18 März

Yrrlanth – Historischer Roman – Blatt # 152 – Leseprobe

Auf der Reise zur Villa Marcellina (Teil 2)

Der erste Teil dieser eigenartigen Reisegruppe – Bischof Arnulf samt Truchseß Wilfrid, dem Hofmeister des Königs, Ernólfod, und zwölf berittenen Soldaten – ist bald weit voraus. Der Frühling meint es wohl gut mit ihnen. Warmes Sonnenlicht, weiße Wolkenfetzen am Himmel und lautes Palaver ausgelassen singender Vögel begleiten sie schon seit Stunden. Rochwyn mit seinen Getreuen und den drei Frauen und Sumila gehen es um einiges langsamer an. Die Gesundheit und Sicherheit der ihm Anvertrauten ist ihm viel wichtiger als möglichst schnell die Villa Marcellina zu erreichen.

„Wie geht es dir?“ fragt Somythall gerade Pippa, während sich die Amme mit Sumila beschäftigt. Ihr schwerfälliger Wagen rumpelt laut und knirschend über die holprigen Feldwege. Baibana und Stublanka sitzen hinter der Rückwand des Wagens auf einem harten Brett und geben sich alle Mühe, nicht herunter zu fallen und alles mitzubekommen vom Tratsch.

„Mach dir keine Sorgen, mir geht es gut“, erwidert lächelnd Pippa. Sie ist so glücklich, so unverhofft eine Freundin gewonnen zu haben. Nach ihrem großen Schmerz um Pippin, der ja der Vater ihres Kindes ist, das da gerade in ihr zu wachsen beginnt, ist sie nun im Kreise von Ruth, Somythall und Sumila ein neuer Mensch geworden. Kraft, Zuversicht und Freude machen sich in ihr breit. Sie hatte ganz vergessen, wie das ist, zu lachen.

Rochwyn lässt sich von der Spitze des Trupps jetzt zurückfallen, reitet gemächlich neben dem Wagen der Frauen, fängt ein Gespräch mit ihnen an:

„Ich denke, wir werden wohl drei oder vielleicht sogar vier Tage brauchen. Werdet ihr das aushalten können?“

Somythall strahlt ihn an. Seine Fürsorge rührt sie fast zu Tränen. Alle drei Frauen nicken lachend. Und Sumila jauchzt dazu, als gäbe es endlich etwas zu essen und zu trinken.

Zufrieden drückt Rochwyn seine Fersen in die Seiten seines Pferdes und schließt wieder nach vorne auf.

„Thyrdys, reite mit Whyrrbil und Wytgos voraus und sucht einen passenden Rastplatz. Unsere Frauen können eine Pause gut brauchen.“

Und bevor seine beiden besten Männer los reiten, ruft er ihnen noch hinterher:

„Wir müssen außerdem beraten, wie wir vorgehen wollen.“

Thyrdys nickt nur. Er ist mächtig stolz auf seinen Herrn, der ihn immer in seine Pläne einbezieht. Für den tu ich alles, alles, sagt er sich wild entschlossen und prescht davon.

Nicht viel später rasten sie nahe einem Bachlauf unter alten Buchen. Während die Frauen auf Decken sitzen, Brot essen, Milch trinken und Sumila versorgen, haben sich die Männer in einem Kreis zusammen gesetzt und tauschen ihre Eindrücke über die Leute des Königs und den Bischof aus.

„Können wir denen denn überhaupt glauben?“ fragt Baibana misstrauisch. „Was meinst du, Thyrdys?“ gibt Rochwyn die Frage einfach weiter.

„Ich traue denen allen nicht, keinem. Zwischen König und Bischof, zwischen

Truchseß und Hofmeister knistert es doch andauernd. Der eine lauert, wie er den anderen aus dem Weg schaffen kann. Ihre Verabredungen gelten immer nur so lange, wie sie dauern.“

Alle machen große Augen, schauen auf Rochwyn, was der wohl zu dieser vernichtenden Einschätzung sagen wird. Der verzieht den Mund, wiegt den Kopf hin und her, räuspert sich vernehmlich und sagt dann ziemlich leise:

„Genauso hätte ich es auch gesagt, Thyrdys, genauso.“

Ein größeres Lob könnte sich Thyrdys gar nicht vorstellen. Auch seine Mitstreiter fühlen sich durch Rochwyns Antwort geehrt, obwohl sie doch gar nichts gesagt hatten. Sie sind sich einig.

