nichts anderes als beim Haben Wollen möglichst vorne mitzumischen. Wenn es allerdings ans Kranksein oder gar ans Sterben geht, dann bitte aber volles Rohr beste Dienstleistung, aber hallo! Dann muss die Gemeinschaft liefern. Aber pronto.

Dabei läuft dieses Wohlstandsprogramm doch nur, wenn gleichzeitig und vorauseilend die Gemeinschaft den Rahmens des Lebens und Überlebens gemeinsam organisiert hat.

Dummerweise sind diese Gemeinschafts-Aspekte sprachlich in Mitteleuropa nachhaltig überformt von negativ konnotierten Begriffen wie Staat, Pflicht, Dienst. Was sich dahinter verbirgt, soll von allen gekauft werden können durch Steuern und Versicherungensbeiträgen. Also völlig anonym. Technik und Digitalisierung tragen inzwischen zusätzlich massiv dazu bei, dass dieser Anonymisierungsprozess ungeahnte Blüten treibt – Metaverse und die gerade zur Welt kommenden KI-Mythen sind dabei so etwas wie die Portalfiguren in eine Zukunft, in der Individualismus und ein sinnliches Leben sowie so nur noch avatar-mäßig phantasiert werden können.

So können sich die Parteien – hier vor allem die FDP und die Linke – als Anwälte der Freiwilligkeit und Hüter der individuellen Freiheit feiern lassen. Bei den Grünen ist vielleicht ein weiterer Salto Mortale denkbar – nach dem Umdenken in Sachen Rüstung, kommt ja vielleicht auch noch ein Umdenken in Sachen WIR-HÄNDLER auf einem Markt, in dem sich alle gleichermaßen verpflichtet fühlen, Schutz und Gesundheit gleichermaßen als Tätigkeitsfeld aller zu begreifen und nicht als Dienstleistung zu fordern: sollen das doch die tun, denen sonst nichts einfällt oder die gerade Zeit haben. Dann sind Mitverantwortung selbstverständlich und Egoismus und Konsum ohne Ende Auslaufmodelle.

Wehrpflicht und Zivildienst (mit dem Langeweile-Argument zerdeppert) sind verbrauchte termini technici. An ihre Stelle treten Gemeinsinn und Gemeinschaft – alle sind für alle gleichermaßen da und mitverantwortlich.

10 Jun

Europa – Meditation # 342

Schwarz/weiß oder Grautöne?

In hellen Farben malt sich der sogenannte Westen schön: „Wir verkörpern Freiheit, Unabhängigkeit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, während die „anderen“ Unfreiheit, Bevormundung und Diktatur erzwingen und der übrigen Welt überstülpen wollen. Wir sind deshalb logischerweise „die Guten“ und die anderen natürlich „die Bösen“. Zwischentöne können wir uns zur Zeit leider nicht leisten, weil die Bösen wie ein Rollkommando alles überrollen, was ihnen im Wege steht.

Wie selbstgerecht, wie pharisäisch!

Nur weil in den letzten 7 Jahrzehnten (was für eine kleine Zeitspanne!) kein Krieg in Westeuropa tobte – Irland, Baskenland, Jurassen und den Balkan wollen wir jetzt mal unerwähnt lassen (es waren ja „nur“ Geplänkel im Vergleich zum Ersten und zum Zweiten Weltkrieg!) – sind die subkutanen Gewaltfantasien und Vorurteile den Völkern im Osten und im Süden gegenüber längst nicht ausradiert oder bloß noch Vergangenheit. Im Gegenteil: Seitdem Männer den Mythos von der gewaltsamen Entführung Europas durch den listenreichen Schürzenjäger Zeus erfunden hatten, galt und gilt Gewalt gegen Frauen genauso wie Gewalt gegen „die anderen“ als geradezu selbstverständlich und natürlich. In jeder Narratio – rückblickend – immer wieder die gleichen Muster, die gleichen „Helden“ und die gleichen Opfer.

Wo ist sie denn, die Freiheit, Gleichheit und Unabhängigkeit – zum Beispiel der Frauen in den USA oder Südamerika oder Japan, von den nach wie vor ungleichen Lohnverhältnissen hierzulande ganz zu schweigen? Wo?

Warum sind nach wie vor Kindermissbrauch und häusliche Gewalt im Westen wie im Osten Gang und Gebe? Warum kommt es immer wieder zu Vergewaltigungen marodierender Soldaten?

Wie war das doch gleich noch auf dem Balkan in den 90er Jahren? Unser gnädiges Gedächtnis hat die damaligen Berichte längst gelöscht. Sie sind deshalb aber nicht ungeschehen.

Und wenn die Grünen jetzt der militärischen Verteidigung moralisierend das Wort reden, ist das nur ein weiteres Beispiel dafür, wie tief im europäischen Bewusstsein Gewalt als Mittel der „Politik“ präsent war und ist. Hat da die öffentliche Empörung bestimmter Medien und Kritiker nicht geradezu etwas Verräterisches, etwas Entlarvendes?

Und dann wird flugs der schwarze Peter an den bösen Putler weiter gereicht. Wir Europäer waschen unsere Hände in Unschuld – Lumumba lässt grüßen – und sehen uns viel lieber als die Hüter von Recht, Ordnung, Freiheit und Unabhängigkeit – machen aber gleichzeitig schnell noch neue Verträge mit undemokratischen, autoritären Regimen, um unseren schier unstillbaren Hunger nach Öl und Gas und Lithium zu stillen und pirschen uns möglichst lautlos an die Bodenschätze in der Nord-West-Passage heran, damit wir nicht von den bösen Konkurrenten aus dem Osten und dem noch

ferneren Fernen Osten ausgetrickst werden. Die wollen diese Bodenschätze doch nur für ihre Rüstungsindustrien, wir aber wollen sie selbstredend nur für friedliche, zukunftsweisende und ökologisch verträgliche Projekte in Anspruch nehmen. Was für eine Heuchelei! Sieht der Lärm um diesen Krieg in der Ukraine nicht eher nach einem üblen Wettstreit aus, wer die besseren Lügen aufzutischen weiß?