11 Mrz

Europa – Meditation – # 86 Heimat – Text Nr. 5

Heimat – und keine Ende der Debatte

Es war abzusehen, dass einige Leser und Mitdenker des blogs gerne wissen möchten, warum im letzten Text einerseits von unterschiedlichsten Heimaten die Rede war, andererseits aber fast wie in einem Gegenbild von Nationen wie Japan und Palästina (wobei hier nicht auch noch die Palästina-Debatte eingeschleust werden soll – das kann an anderer Stelle sehr wohl noch ausführlichst geschehen!).

Ich gebe zu, dass sich da eine leichtfertige begriffliche Ungenauigkeit einschleichen konnte, die der beabsichtigten Argumentationsrichtung im Grunde zuwider läuft.

Drum hier die notwendige Korrektur und Klarstellung:

Es scheint, dass in Japan die Menschen durch Geschichte, Mythen und Erziehung nachhaltig eingebunden bleiben in eine Bilderwelt, die ihnen von klein auf vertraut ist und mit ihnen reist, wo auch immer sie die Berufswelt hin spülen mag – trotz der auch in Japan krakengleich um sich greifenden Fliehkräfte moderner Arbeitsweltbedingungen. Wie hinter einem feinen und bunt bemalten Fächer bleiben so die Menschen fest verortet mit diesen alten Geschichten und Orten aus Kindertagen, in denen Großeltern leise und gebetsmühlenartig Geister, Bäume, Höhlen und Tiere bemühten, um ein buntes Band von Zugehörigkeiten um die Enkel zu wickeln. Das wärmt ein Leben lang. Heimat eben.

Auch in Palästina – gerade weil eine Idee wie die Nation immer ein albtraumhafter Mythos blieb – werden die Kinder von ihren Großeltern stattdessen mit Bildern aus uralten Geschichten und Mythen umflüstert, die ihnen helfen soll, die elende politische Wirklichkeit für dieses Volk zumindest auf der Ebene der Familiengeschichten hinter sich lassen zu können. Wie auf einem fein geknüpften Erzählteppich fliegen sie so sicher gegurtet durch einen Alltag, der ihnen sonst eine schlimme Heimatlosigkeit zumuten müsste. Eine wärmende Heimat eben.

Demgegenüber ist natürlich ein Innenministerium, das Heimat als Teil des zu bearbeitenden Themenfeldes ansieht, geradezu absurd.

Hinzu kommen nun auch noch die Verlockungen der digitalen „Wolke“, die mehr und mehr zu einer Art Surrogat zu werden scheint – eine neue Heimat gewissermaßen, die allerdings das, was sie verspricht, nicht halten kann. Wie auch? Denn diese neuen Gewohnheiten sind nichts weiter als eine bodenlose Einladung zu einem freien Fall ins Nirgendwo – Heimatlosigkeit als neues Lebensgefühl der Sonderklasse! Die Leichtigkeit und scheinbare Zeitlosigkeit, mit der diese Angebote ununterbrochen schmeichelnd anklopfen, sind einfach unwiderstehlich und eine angenehme Provokation den Spielverderbern gegenüber, die nicht müde werden zu warnen: „Das tut dir nicht gut, das tut dir gar nicht gut!“

Wie beim freien Fall im bungy-jumping ist der kick so gewaltig, dass er sehr, sehr schnell zur Sucht werden kann. Nur gibt es in der „Wolke“ kein Seil mehr. Die Rückkehr müsste der freie Wille aus freien Stücken bewerkstelligen können. Und das kann er nur, wenn er geerdet ist in einer ihm vertrauten und lieb gewordenen Heimat, die mit ihm reist, wo auch immer er hin aufzubrechen beschließt.

06 Mrz

Europa – Meditation # 85 Heimat – Text Nr. 4

Heimat-Ministerium – so ein Quatsch!

