12 Mai

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 61

Zeus versucht mit einem neuen Anschlag Europa zu vernichten

Trasopas, der alte Fischer, sitzt in seinem schaukelnden Boot und blinzelt ins Leere. Bisher kein einziger Fisch an der Angel, auch im Netz kein Meerleben. Nichts. Mein Alte wird wieder meckern. Und die Abgaben an den Minos von Kreta wollen auch noch gefischt werden. Ob es das Durcheinander im Palast ist, das ihm Unglück bringt? Trasopas wird Thiala sagen, dass er es im Traum genau gesehen hat: Archaikos treibt es mit einer fremden Frau, die Hohepriesterin auch. Da müssen die Götter doch Unheil als Strafe schicken. Aber warum trifft es gerade mich? Jetzt meint er über dem Wasser im Geflimmer jemanden gehen zu sehen. Winkt er ihm? Wer ist das? Trasopas reibt sich die Augen. Aber der Mann kommt einfach immer näher. Jetzt glaubt er sogar, ihn schon zu hören. Er scheint zu grinsen, als er gönnerisch säuselt: „Läuft wohl gerade nicht so gut, stimmt‘s?“ Erschrocken nickt Trasopas. Das Grinsen wird breiter. Die Sonne blendet unerbittlich, das Schaukeln schläfert ihn fast ein. Trotzdem spitzt er seine Ohren: „Ich könnte dir unter die Arme greifen – einmal mit einem Netz voller Fische und mit guter Laune deiner Thiala. Wär das was?“ Trasopas läuft es eiskalt den Rücken herunter. Woher kennt der meine Frau, was will der von mir? Die Antwort kommt ihm vor wie ein kühlender Regen: „Deine Sorgen hast du wirklich zu Unrecht. Diese Fremde, die ist an allem schuld. Sie tut ganz Kreta nicht gut.“ Trasopas ist es, als wäre es ein vertraute Stimme, die da so eindringlich auf ihn einredet. Recht hat er. Der Schweiß läuft ihm in vielen Rinnsalen am Körper herunter. Mit den Händen hält er krampfhaft die Angel. Er blinzelt weiter übers Wasser. Weiß nicht, was er sagen soll. Thiala wird ihm kein Wort glauben, kein Wort. Da ist er sich ganz sicher. „Die Fremde, über die alle gerade reden, lästern und fluchen, wohnt bei der Hohenpriesterin. Bring ihr von deinen Fischen – so als Geschenk. Ich werde dafür sorgen, dass sie ihr nicht bekommen.“

Trasopas schluckt verängstigt. Was geht hier vor, was soll er tun? Aber während er grübelt, sieht er sich das Netz erneut ins Meer werfen. Von dem Mann auf dem Wasser kein Flimmern mehr. Nichts zu sehen, nichts zu hören. War wohl Einbildung. Ein bleiernes Gefühl legt sich ihm langsam auf den dicken Bauch. Was für ein Blödsinn auch, denkt er. Die Hitze.

Später – sein Boot schaukelt immer noch lustlos auf den flachen Wellen hin und her – zieht er missmutig das Netz wieder hoch. Er weiß, es wird leer sein. Was sonst? So nimmt er auch nicht wahr, dass ihm das Herausziehen schwerer fällt. Das Boot neigt sich gefährlich zur Seite. Dann zieht er den Fang über Bord.

Als er später im kleinen Hafenbecken anlegt, hat er sich bereits an den Anblick des Unglaublichen gewöhnt. Also doch keine Einbildung das Ganze?

