10 Apr.

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 158

Europa und Archaikos sprechen mit den Zwillingen.

Mit vielen Kissen im Rücken sitzt der Minos von Kreta in seinem breiten Bett und versucht zu lächeln. Europa, seine wunderbare Frau, und die beiden Söhne, Parsephon und Samadanthys, um ihn geschart, halb stehend, halb kniend, halb am Bettrand abgestützt, versuchen zu verstehen, was Archaikos gerade stotternd flüstert:

„Der Traum, der Traum hat mich…“ er muss heiser husten, schließt die Augen, schüttelt den Kopf, während seine Hand die von Europa sucht, zitternd.

„Schone dich, mein geliebter Mann, schone dich!“ versucht Europa tröstend beizuspringen.

„Vater, was soll geschehen, wenn es soweit ist?“ Parsephon stellt die entscheidende Frage. Erschrockene Blicke gegen hin und her. Sollen sie jetzt den Sterbenden so bedrängen? Bringen sie so nicht nur das Ende noch schneller herbei? Oder ist es doch richtig, jetzt diese Frage zu stellen? Archaikos erlöst die Verunsicherten:

„Lasst Europa euer Vormund sein, bis eure Zeit gekommen ist. Und dann…“

Wieder versagt dem Minos seine Stimme. Aber er öffnet doch erneut seine Augen, tränenschwer, und fährt dann so fort:

„Parsephon, Samadanthys – teilt euch das hohe Amt. Zu zweit werdet ihr die bösen Absichten des Rats der Alten abwehren können, zu zweit seid ihr doppelt so stark. Das wünsche ich mir.“

Die Zwillinge sind sprachlos. Zusammen? Das hat es noch nie gegeben. Sofort gehen ihnen viele Einwände durch den Kopf. Aber jetzt dem Vater widersprechen? Nein, das können sie nicht. Auch Europa ist völlig ergriffen von diesem entscheidenden Moment. Sie und Archaikos hatten oft lachend so einen Plan erwogen – schon vor Jahren – aber es blieb immer offen, wie ernst sie es denn damit nehmen würden, wenn es ansteht. Und jetzt steht es an und Archaikos hat es klar ausgesprochen: Eine Doppelspitze soll es sein.

Und schon kommt der Augenblick, den sie alle fürchten: Archaikos holt noch einmal tief Luft, wirft einen Blick in die Höhe – was sucht er da? – und sackt dann langsam in sich zusammen. Eine Atem raubende Stille erfasst Europa und ihre beiden Söhne. Tränenschwer ringen sie um Fassung. Umsonst.

„Es ist soweit.“ Europa steht als erste auf. Sie weiß, dass die nächsten Stunden für sie und die Zwilligen entscheidend sein werden.

18 März

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 157

Das geheime Treffen der Ratsherren (Teil 3)

Was für eine Niederlage! Im Ratssaal überwiegen bei weitem die lauten Töne:

„Nur weil sie die Frau des Minos ist, meint diese Europa, sie können ohne uns regieren!“

„Ein böser Dämon ist sie, war mir immer schon klar!“

„Die bringt den bestimmt noch um!“

„Nee, glaub ich nicht, die möchte doch möglichst lange Vormund sein!“

Höhnisches Gelächter.

Die alten Ratsherren sind kaum wieder zu erkennen.

„Pallnemvus, verlang doch einfach vom Hof das geliehene Geld zurück! Dann werde die sofort mit uns reden, da kannst du sicher sein.“

„Mh, tja, das ist eine gute Idee, Gromdas, aber ich warte lieber, bis meine Schiffe aus Luxor zurück sind, dann sind die Kassen wieder voll und wir können den Leuten ein Fest schenken und dabei für uns werben.“

Gromdas ärgert sich. Dieser Pallnemvus kann einfach nicht den Hals voll kriegen. Ich sollte vielleicht die Hohepriesterin zu gewinnen versuchen, ihr ein paar üble Geschichten über diese Europa erzählen. Vielleicht schwenkt sie dann auf Seiten der Ratsherren um. Vielleicht, denkt Keltberias. Er wird versuchen, noch heute eine Audienz bei Archaikos zu ergattern. Er muss sich selbst ein Bild vom Krankheitszustand des Minos machen. Vielleicht wird er ja sogar wieder ganz gesund. Dann ist diese miese Vormundschaftsgeschichte sowie so im Nu nichts zerronnen.