Wie die Lemminge huschen sie mit ihren Augen über das Flimmerangebot dieser Tage: In Südkorea wird das Füllhorn der Medaillen ausgeschüttet – wie strenge Buchhalter zählen sie die Münzen. Man wiegt wohlwollend die Köpfe. Die Medien geben ihr Bestes. Geht in Ordnung, sagt die Volksseele, geht in Ordnung – hätte schlimmer werden können. Bei der Goldkür lassen Musik und fliegende Figuren für einen Moment den Atem anhalten. Schön anzuschauen. Diese Kraft und diese Leichtigkeit zugleich. Wenn die Heldinnen und Helden nach Hause kommen, sollen sie in der Heimat würdig empfangen und gefeiert werden. Klar.

Auch die Bilder von der Westküste der ehemals Neuen Welt – die vielen inzwischen ziemlich alt erscheint – versorgen die huschenden Augenblicke die Glotzer mit Glamour und Glitzer. Fern der Heimat. Aber keine wirklich bekannten Helden werden hinterher zu Hause zu feiern sein. Schade. Da muss in der Heimat doch noch mehr dran gearbeitet werden, am filmischen Können. Oder? Oder sind in unserer Heimat die Filme darüber einfach nur anders?

Heimat.

Jetzt soll doch tatsächlich die Hymne umgearbeitet werden: Aus Vaterland soll Heimatland werden. Und in Berlin ist ab Mitte März das Innenministerium nicht mehr nur für Polizei, Sicherheit und Ordnung verantwortlich, sondern auch für die Heimat. Ein kleiner Handstreich eines machtbesessenen Ministers, weiter nichts. Claqueure gratis dazu.

Heimat?

Im huschigen Alltag – zum Glück gibt es ja noch den Tatort, die Bundesliga und die champions-league – weiß keiner so recht, was das soll, diese Heimat-Euphorie.

Denn eigentlich muss niemand darüber aufgeklärt werden, wo seine Heimat liegt. Erstens trägt er sie in sich und zweitens kann er sie jederzeit besuchen. Dazu bedarf es keiner Weltreise und auch keiner Anleitung. Bei jedem Klassentreffen stellen sich wie von selbst die entsprechenden Bilder ein, aus denen man sich heraus entwickelt hat – abnabeln kann man sich davon jedenfalls nicht. Wer will das denn auch überhaupt? Jedenfalls an keiner Garderobe abzugeben.

Das Unbehauste und Entwurzeltsein als Stärke zu verkaufen, kann doch wirklich nur den Personalern großer Player einfallen, wenn sie neue Leute suchen für China, Indien oder Korea. Eigenartig: Nach Japan wird kaum jemand geschickt. Darüber sollten die vielleicht mal nachdenken. Für einen Japaner jedenfalls – wie übrigens auch für jeden Palästinenser – ist Heimat eine Erfahrung, die sie trägt, wo auch immer es sie hindriften lässt – jenseits jedweder nationaler Ummantelung.

Heimat findet niemals in einem Heimatministerium statt und das Heimatland hat mit dem Vaterland wenig gemein. Dazwischen liegen Welten, zum Glück.

10 Jan

Europa – Ist das nicht wahres Weltbürgertum? – Meditation # 79

Zwei Großaktionäre machen sich Sorgen um unsere Kinder

Zwei Großaktionäre eines Schnurlostelefonherstellers mit eingebautem Endlosunterhaltungs-Programm machen sich echt Sorgen um die kindlichen Nutzer – Wie kann das Unternehmen etwas dagegen tun, dass weltweit dem sich anbahnenden Suchtverhalten dieser kleinen Kunden Gegenkräfte implantiert werden – vielleicht so etwas wie eine mentale Obseleszenz?

So viel Weitsicht und kindbezogenes Einfühlungsvermögen haben sicher nur die wenigsten solchen Großaktionären zugetraut. Wie man sich täuschen kann. Oder sind die selber einfach die besseren Täuscher?

Nun, später in ihrer sorgenvollen Anfrage beim kalifornischen Macher wird natürlich doch noch klar, dass es im Grunde nicht um das Kindeswohl geht, sondern um stabile Wachstumsraten. Dass man also eigentlich den Bock zum Gärtner machen möchte, ist jedem halbwegs kritischen Zeitgenossen nicht verborgen geblieben.

