27 Nov

Leseprobe – Das Dekameron neu erzählt – 2022 Blatt # 68

Klipenias Tanz im blendenden Feuerkranz.

Zu glitzerndem Staub zerfallen altvertraute Muster. Abendluft erfrischt bei jedem Atemzug die jungen Leute. Traumwandlerisch nähern sie sich einander. Wer gibt da wem die zitternde Hand? Was für ein Beben geht da durch die schwankenden Leiber? Als wären noch Reste des Abendsonnenlichts im Rundtempel der Eos schwebend geblieben. Die Augen helfen ihnen sich zu wundern. Eine Tänzerin mittendrin. Nackte Arme greifen in einen endlosen Sternenhimmel. Fingerspitzen winken dem Dunkel entgegen. Und der rotgewandete Körper windet sich wohlig inmitten des Runds. Es ist wohl Klipenia, die große Zauberin. Lordum spürt Neifiles Atem an seiner Schulter. Lächelt die Tänzerin ihnen entgegen? Als sie langsam zu Boden sinken, empfangen weiche Kissen sie. Er hört, wie Lukimeeló nicht weit von ihnen entfernt, leise kichert. Lordum kann im Augenwinkel sehen, wie sie winkt. Wem zu?

Jetzt spürt er Neifiles Hand an seinem Hals. Ihr Streicheln bringt ihn um seinen Verstand. Gerne legt er ihn zur Seite. Alles, was gilt, ist jetzt in seinem Blick. Kleiderlos bald wärmen sie sich gern mit sich. Seine Zunge tanzt längst an einem samten weichen Ort. Oder bildet er sich das nur ein? Weil der stumme Tanz der schönen Zauberin ihm hilft, gemächlich aus der Zeit zu fallen. Langsam stürzend tief hinab, baden sie jetzt beide im Verschwenden. Ihr lockendes Lachen verbindet zumal, ein ferner Seufzer streicht fast lautlos an ihnen vorbei. Wer war es denn? Oder sind sie es selbst, die ihren eigenen Tönen neu begegnen. Wie sie weich aus ihnen strömen, als wären es wärmende Wasserfälle des Glücks, der Lebensfreude.

Ob da gerade nicht sogar die Nachtigall noch einmal singt? Ist es ihr Wunsch, ist es wahr? Da ist keiner mehr in diesem Augenblick, der sich nicht dem Tanz Klipenias ganz hinzugeben wünscht. Keiner.

Freundlich deckt die Dunkelheit ihren schützenden Schleier über sie alle hin. Schamlos sinken sie in feinen Schlaf. Für einen beglückenden Augenblick nur. Ihnen aber scheint er erquickend lange zu dauern. Denn wenn sie dann wieder die so wohltuend müden Augen öffnen, nach und nach, ist die Wärme ihrer Körper ihnen ein wunderbares Kleid. Kostbar schimmernd in der allmählich mondhellen Nacht.

Und als Lordum nun Neifile neben sich wiedererkennt, sieht er noch gerade, wie die Göttin aus dem Tempelrund tritt, ihm zuzuwinken scheint und schon verschwunden ist.