 

29 Jan

Europa – Mythos # 47

Lügen haben kurze Beine

Hera! Ich bin gerade mal kurz meine Füße vertreten.“

Sie aber bitte zeitig zurück, mein Lieber. Wir haben heute Abend Gäste, wie du hoffentlich weißt!“

Zeus verdreht die Augen und ist froh, dass er sich aus dem olympischen Mief davon schleichen kann. Gäste! Wer hatte sich denn angesagt? Er hat keine Ahnung. Er braucht dringend ungestörte Ruhe, um die nächsten Schritte in Sachen Europa und der gemeinsamen Verabredung mit seinen beiden Brüdern zu überlegen. Da kommt völlig unerwartet Athena herein geplatzt:

Hallo, Papa, gut, dass ich dich gleich antreffe. Ich muss dringend mit dir reden.“

War wohl nichts mit Ruhe. Er kennt seine Tochter, die lässt sich nicht mit fadenscheinigen Ausreden abwimmeln. So seufzt er wohlwollend, legt seinen Arm um ihre Schulter und säuselt los:

Athena, wie freue ich mich, dich zu sehen. Natürlich habe ich alle Zeit des Olymps für dich. Du würdest mich niemals mit Schnickschnack behelligen. Stimmt’s?“

Natürlich nicht, Papa.“

Zeus schwant nichts Gutes. Jedenfalls möchte er auf keinen Fall, dass Hera dabei ist, wenn Athena ihr dringendes Anliegen vorträgt. Er weiß, wie klug seine Tochter ist. Die wird doch nicht etwas von seinem Feldzug gegen die aufsässigen weiblichen Erdlinge mit bekommen haben oder gar etwas von seiner so misslich verlaufenen Anmache der Europa?

Komm, suchen wir uns ein stilles Plätzchen, wo wir ungestört reden können, ja?“

Auch bei Athena keimt ein kleines Missbehagen: So schnell und so bereit? So kennt sie ihren oft eher überforderten Vater gar nicht. Sie will auf der Haut bleiben.

In einer angenehm Schatten spendenden Grotte gleich unter dem Olymp lassen sie sich nieder. Zeus ist erleichtert: Niemand hatte sie wohl gesehen.

Also, ich will gar nicht erst lange um den heißen Brei reden, Papa. Ich komme gerade von den Inseln. Da erzählt man sich eigenartige Sachen: Eine Prinzessin aus Phönizien sei entführt worden. Europa sei ihr Name. Über den Entführer gibt’s die tollsten Gerüchte. Andere wollen wissen, sie sei auf Kreta aufgetaucht…“

Zeus spielt den Empörten:

Nein, also wirklich, was ist denn da unten schon wieder los?“

Papa, jetzt tu nicht so, als wenn du nicht Bescheid wüsstest!“

Ich? Wieso ich?“

Zeus läuft es heiß und kalt den Rücken herauf und herunter. Warum muss ich aber auch so eine vorwitzige Tochter, solch eine Kopfgeburt haben? Womit habe ich das nur verdient? Er kramt all seine schauspielerischen Möglichkeiten zusammen und schaut Athena völlig verblüfft an.

Weißt du was, Papa, vielleicht sollten wir den Frauen da unten überhaupt mehr beistehen. Die Männer nehmen sich einfach zu viel heraus, finde ich. Würdest du mir helfen, wenn ich in die Richtung aktiv würde?“

Zeus traut seinen Ohren kaum: Seine eigene Tochter plant, ihm in den Rücken zu fallen, und will auch noch seine Hilfe dabei. Spielt sie ein doppeltes Spiel? Hades, Poseidon und er haben doch erst neulich einen feierlichen Eid geschworen (natürlich streng geheim!), alles zu tun, was hilft, die Frauen den Männern noch mehr als bisher untertan zu machen – als Rache für die Demütigung, die ihm Europa zugefügt hat. Und jetzt das! Wie komme ich aus dieser Patsche nur wieder heraus, denkt er nervös. Zeus ist nicht so der große Schnelldenker und erst recht nicht so der scharfe Schnelldurchblicker wie seine Tochter Athena. Er muss Zeit gewinnen, ist der einzige klare Gedanke, der ihm spontan kommt. Zeit, er braucht Zeit. Ihm gelingt sogar ein breites Lächeln.