Die großen „Spieler“ (um die deutsche Übersetzung des englischen Strahlebegriffs zu nutzen) sind längst solch biederen Fragestellungen entwachsen. Zu sehr berauscht sie der eigene Erfolg und die offensichtliche Unangreifbarkeit durch Staat und Gesellschaft oder nationale Gesetze (auf dem Feld des Steuern Zahlens liefern sie ja bereits anschauliche und eindrucksvolle Beispiele ihrer außerordentlichen Rolle)

Aber die angesprochene Sorge ist allerdings sehr ernst zu nehmen.

Nur kann sie nicht am Tisch irgendwelcher von sich selbst berauschter „Think Tanks“ zielgerichtet verhandelt werden, sondern nur am Tisch der Familie, während sie gemeinsame Rituale zu retten versucht: Gemeinsames Essen, gemeinsames Spielen, gemeinsames Reden, gemeinsames Arbeiten, gemeinsames Nach-Denken.

Wenn sich allerdings jeder dabei hinter seinem kleinen Zauberkästchen verschanzt, ist von gemeinsamem Leben keine Spur mehr da. Die Verlockungen anonymer Digital-Partner, die keine sind, bleiben einfach durchweg die Sieger. Sie haben den längeren Atem (so etwas wie Geduld kommt in deren Pseudowelt gar nicht erst vor).

Was das mit Europa zu tun hat, könnte nun der geduldige Leser des blogs zurecht fragen.

Einiges, vieles.

Denn die Verlockungen aus dem Äther, die ja den Großaktionären weitere Kurssteigerungen garantieren sollen, sind nun wirklich absolut jenseits all dessen, was europäische Lebensweltgeschichten kennzeichnete. Und hier ist nicht die Rede von der EU, sondern von den vielen Regionen in Europa, in denen seit so vielen Jahrhunderten schon Kinder in vielerlei Sprachen und Sitten groß gezogen wurden, weil sie umgeben waren von Eltern und Großeltern, die Zeit für ihre Kinder hatten und Ansprüche an sie stellten. Daran konnten die Kinder wachsen und sich reiben, bis sie selbst zu kritischen Individuen herangewachsen waren. Umstellt blieben sie aber stets vom vertrauten Rahmen der Familien, Verwandten und Bekannten ihrer Gegend. Das gab so etwas wie Urvertrauen und Sicherheit. Alles Begriffe und Werte, die den Großaktionären im fernen Kalifornien völlig gleichgültig sind, den Produzenten ihrer Produkte ebenfalls. Alle beten den Götzen dieses haltlosen Spielzeugs an – schwärmen von globaler Vernetzung und totaler Verfügbarkeit. Schlafen, Regenerieren müssen sich diese Dinge nicht, sie sind verlässlich immer da für jeden, der sie nutzen will, Tag und Nacht. Und alle, die das nicht gut finden können, sind in ihren Augen bloß Spielverderber oder lebensuntüchtige ewig Gestrige. So einfach ist das heute. Und Kinder haben natürlich keine Lust auf Grufties dieser Art und laufen – wie Lemminge – jauchzend den Rattenfängern hinterher, als gäbe es da etwas zu gewinnen, als böte man ihnen dort das pralle Leben.

Auch die EU setzt 100% auf völlige Digitalisierung der Arbeitswelt und des Lebens überhaupt – immer unter der Flagge von mehr Teilhabe, mehr Freiheit, mehr Selbstverwirklichung. Jetzt sind die Schulen dran: Auch das wird die Großaktionäre freuen (hinter vorgehaltener Hand werden sie süffisant säuseln: Wurde aber auch wirklich Zeit, dass diese abgehängten Europäer noch auf den Zug aufspringen!). Bald ist nicht nur das Kinderzimmer, sondern auch der Klassenraum voll vernetzt und alle Daten schön gespeichert, damit die Kinder mit staunenden Augen bei jedem Klick fasziniert stammeln: „Ne, das glaub ich jetzt nicht! Woher wissen die denn, was mein Lieblingslolly ist?“ Der neue Weltbürger lässt sich gerne bedienen. Alles so einfach, endlich. Europa? Hä?