„He, Collchades, was haben denn deine Spitzel herausbekommen?“ fragt hinter vorgehaltener Hand Berberdus, der Vorsitzende. Der zieht nur ratlos die Schultern hoch. Das soll wohl heißen: Nichts Neues.

Da klopft Berberdus mit seinem kleinen Hämmerchen auf sein Rednerpult und bittet die Ratsherren, Platz zu nehmen. Geraune, Gerenne, Stühle Rücken, Gemurmel, erwartungsvolle Blicke. Zwei alte Sklaven schließen die Doppeltür zum Saal. Es wird schließlich still.

„Der Vorfall sucht seines gleichen“, beginnt Berberdus. Gleich wird er von einem Zwischenruf unterbrochen:

„Es ist eine beispiellose Anmaßung einer Frau!“

„Bitte, wir sollten jetzt nicht den Kopf verlieren, bitte, meine Herren! Collchades. lass im ehemaligen Saal der Ölkrüge in den alten Schriftrollen nachschauen, ob ein ähnlicher Fall überliefert wird. Ich jedenfalls kenne keinen.!“

„Berberdus, es ist jetzt keine Zeit für lange Suchaktionen in alten Texten, es ist höchste Zeit, dass der Rat der Alten den Kretern vorführt, was es bedeutet, wenn man alte Gepflogenheiten einfach übergeht: Dann macht man sich schuldig – selbst die Höchststrafe – dem Minotaurus zum Frass vorgeworfen zu werden – ist da eine angemessene Antwort. Dem müsste dann selbst der sterbende Archaikos zustimmen.“

Einen Augenblick ist es leichenstill im Saal. Dann springen die ersten begeistert auf, Stühle kippen um, dröhnend schlagen sie auf dem Marmorboden auf. Zwischenrufe. Berberdus, der Vorsitzende, versucht die Kontrolle zurück zu gewinnen. Aber vergeblich. Die Ratsherren schütteln sich bereits die Hände, jubeln. Aus ihrer Sicht ist gerade per Akklamation eine Zustimmung erteilt worden, Europa zu bestrafen. Strengstens. Der hohe Saal hallt wider von den aufgeregten, wütenden und wild entschlossenen Ausrufen dieser alten Männer, die sich plötzlich wieder stark und wichtig fühlen. Sie werden ihre Macht nicht aus ihren Händen geben, erst recht nicht an eine fremde Frau.

Schließlich, bevor die ersten Ratsherren begeistert den Saal verlassen, erhebt Berberdus noch einmal die Stimme:

„Meine Herren, ich muss wohl nicht betonen, dass völliges Stillschweigen über unseren radikalen Entscheid selbst verständlich ist. Ich werde allerdings sofort alle notwendigen Maßnahmen einleiten.“

Da breitet sich eine selbstgefällige Zufriedenheit über die alten Gesichter aus: Gut so, Berberdus, gut so, du kannst dich auf uns voll verlassen, sollen Gesten und Mimik wohl zum Ausdruck bringen.

Dann wird es ungewöhnlich still im Palast des Minos von Kreta.

Nur oben, auf dem Gesims des hohen Palastgebäudes, hocken weise, alte Vögel, krächzen dann und wann leise, tippeln hin und her oder fliegen noch eine Runde über der weitläufigen Anlage. Sie kennen diese Stille über dem Gemäuer nur zu gut: jedes Mal gab es Ärger, großen Ärger unter den Menschen – danach, nach dieser trügerischen Stille.

13 März

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 156

Kriegsrat der drei göttlichen Brüder.

Auf dem Olymp sitzen mal wieder die drei alten Brüder in ihrer Bar, schlürfen dösig Nektar und Ambrosia und folgen eher benommen den langatmigen Ausführungen des ältesten der drei: Zeus.