Oho, hört, hört! Athena will die Welt verändern! Was habe ich nicht für eine kluge Tochter! Aber im Ernst, meine Liebe, das ist ja keine Kleinigkeit, die du mir da vorträgst. Das will gut überlegt sein.“

Also kann ich auf dich rechnen, Papa?“

Nein, nein, nein! Hast du nicht zugehört? Das muss sich zuerst einmal setzen. Das muss ich überschlafen, bevor ich zu- oder absage.“

Ich wusste, dass ich mit dir rechnen kann, ich wusste es. Danke, Papa!“

Athena umarmt ihren überrumpelten Vater, tanzt um ihn herum, lacht, klatscht in die Hände und läuft singend davon. Zeus ist am Ende. Wie soll er aus dieser Zwickmühle denn wieder heraus kommen? Und was ist, wenn Athena erfährt, dass er der Entführer war? Und was erst, wenn sie erfährt, dass er einen Rachefeldzug gegen die dreimal kluge Europa und alle anderen Frauen da unten plant? Was mach ich jetzt nur?

Wie ein begossener Pudel erhebt sich stöhnend der alte Obergott und trottet niedergeschlagen zurück zu seiner Gattin, Hera. Vielleicht weiß die ja Rat in dieser verzwickten Angelegenheit. Da fährt ihm der nächste Schrecken in die Glieder:

Nein, das wäre der reinste Wahnsinn, sie einzuweihen! Ich müsste ihr ja gestehen, dass ich Europa…nein, nein, Heras Eifersucht ist so was von furchtbar. Nein, ich muss es mit mir alleine ausmachen. Ich bin hier umgeben von lauter Frauen, die nicht auf meiner Seite stehen. Ist das die Rache des Schicksals für meine geplante Rache an den Frauen da unten?“

Mit hängenden Schultern und bitterem Schmollmund trottet Zeus nach Hause. Es wird ihm alles mal wieder zu viel. Da steht auch schon Hera, seine hehre Gattin, die Arme entschlossen in die Hüften gepresst.

Da bist du ja endlich! Hol mal gleich was Gutes zu trinken, damit sich unsere Gäste auch wohlfühlen. Die müssen nämlich jeden Augenblick da sein.“

Ja, ja, schon gut, wollt ich sowieso gerade machen“, nuschelt er, ohne ihr in die Augen zu schauen.

Ist was, mein Lieber? Du wirkst so niedergeschlagen?“

Ich? Nein, ich bin nur etwas müde.“

Dachte schon, ich müsste mir Sorgen machen.“

Alles gut, alles gut.“

Wenn die wüsste, was ich im Moment für Probleme habe, läuft da sein Denkapparat langsam wieder an. Was sollte ich gerade besorgen? Ach ja, Getränke, richtig. Gute Idee.

Werde meine Sorgen einfach in Nektar und Ambrosia versenken, das hilft immer. Meistens. Manchmal. Ist ja auch egal…“

27 Jan

Europa – Mythos # 26

Endlich werden sich Europa und Chandaraissa treffen! Denn Zeus, Hades und Poseidon haben einen üblen Schwur getan, der nicht nur den beiden Frauen noch viel Kummer bereiten soll. Doch davon später mehr.

In meinen Tagträumen habe ich sie schon so oft gesehen. Jedes mal sah sie anders aus. Jedes mal war es die Lebensfreude, die sie unbändig auszustrahlen wusste. Jedes mal murmelte ich wie selbstverständlich: Meine Freundin, komm! Jetzt sehe ich sie, spüre die Freude und flüstere nur ganz leise: Komm, meine Freundin, komm!