„Aber was folgt für uns daraus? Müssen wir die Villa vorher noch warnen?“

„Duc, wenn du willst, reite ich voraus, und schenke denen gleich reinen Wein ein!“ sprudelt es aus Stublanka heraus. Rochwyn denkt nach. Er grinst.

„Mach das, das kann auf keinen Fall schaden.“

Als sie später wieder aufbrechen, hat sich Stublanka schon davon gemacht.

Jetzt sitzt Baibana alleine hinten auf dem Brett. Was tut man nicht alles für den Duc?

Auch der Trupp des Bischofs hatte eine kleine Pause eingelegt – sie sind aber weiter ein gutes Stück voraus.

Ernólfod, Wilfrid und Arnulf halten Kriegsrat. Unter den Soldaten könnte ein Spitzel des Königs sein. Könnte? Ist ganz sicher einer. Deshalb führen sie ihr Gespräch weit ab vom Trupp, der auf einer Wiese die Pferde weiden lässt.

„Marcellus, der Herr der Villa, ist ein gebildeter Römer, der bewiesen hat, dass er auch kämpfen kann. Pippin und alle außer einem seiner Leute sind bei ihrem Angriff gefallen. Marcellus wird uns kaum trauen. Für ihn sind wir des Königs Männer. Und dieser König hatte Pippin geschickt, die Villa dem Erdboden gleich zu machen.“

Während sich Bischof Arnulf so leise reden hört, geht ihm gleichzeitig durch den Kopf, dass es ja auch seine Idee war. Zum Glück weiß das aber niemand, zum Glück ist Pippin ja tot.

„Ihr könnt euch auf uns verlassen“, ergreift nun der Hofmeister des Königs das Wort, „Chlotar will nur seine Truhen mit dem Gold des Römers füllen, wir wären nur seine Handlanger, die er bei nächster Gelegenheit aus dem Weg räumen lässt. Auch ist er heute in aller Frühe nicht zur Jagd aufgebrochen, sondern er will König von Austrasien und Burgund werden, nachdem er Brunichild von Burgund so bestialisch öffentlich hat hinrichten lassen.“

Bischof Arnulf wird blass vor Schrecken. Er dachte, des Königs Pläne wären ihm bekannt. Und jetzt das. Nun ist er noch mehr entschlossen, den König aus dem Weg zu räumen. Der Truchseß und der Hofmeister sollen ihm dabei helfen. Wenn sie zusammen den Befehl des Königs, die Villa zu vernichten, verweigern, sind sie auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Gut so. Dann sehen wir weiter, denkt der Bischof wütend.

17 März

Europa – Meditation # 325

Europa – im Wechselbad der Gefühle.

Wut, Entsetzen, Zorn, Angst besuchen uns Europäer in diesen Tagen pausenlos. Gleichzeitig zerscheppern lieb gewonnene Gewissheiten über politische „Wahrheiten“ wie wertvolles Porzellan beim Stolpern auf einer Kirschbaumholztreppe. Und wenn dann auch noch der Geldbeutel anfängt wie schwindsüchtig zu hecheln, ist der Traum vom Wohlstandsparadies endgültig ausgeträumt.

Doch dann steigt aus diesem Dampfbad – wie Phönix aus der Asche – der bis dahin für unmöglich geglaubte Gedanke auf: Wir könnten mit viel weniger immer noch wunderbar das kurze Leben genießen, könnten zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen. Das wäre ja dann gewissermaßen sogar der für unmöglich geglaubte Einstieg in den Ausstieg der auf brutaler Konkurrenz aufgebauten Konsumhysterie. Und gleichzeitig schwächen wir den gefühlskalten Kriegsherrn und sein Gefolge nachhaltig in seinen eigenen Mitteln von Geld, Waffen und Ideologie.

Dann meldet sich aber wieder die Angst zu Wort: Redet euch doch nicht mit solch einem von Wunschdenken gespeisten Stärketrank in eine Euphorie hinein, die gerne vergessen möchte, wie sehr Macht die scheinbar Mächtigen zu blenden vermag. Hier wie da, übrigens.

