06 Feb.

Europa – Meditation # 315

Zusammenhalt? Was für ein Zusammenhalt denn?

Von allen Seiten wird dieser Tage beschwörend oder beklagend angemerkt, dass der Zusammenhalt in der Gesellschaft in Gefahr sei, verloren zu gehen.

Könnte es sein, dass bei dieser grundsätzlichen Klage ein Bild der Vergangenheit vorausgesetzt wird, das so nie bestanden hat?

Nach den „großen“ ideologischen Mustern, die vor dem Zweiten Weltkrieg en vogue waren (Ein Volk, ein Reich…)wollten die Mitteleuropäer reuig kleine Brötchen backen und sich brav an Vorbildern orientieren, die aus Übersee zu ihnen herüber irrlichterten.

So übte man sich in unbändigem Konsumieren und Konkurrieren – nicht nur im ökonomischen, nein auch im persönlichen Umfeld. Individualismus und solider Egoismus wurden die Parameter, entlang derer man sich üben musste: Schon im Kindergarten fanden und finden immer noch die ersten wichtigen Übungen statt (in Frankreich ist man da noch früher streng dabei, die Kleinen auf Vordermann zu bringen und sich nicht an Muttis Schürze zu klammern: setz dich durch, lass dir nichts gefallen, du bist dein eigner Herr! Den entsprechenden Satz für das andere Geschlecht: du bist deine eigne Herrin kommt da eher nicht vor; stattdessen vielleicht: heul nicht rum, räum auf und sag‘ „Entschuldigung“!); also gleichzeitig auch grundlegende Übungen im patriarchalischen Hamsterrad. Übungen, die alle dazu dienen, den späteren Konsumenten zu konditionieren und den Egoisten im Kind zu festigen. Gekoppelt mit einer durch die Werbung pausenlos niederprasselnde Material-Kauf-Schlacht wurde so die Gesellschaft atomisiert in Millionen Einzelkämpfer, die ihren Erfolg an ihren Statussymbolen ablesen konnten. So lange Aufschwung und gute Nachrichten von der Börse andauerten, funktionierte dieses amerikanische Ein-Mann-Projekt scheinbar reibungslos. Jetzt, wo wegen der Pandemie und der stotternden Weltwirtschaftslage – Bauteile fehlen, Lieferfristen können nicht eingehalten werden etc. – das bisher so „erfolgreiche Modell“ in Schieflage gerät, werden die Schuldigen gesucht.

Und da zeigt es sich dann, dass es eben nie einen „Zusammenhalt der Gesellschaft“ im Sinne einer friedliebenden, ausgleichenden Respekt- Haltung vor dem anderen gegeben hat, dass die Aggressionen im Konkurrenzkampf nur schön ins Konsumieren kanalisiert werden konnten. Da konnten sie sich phantastisch austoben – lächerlichstes Beispiel von gestern: mit mehr als 400 km/h über die Autobahn pesen und es der Welt gleich auch noch posten.

Am deutlichsten kann man diesen ideologischen Scherbenhaufen in den Grundschulen besichtigen: Dort quengeln Kinder um Aufmerksamkeit, haben aber keine Lust und auch keine Ahnung etwas zu lernen, Eltern in einer anmaßenden Anspruchshaltung klagen über das „Personal“, und die dort arbeitenden Frauen zerreiben sich zwischen Zuwendung und erzieherischem Zielen. Von Zusammenhalt keine Spur. Wie denn auch?

04 Feb.

Europa – Meditation # 314

Schluss im Dom!

Vor der Französischen Revolution hat sich wohl kaum ein Adliger vorstellen können, dass einmal seine feisten Privilegien baden gehen könnten. Zu lange schon waren sie scheinbar so etwas wie ein gesellschaftliches Naturgesetz. Aber eben doch nur scheinbar. Dann ging es ziemlich schnell den Bach runter. Absturz. Totaler.

Ob die Katholische Kirche in diesem Jahr vor einer ähnlichen Situation steht? Privilegien hat sie nun wirklich genug: Kirchensteuer, die der Staat für sie einzieht. Ein eigene Rechtsprechung – von Bistum bis zur Kurie. Und auch arbeitsrechtlich immer noch Vorrechte, die im Grunde nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Dann befriedigt sie immer noch viele ihrer Mitglieder – und hier vor allem Frauen, die nach Hilfe suchen in ihrer Not – mit einem scheinbar üppigen Versprechen: Nach dem Tod wird eh alles viel besser. Für immer dann.

Selbst auf dem sogenannten Synodalen Weg gibt es zwischen den Klerikern und den Laien eine Sperrminorität der Bischöfe – so für alle Fälle, man weiß ja nie, wo hin so ein Weg noch führen könnte – mit der sie jeder „Reform“ die Würze nehmen kann. Also auch da ist man nicht auf Augenhöhe!

Damit leben nun die Kirchenmitglieder schon so viele Jahrhunderte, dass eine Welt ohne Vatikan, ohne Bischöfe und ohne Dome schier unvorstellbar scheint.