Die vier Priesterinnen horchen auf. Fast wären sie im Morgengrauen eingeschlafen. Aber der Hohenpriesterin Stimme holt sie sanft aus ihren Träumen. Möwengeschrei hält leicht dagegen. Eine frühe Brise beflügelt die wilde Schar. Wo schaut sie denn hin? Weder Wolken, noch Wellen rühren sie, nein, eine fremde Gestalt hält ihren Blick gefangen. Schnell werfen sie Holz nach ins Feuer, huschen aus dem Dämmerlicht der Höhle in den jungen noch so müden Tag und eilen der Frau entgegen.

Europa staunt. Dieser Morgen schmeichelt ihr mit all seinen zerbrechlichen Waffen: Dem jungen Licht, dem leichten Wind, dem salzigen Duft der Luft und dem endlosen Blau von Himmel und Meer. Jetzt bemerkt sie die vier kleinen Gestalten. Als wären sie von magischer Hand ins Bild gemalt worden; vier feine, fließende Bewegungen. Daraus werden laufende Frauen in wehenden Gewändern. Jede in einem anderen leichtfüßigen Schwung. Träume ich? Sicherlich.

Kilcho, Lade, Sarsa und Belursi kichern, jauchzen, winken jetzt sogar. Endlich erleben sie wieder solch einen Augenblick, von dem Chandaraissa so oft erzählt. „Es gibt sie wirklich, glaubt mir, sie kommen immer wieder. Gerade, wenn wir sie am wenigsten erwarten; sie lassen unser Herz und unser Blut in Wallung geraten, als wären wir von Sinnen.“ Sprachlos lauschten die vier solchen Prophezeiungen hinterher, mit offenem Mund und angehaltenem Atem. Ob das jetzt so ein Augenblick ist? Das Lächeln ihrer Herrin schien es zu verraten. Aber was hatte sie geflüstert? Zu dumm aber auch, dass sie eingenickt waren. Hätte sie nicht früher oder später kommen können, die fremde Frau? Ganz außer Atem laufen sie auf sie zu. Kilcho hält plötzlich an; Lade, Sarsa und Belursi stolpern fast über sie.

„Hey, was soll das?“

Schnaufend stemmt Kilcho ihre Fäuste in die Hüften:

„Was soll das, was soll das? Denkt doch selber mal nach, ihr drei!“

„Hä?“

„Ja, habt ihr denn eine Idee, was wir der Fremden sagen sollen?“

Betretenes Schweigen. Schnaufen im Chor zu viert. Oh je, ist das peinlich. Als sie sich ratlos in die Augen schauen, müssen sie schließlich prusten und lautlos in sich hinein lachen. Kein Rat, nirgends. Eine Schar Möwen über ihnen kreischen stattdessen vielstimmig durcheinander. Denen fehlt es nicht an Stimme, Botschaft und Ratschlägen, scheint es den Vieren.

Eben noch sah es so aus, als wollten die vier zu mir laufen, denkt Europa. Aber warum bleiben sie jetzt stehen, drehen mir den Rücken zu? Vielleicht haben sie mich gerade erst entdeckt und wissen nun nicht, was sie tun sollen. Ich werde ihnen einfach entgegen gehen und sie fragen, ob sie mich zur Hohenpriesterin führen können.

Chandaraissa tritt aus dem Schatten der Höhle in das ihr entgegenkommende Morgensonnenlicht. Schützend hält sie eine Hand über ihre Augen. Ihre vier Priesterinnen halten gerade eine kleine Ratsversammlung ab, sie tuscheln miteinander. Sicher sprechen sie sich gerade ab, wer was wie sagen soll. Dabei müssen sie doch gar nichts sagen. Die Fremde wird ihnen lächelnd die Worte in den Mund legen, die sie jetzt noch gar nicht kennen. Die Göttin hat mich diesmal lange warten lassen, bis sie wieder jemanden zu mir schickt. Aber es ist ein guter Morgen für ein neues Abenteuer der Leidenschaft und Lebensfreude. Ich bin bereit dazu! Die fast schon vergessene Botschaft vom Glück weiter zu geben.