11 Mai

Autobiographische Blätter – erneute Annäherungen # 1

Die neue Pest hat nun schon mehr als ein ganzes Jahr den Erdball fest im Griff. Wird sie an einer Stelle zurückgedrängt, meldet sie sich umso gewaltiger an anderer Stelle wieder zu Wort. Sisyphus lässt grüßen. Aber die Erdlinge müssen weiter an einen Sieg glauben. Zu sehr schreckt sie verfrühter Tod.

Jetzt – es ist Ostersonntag 2021 – zeigt sich der Feiertag in grauen und kalten Gewändern und lustloser Aufmachung. Landauf, landab kämpfen die Menschen gegen Windmühlen, so scheint es. Deshalb sind sie wütend und wenig einsichtig. Sie wollen ihr altes Leben zurück. Aber wie? Überall lauert der unsichtbare Flieger, durch die Nasenlöcher heimlich in die Lungen sich einzuschleichen und dort sein mörderisches Treiben zu veranstalten. Ein Totentanz – lautlos und höchstens röchelnd später dann. So viele sind ihm bereits zum Opfer gefallen. Und jeden kann es treffen. Die Leugner genauso wie die Vorsichtigen. Und jeder bastelt weiter an seiner „wahren und frei erfundenen Geschichte“ wie ein leidenschaftlicher Rufer in der Wüste. Und die verwöhnten Zeitgenossen – Aufschieben Können ist keine Kunst mehr, höchstens noch ein Tun von Verlierern oder Heulsusen – spüren zwar, dass ihr Versumpfen im Digitalen Tag und Nacht weder Befriedigung noch Zuwachs bringt, aber sie halten jedes Besinnen auf die Neuentdeckung der Langsamkeit und Bescheidenheit für eine erbärmliche Schwäche, doch störrisch beharren sie auf den eingeübten Mustern, als wären es Naturgesetze. Dabei könnte die Verlangsamung des Alltags eine Menge drängender Wahrheiten ans Licht spülen:

1. Wir Erdlinge verbrauchen viel mehr als wir für unser Auskommen nötig haben.

2. Wir Erdlinge schikanieren gnadenlos die natürlichen Voraussetzungen unseres Überlebens.

3. Wir Erdlinge verharren eingebildet in Mustern, die wir als unabänderlich für unseren Alltag ansehen.

4. Wir Erdlinge spielen wie immer das Schwarze-Peter-Spiel: Schuld ist immer der andere, vor allem der Fremde oder das Fremde.

5. Wir Erdlinge glauben zwar nicht mehr an die alten Götter, doch die neuen sind noch viel erbarmungsloser als die gestrigen.

6. Wir Erdlinge könnten längst Hunger und Not auf unserem Planeten abgestellt haben – wir müssten nur die KI dafür einsetzen.