12 März

Europa – Meditation # 323

Die Angst hatte nur kurz Urlaub genommen.

Meinten wir hier in Europa. Die Gewöhnung an Todesstatistiken – der Pandemie geschuldet – nahm diesen ihren Horroreffekt. Die Buchungen für Urlaubsreisen sind auf dem besten Weg, durch die Decke zu gehen. Endlich? Nein. Denn die Europäer kommen aus dem Regen in die Traufe. Nun dieser irrsinnige Krieg Russlands auf ukrainischem Boden. Kommt nach der Angst vor der Pandemie jetzt die Angst vor dem Ende des exzessiven Konsumierens, auf das man nun schon seit zwei Jahren mehr oder weniger verzichten musste?

Covid-19 als unsichtbarer Feind und Todesengel war nie wirklich greifbar, immer dem Zugriff entzogen. Das brachte einige sogar auf die Idee zu glauben, es sei eine mutwillige Erfindung von machtgeilen Finsterlingen. Aber die Angst der meisten war da, führte zu Verhaltensänderungen, zur Verabschiedung von liebgewonnenen Gewohnheiten.

Und die Angst vor dem Klimakollaps? Schweren Herzens fand man sich bereit zu Kompromissen, aber dank der Konsumenten kommt man nur sehr schrittweise voran, wenn überhaupt. Dabei ist dieser Krieg, den die Erdlinge gegen die eigene Erde führen, längst sofort zu beenden. Zahlen belegen es. How dare you! Inzidenzien oder Co²-Werte erzeugen einfach nicht genügend Angst, um die unabwendbaren Veränderungen global zu starten. Jetzt.

Aber die Angst vor dem Krieg – mehr oder weniger vor der eigenen Haustür – scheint endlich Kräfte im Kopf und im Arm der Europäer freizusetzen, Verzicht nicht mehr als Einschränkung zu erleben, sondern als notwendiger Akt der Befreiung aus der selbstverschuldeten Sackgassen-Situation. Und das auch noch mit guten Gefühlen, denn die um sich greifende Solidarität beflügelt die ängstlichen Europäer zu einer nie für möglich gehaltenen Verhaltensänderungsbereitschaft (Monsterwort!). Der Begriff ein Monster, das Tun ein nicht für möglich gehaltenes Glück: „Memento mori!“ zaubert – wie aus dem Nichts – eine im Jetzt spontan gelebte Hilfsbereitschaft, die jenseits von Kosten, Preisen, Schulden das Leben als solches mit dem höchsten Preis versieht.

Das bis heute scheinbar selbstverständliche Muster, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu konsumieren – weltweit – entpuppt sich als eine irregeleitete Konditionierung („the american way of life“) zu Lasten derer, die es überhaupt erst ermöglichen. Über Nacht ist Sparen nicht mehr eine Haltung von Spaßbremsen, sondern eine Erlösung aus eher lächerlichen Zwängen. Dass weniger wirklich mehr sein kann – wer hätte das gedacht?! Statussymbole nur noch Fetische von Loosern!

Aber der homo sapiens sapiens hatte schon immer als besten Freund beim Überlebenskampf die Angst an seiner Seite. Sie beflügelt ihn zu ungeahnten Kraftanstrengungen. In diesen Tagen besteht sie darin, mit aller Kraft die Heizungen um zwei Grad zu senken, das Tempo herunter zu fahren, Leerstände mit Flüchtlingen zu füllen und Flugzeuge einzumotten.

01 März

Europa – Meditation # 322

Werbung und Konsum benebeln uns den Kopf.

Allmählich gewöhnen sich die Europäer an den Begriff der K R I S E. Auch Krieg firmiert unter diesem Etikett inzwischen. Denn trotz solcher Angst er-

zeugenden Erfahrungen wollen die meisten in ihrer Wohlstandshaltung verharren.

Im Rückblick ist der als „Manöver“ inszenierte Aufmarsch russischer Panzer entlang der Grenze der Ukraine natürlich nichts anderes gewesen als notwendige logistische Maßnahmen, um einen schnellen Überfall durchziehen zu können.

Die Gespräche am langen, ovalen Tisch in Moskau waren demgegenüber lediglich ein kleines burleskes Theaterstück zum Thema: „Wie streue ich meinem entfernten Gegenüber Sand in die Augen, ohne dass er es überhaupt bemerkt. (Natürlich ist solch ein langer Tisch auch eine reine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass der Gast Gift dabei hat und es ins Wasserglas träufeln könnte, um den friedlichen Gastgeber zu töten. Man kennt das ja.)