Aber wie in der Französischen Revolution – da war es nicht zuletzt das ausschweifende Leben des steuerfreien Adels – könnte nun die elende Missbrauchsgeschichte ohne Ende das Ende schneller einläuten, als es sich die Bischöfe vorstellen können. (Da wird sich sicher einer der Bischöfe gequält bereit finden, als Konkursverwalter der Firma zu fungieren. Das würde ja seine Bezüge noch eine Weile strecken!) Und da wären bestimmt auch genügend andere da, um bei der Leichenfledderei selbstlos mitzuhelfen.

Die vielen Kirchen und Paläste könnten dem sozialen Wohnungsbau fast mietfrei zugeschlagen werden und die arbeitslosen Kirchenfunktionäre dürfen zurück auf Anfang und in einer ehemaligen Klosteranlage den Orden zur Neugeburt christlichen Denkens gründen. Das Zeitalter der Guillotine hat die bürgerliche Gesellschaft zum Glück ja nach der Abschaffung der Privilegien des Adels auch beendet.

Also keine Angst, zitternde Bischöfe: Euer Restleben dürft ihr zerknirscht in Reuehaltung abarbeiten.

Die Menschen in Europa werden ohne große Mühen andere und neue Formen finden, ihren religiösen Phantasien Raum und Zeit zu geben.

Darüber hinaus bleibt den Bürgern ja noch genügend Arbeit, das Missbrauchsthema im profanen Feld trocken zu legen – jedenfalls müssten sie sich dann nicht mehr mit den uneinsichtigen Pharisäern, Bischöfen und Päpsten auseinandersetzen. Schluss im Dom!

31 Jan.

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 131

Die große Göttin ebnet den Weg für ihre Botschaft.

Chaturo und Athanama schauen leicht geblendet in die warme Abendsonne. Und gerade, als sie sich austauschen wollen über diese eigenartige Audienz beim Minos von Kreta eben, kommen ihnen zwei Frauen entgegen, die sie im Gegenlicht nur als Silhouetten erkennen.

Chandaraissa verbeugt sich leicht vor den staunenden Fremden; und mit einer eleganten Geste ihrer linken Hand beginnt sie dann so zu sprechen:

„Es muss unsere große Göttin sein, die uns hier zusammen führt. Ich habe euch schon im Traum gesehen, neulich. Seid herzlichst willkommen!“

Athanama läuft ein eigenartiger Schauer den Rücken herunter. Sie kann die Sprecherin immer noch nicht deutlich erkennen. Die Sonne steht jetzt sehr tief und blendet sie völlig.

„Athanama, wer ist es, der diese wunderbare Begegnung geplant hat? Lass dich umarmen!“ ruft ihr Europa entgegen.

Chaturo schaut ratlos zu Athanama hinüber. Kennst du diese beiden Frauen, will er wohl fragen. Aber Athanama hat es völlig die Sprache verschlagen. Diese Stimme, diese Stimme. Sie muss sich täuschen, es kann einfach nicht sein, es muss ein Irrtum sein. Doch als Europa nun direkt vor ihr steht und sie umarmen will, da hält sie den Atem an. Sie schwankt, lässt die Umarmung einfach nur geschehen und flüstert dabei:

„Europa! Bist du es wirklich?“

„Ja, du Gute, ich bin es. Und du bist Heimat, Kindheit, Jugend. Lebensfreude für mich!“

Da bricht Athanama in Tränen aus und erwidert endlich die herzliche Umarmung Europas.

Chaturo ahnt auf einmal, wer da vor ihm steht: Das muss Europa sein, die Tochter von König Agenor, das muss sie sein. Er verbeugt sich tief vor ihr.

„Prinzessin Europa, euer Diener, Chaturo, Kapitän…“

„Schon gut, schon gut“, wehrt Europa ab. „Chandaraissa, begrüße meine Lehrerin und alte Freundin aus meinen Tagen in Sidon!“

Ihr kommen die Tränen, denn sie wird nie wieder dorthin gehen. Das weiß sie.

Später – sie gehen zum Tempel der großen Göttin hinüber – fühlen sich alle vier eigenartig wohl und leicht, als wären alle Sorgen von ihnen genommen worden, als wären sie frei von Trauer, von Verlust, von Schmerz. Wie kann das nur sein?

Als sie nun zum Vorplatz des großen Tempels gelangen, sehen sie, wie die jungen Priesterinnen ihre Tanzschritte üben. Üben, üben, üben, das war es, was Chandaraissa ihnen gesagt hatte, als die jungen Frauen ihr gestanden hatten, wie groß ihre Ängste seien, wenn sie an das Fest, an den Tanz dächten.

„Ist das nicht ein wunderbares Bild?“ fragt Europa in die Runde. Die letzten Sonnenstrahlen umspielen die Tänzerinnen mit Glanz und Wärme. Als nähme die fast schon vergessene Botschaft vom Glück anmutige Gestalt an, als wären die düsteren Pläne von Zeus und seinen tapsigen Brüdern dem Untergang geweiht.