„Also, wie ich schon sagte…“ setzt Zeus gerade erneut an. Poseidon nickt gerade gerne weg, die Stimme seines Bruders ist ihm die beste Melodie zum Einschlafen. Hephaistos aber, den die weitschweifigen Tiraden des Bruders zum Wahnsinn treiben, platzt aufgebracht dazwischen:

„Hör mal, Bruder! Hast du nun eine Idee oder hast du keine? Komm mal auf den Punkt, ja!“

Zeus verschlägt es die Sprache. Was glaubt der eigentlich, wer er ist? Am liebsten würde er seinem aufmüpfigen Bruder jetzt so richtig mal die Leviten lesen, aber es gibt im Moment leider Wichtigeres. So schluckt er seine Schelte herunter und tut so, als sei er geradezu dankbar für den unmöglichen Beitrag seines Bruders.

„Der Punkt ist doch allzu offensichtlich: Archaikos, der Minos, liegt im Sterben, Europa schwingt sich zum Vormund ihrer Zwillinge auf, der Rat der Alten ist vor Zorn zu allem bereit – eine bessere Krise werden uns die Kreter da unten nicht inszenieren – oder?“

Poseidon schreckt aus einem schwülen Traum hoch. Dass sein Bruder aber immer auch so laut reden muss, wenn er nicht mehr weiter weiß, wirklich!

„Äh, haben wir nicht gerade erst eine heftige Niederlage hinnehmen müssen, weil wir den Tanz zu Ehren der großen Göttin nicht verhindert haben?“

Hephaistos und Zeus wechseln entsetzte Blicke: Was ist denn mit ihrem Bruder los? Wir reden hier gerade über den neuen Plan und der wärmt stattdessen die Suppe von vorgestern auf. Also wirklich!

„Wir sind schon ein paar Schritte weiter, lieber Bruder“, säuselt Zeus in die Runde. Er will jetzt einfach voran kommen. Poseidon nickt.

„Und ob!“ ergänzt der Meeresgott, „und ob!“

„Nämlich?“ fragt Hephaistos darauf so beiläufig wie möglich.

„Wir haben gerade vereinbart, bei der Beerdigung des Minos mit einem kleinen Erdbeben nachzuhelfen. Zufällig wird Europa dabei von einer umfallenden Säule erschlagen werden!“

Zeus grinst übers ganze Gesicht, schlürft aus seinem Pokal dazu laut sein Zuckerwasser und tut so, als habe er das Gesagte gar nicht gerade erst erfunden, sondern längst mit Poseidon besprochen.

Poseidon kann es gar nicht fassen. Dass sein Bruder immer wieder eigenmächtig Dinge verkündet, die er mit seinen Brüdern überhaupt nicht abgesprochen hat, ist so typisch für ihn. Am liebsten würde er jetzt einfach aufstehen und in sein Wasserreich abtauchen, aber er ist einfach zu müde dazu. Bei Gelegenheit will er ihm dann doch noch die Meinung sagen, auf jeden Fall. Hephaistos klatscht in die Hände.

„Gut, gut, Bruder, gut! Ist ja ein völlig neuer Plan!“ prustet er los. Er denkt nämlich, sein Bruder habe einen Witz gemacht. Zeus tut so, als meine es Hephaistos ernst. Poseidon hält weiter seine Augen geschlossen und tröstet sich damit, dass er denkt, dass er das gerade alles nur träumt.

„Ähm, ist der Minos also schon gestorben?“ fragt er leise in die Runde. Zeus und Hephaistos sind einem Lachanfall sehr nahe, wollen aber ihren Bruder nicht aus seinen Träumen holen.

Zeus stößt noch einmal mit Hephaistos an, allerdings scheppern dabei ihre Pokale dermaßen, dass es Poseidon aus seinem Sessel holt. Zeus ist zufrieden. Denn für ihn sieht es nun wieder so aus, als könnte er seine demolierte Männlichkeit noch einmal reparieren. Eins jedenfalls ist ihm ein für allemal klar geworden: Als weißer Stier wird er nicht mehr bei den sterblichen Frauen auftauchen – auch wenn sie noch so begehrenswert erscheinen mögen.

Und als er jetzt hinter seinen beiden Brüdern die olympische Bar verletzt, denkt er sich gleich neue, unwiderstehliche Verwandlungen aus. Und schon hat er wieder bessere Laune. Vielleicht als Schwan, als weißer Schwan?