Den kleinen Krieg, den wir Europäer nachhaltig von den Amerikanern übernommen haben, beschäftigt uns tagtäglich so sehr, dass einfach keine Zeit mehr bleibt, den nahenden großen Krieg als solchen wahrzunehmen. So lügen wir ununterbrochen beim Geschäfte Machen – schließlich will man ja den Kunden, bzw. den Konkurrenten übers Ohr hauen, wie anders könnte man sonst als Gewinner aus diesem Kleinkrieg hervorgehen. Tarnen und Täuschen ist keine genuin putinsche Fähigkeit. Sie ist uns Europäern nur zu sehr vertraut: Wire-Card, Cum-Ex-Deals, Panama Papers, Swiss-Secrets und Missbrauch und kein Ende,von Gewalt gegen Kinder und Frauen ganz zu schweigen. Heuchler, die wir sind.

Wir hätten gern all diese unschönen Tatsachen bloß auf dem Bildschirm oder in der Cloud, da stören sie das Konsumieren und den Status-Symbol-Wettkampf nicht weiter. Aber in der Nachbarschaft richtigen Krieg? Nee, das ist dann echt eine Störung sondergleichen.

Und dass man in den Medien sogar dabei zuschauen kann, wie ein durch kriegerische Gewalt verletztes Kind stirbt, zeigt, wie sehr wir in unserer Wahrnehmung bereits betäubt sind.

Die Endlosschleife von Krimis ist da lediglich ein weiteres Moment, nicht mehr, uns zu betäuben und als empathische Wesen einzufrieren.

Gewinner und Verlierer, so heißt das Spiel, das Tag und Nacht über die Konten in den Banken genauso gespielt wird wie im Internet.

Jetzt können wir uns medial an einem besonders spannenden Kampf berauschen: Ein David kämpft gegen einen Goliath. Nur läuft es – nicht wie im Alten Testament, wo es sowieso nur so von Gewalt hallt und schallt (seien es die Menschen oder sei es dieser unsichtbare Gott selbst, der strafend und rächend übers Land zieht) – diesmal nicht so, dass der Kleine den Großen überraschend besiegt. Wie auch! Und dann diese Sprit-Preise!

27 Feb.

Europa – Meditation # 321

Krieg und Frieden und sonstige Flausen.

Wir haben uns getäuscht, wir haben uns täuschen lassen, wir wurden belogen. So oder so ähnlich äußern sich derzeit manche Meinungsmacher europaweit kleinlaut. Natürlich bleibt der schwarze Peter bei der Gegenseite. Es scheint, wir kommen über das schlichte Muster von richtig und falsch und schwarz und weiß nicht hinaus. Und zwischen diesen beiden „Größen“ hüpft dann die Angst hin und her. Denn die bestimmt unser Handeln maßgeblich. Gerne machen wir den „Gegner“ groß, um der Angst ordentlich Futter zu geben, und gerne machen wir unsere eigene Angst klein, damit wir beeindruckend stark aussehen.

So auch im aktuellen Geschehen, das unsere liebgewonnenen Denkschablonen über Nacht in Scherben gehen ließ: Niemand konnte uns daran hindern zu reisen, wohin wir wollten, niemand konnte uns hindern zu denken, was wir wollten, wir schienen frei und unabhängig – bis auf die kleine Hürde Geld. Aber daran arbeiteten wir Tag und Nacht. Fast hatte es etwas von Zauberei an sich, in wie kurzer Zeit – auch schon von ganz jungen Hüpfern – bereits große Geldberge mit Hilfe der Wolke erzeugt werden konnten. Alles schien möglich, selbst im Weltraum sind wir dabei, die Grenzen weiter und weiter ins schwarze Loch vor zu schieben.

Doch jetzt sollen wieder markante Grenzen gezogen werden: im Flugverkehr, im Geldverkehr. Was für eine ärgerliche Begrenzung unserer Freiheit!

Nun kommen zu den sowieso viel zu vielen Flüchtlingen aus dem Süden der Halbkugel weitere aus Kriegsgebieten hinzu: Nach Irakern, Afghanen, Somaliern, Jemeniten nun auch noch Ukrainer. Aber wir schaffen das, wir aufgeklärten Europäer. Denn das Funktionieren unserer heiklen Infrastruktur braucht – peinlich, peinlich – auch weiter viele Menschen, die für richtig wenig Geld Arbeiten verrichten, die unseren hohen Lebensstandard nachhaltig am Leben erhalten.

Die Zauberformel für unser auch weiter Angst gesteuertes Denken lautet ja: es muss schon eine Win-Win-Situation sein, wenn wir Veränderungen mitmachen.

Im Kleinen wie im Großen diktiert also die Angst – sei es vor der Pandemie, vor der nächsten Bankenkrise, sei es vor lokalen Kriegen oder globalen Klimakatastrophen, sei es vor dem Tod oder auch vor dem Erfolg des Konkurrenten – unserem Denken und danach unserem Handeln die Rahmenbedingungen, die dann wortreich – aber vor allem euphemistisch – eingekleidet werden in ansehnliche und immer auch bessere Varianten des einzig „Richtigen“. Bis der nächste größere Unfall uns wieder dazu zwingt, zuzugeben, dass wir uns mal wieder getäuscht haben, dass wir uns haben täuschen lassen, dass wir mal wieder belogen wurden.