Was, wenn daraus ein nicht mehr zu kontrollierender Weltkrieg wird, wenn plötzlich die Militärs ihre Stunde wittern, dass Frieden nur möglich sei, wenn der Gegner in Angst und Schrecken versetzt wird – mit allem, was an modernen Waffen so möglich ist?

Dann stehen da plötzlich diese Flüchtlinge am Bahnhof – Hunderte, Tausende. Voller Scham müssen sich die Westeuropäer heimlich eingestehen, dass die Osteuropäer ihnen verdammt ähnlich sehen – in allem: Kleidung, schnurlosem Telefon, Gehabe…aber diese Angst in den Augen der Ankömmlinge, diese Angst! Übersprungshandlung. Schon euphorisieren sich die West-Eu-Päs mit einer schier maßlosen Hilfsbereitschaft – weil im Hinterkopf vielleicht der kleine „Memeto-Mori-Beißer“ hockt und beinhart sein Sprüchchen in Dauerschleife uns ins Ohr träufelt? Inzidenzen? Ja, ja!

Die Verwirrung nimmt im Gefühlshaushalt der Europäer rapide zu: gewissermaßen katapultiert der mörderische Krieg in der Ukraine die Europäer in eine atemberaubende Verwirrung (was natürlich ordentlich Angst macht):

Der Konsument als autonomer Entscheider zwischen zahllosen Warenangeboten erlebt sich – ohne Vorwarnung, scheinbar – im Handumdrehen als nackt; des Kaisers neue Kleider entpuppen sich doch wirklich als Kaugummiblasen, die gerade schlaff in sich zusammensacken. Was ist der Sinn des Lebens? Helfen, zusammen handeln, den Planeten retten; endlich ist der richtige Zeitpunkt dafür da. Die bisherigen Prioritäten erweisen sich angesichts der Gewalt und des Todes als banal.

14 März

Europa – Meditation # 324

Wie sich die Geschehnisse gleichen!

Da stolpern damals die USA in einen Krieg, den sie gar nicht wollten – in den Zweiten Weltkrieg. Pearl Harbor. Dezember 1941. Und Deutschland – eigentlich materiell, aber auch physisch längst überfordert und die Fronten überdehnt – erklärt den USA den Krieg. Als hätten sie sich nicht schon längst mit dem mörderischen Überfall auf Russland maßlos übernommen. Aber Tyrannen hassen Verluste, Niederlagen wie die Pest. Also einfach den Krieg ausweiten, Gegner täuschen, indem man Verhandlungen führt, die zu nichts führen – außer zu Zeitgewinn für den Tyrannen, seine Truppen neu aufzustellen.

Und heute?

Wie sagt Katja Petrowskaja heute zurecht im Rückblick: Demokratien sind immer schwach Tyrannen gegenüber, wenn sie sich nicht gemeinsam aufraffen und kompromisslos Gegenwehr und zusammen Stärke zeigen.

1939 erklären England und Frankreich zwar Deutschland den Krieg – nach dem Überfall auf Polen; aber was taten sie für die Polen? Nichts. Abwarten. Die Folge: Deutschland überrollt die Benelux-Staaten und Frankreich, England entgeht nur sehr knapp einer Katastrophe in Dünkirchen.

Verhandeln hilft gegen Tyrannen nur aus einer Position der Stärke, schon immer. Natürlich lässt sich die Situation der zwanziger und dreißiger Jahre nicht vergleichen mit heute; was sich aber sehr wohl vergleichen lässt, sind die Handlungsmuster von Tyrannen, für die Verlieren keine Option ist.

Wenn der Putler im Moment andeutet, Gespräche führen zu wollen, so doch nur, um währenddessen neue Kräfte an die Front heranführen zu können, Zeit zu gewinnen, damit er doch noch erreicht, was er eitel glaubte, mit einem Überraschungskrieg über Nacht zu erreichen.

Die Komfort-Zone, in der Westeuropa badet, ist keine zu rechtfertigende Lebenssituation, die vielfaches Morden und Zerstören als Kollateralschaden klein reden darf.

Also muss der moralische Imperativ an diesem 13. März 2022 sein: Europa, handle so, dass gleichzeitig deine Familie am Dnepr weiter leben kann! Ein lebenswertes Leben in Europa lässt sich auch auf einem viel bescheideneren Level glücklich und gesund gestalten. Auf jeden Fall!