02 Dez.

Europa – Meditation Nr. 473

Herrschaft des Volkes – eine lahme Ente?

Vor dem Bildschirm lässt sich gut unken. Lässt sich gut Kopf schütteln, lässt sich gut besser wissen. So auch gestern Abend wieder, als sich ein Mann vor einer nicht locker lassenden Frau aus der Schlinge zu winden versuchte.

1. Versuch: Tempo- und wortreich im Fachjargon der Zahlenjongleure möglichst eine Nebelkerze nach der anderen werfen. „Wo ist der Nebel, bitte schön, wo ist der Nebel?“ Wie ein sehr blasses Abbild eines Pontius Pilatus, der mit Poker-face und Ausgewogenheitsjonglage seine Hände wieder und wieder in Unschuld wäscht. Schuld sind selbstverständlich sowie so die anderen.

2. Versuch: Wenn die Sach-Kompetenz nicht die gewünschte Wirkung herbeizureden weiß, dann eben die Empörungsvariante, die Emotions-Klimax: „Was glauben Sie denn, wie ich mich gefühlt habe, von so vielen missgünstigen Journalisten öffentlich wieder und wieder vorgeführt zu werden?

Aber dem Zuschauer wollen einfach keine Tränen kommen. Zu durchschaubar ist das schmallippige Theaterstückchen, das da vorgeführt wird, zu offensichtlich der litaneien-bieder vorgeführte „Sprech“.

3. Versuch: Dann treten auch noch zwei ebenbürtige Fachleute auf: ein ruhiger und versierter Mann und eine ebenso sachkundige Frau, die den liberalen Vorkämpfer mit den eigenen Waffen leicht zu schlagen wissen, so dass am Ende nur eines klar zu sein scheint:

Es hilft wahrlich nicht, mit Angstmache in der wirtschaftlichen Krise den Bürger, der seine Herrschaft per Wahl ausüben muss, in die Enge zu treiben oder Sand in die Augen zu streuen – von Nebelkerzen ganz zu schweigen (ist das vielleicht auch die Ursache dafür, warum diese kleine Partei als Erkennungsfarbe das G E L B favorisiert?) So jedenfalls – nach solch einem wortreichen Ausweichgebaren – sieht der Wähler als Bürger erst einmal tief r o t !

Und nach angemessener Bedenkzeit wird er sicher zu dem Schluss kommen können:

Nicht nur das Gelb hilft in der Sache nicht weiter, nein, auch die Partei, die damit wirbt. Was dieses bisher so solide und vorbildliche Land braucht – nachdem es mit Hilfe neo-liberaler Versprechungen (ein unseliger Import aus Übersee) krank geschrumpft wurde – , ist eine Regierung, die aufhört mit Hilfe von Schuldzuweisungen den status quo zu verwalten, sondern stattdessen eine rigorose Aufbruchsstimmung propagiert, weil das Zeitalter des egoistischen Konsums, der anmaßenden Dienstleistungsansprüche, der fossilen Ausbeutung zu Ende gegangen ist und alle Lust auf ein neues Zeitalter verbreiten helfen, damit

– marode Infrastrukturen – Brücken, Schwimmbäder, Schulen, Kindergärten – erneuert und europäische Standards vereinbart werden;

– die Verdrossenheit den gewählten Vertretern gegenüber begraben und mehr auf regionalen Ebenen Verantwortung transparenter zugewiesen wird – als selbstverständliches Rotationsmuster;

– der Staat mutig Geld in die Hand nimmt, um es der öffentlichen Hand, aber auch großen und kleinen Unternehmen zu ermöglichen, mit billigem Geld in eine neue Zukunft zu investieren, die gerne die individuelle Mobilität in den Ballungszentren hinter sich lässt und völlig neue Netzwerke der Bewegungen von A nach B erfindet.

– der schier unvorstellbare Geldberg in den Händen wenigen kompromisslos vergesellschaftet wird, um keinen Tag länger die überlebensnotwendigen Umweltstandards europaweit zu verwirklichen.

Gelb wird dann nur noch der plastikfreie Uferbereich der Meere sein; und natürlich safranfeine Gerichte, nicht für lahme Enten, sondern für optimistische Menschen, die es nicht nötig haben, sich gegenseitig mit Nebelkerzen die Sicht zu verstellen.

29 Nov.

Europa – Meditation Nr. 472

Warum das Lügen so ein gutes Gefühl erzeugt.

„Wo ist die Nachricht?“ fragte neulich ganz kühl der geschasste Finanzminister, als man ihn auf ein Papier ansprach, das in seinem Stall erstellt worden war. Jetzt – knapp eine Woche später – holt ihn nicht nur die Botschaft dieses Papiers erbarmungslos ein, nein, auch die darin angehäufte Nachricht lässt –schwupp-diwupp – gleich den ersten Kopf rollen. Wenn das keine Nachricht ist! Der Zuschauer der heiß laufenden Medien-Demokratie grinst genüsslich: Na bitte, wer sagt es denn! Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne. Der Puls geht hoch: echt, das ist ja wirklich unterhaltsamer Journalismus! Die sind richtig fix, die Jungs, oh pardon, die Mädels – das heißt, Mädels sollte Mann wohl besser nicht mehr sagen, das ist längst nicht mehr woke.

Und schnell – es muss immer ganz schnell gehen – folgen die „Klarstellungen“: Es sei ein internes Papier, weder der Chef, noch sein erster Sekretär haben etwas davon gewusst. Was ist das denn für ein Betrieb? Der Laden macht wohl, was er will! Führungsschwäche! Sofort springt der loyale Recke in die Bresche für seinen Herrn: „Ich nehme alle Schuld auf mich. Ich habe zwar auch nichts davon gewusst, bin aber für die internen Abläufe verantwortlich.“ (Da rackern sich unsere Leute an der Basis ab, finden tolle Assoziationen („D-Day“ zum Beispiel oder „offene Feldschlacht“) und werden forsch zurückgepfiffen. Aber ihre Arbeit hat sich gelohnt. Denn haften bleiben sowie so nur die auf bloße Effekte angelegten Wortspiele. Und diese Effekte, dass man über diese klitzekleine gelbe Partei überhaupt noch spricht, gelingt raffiniert, in dem man sich einfach ein paar Kleider anzieht, die eigentlich viel zu groß sind für den kleinen Knaben vom liberalen Ufer. D-Day, wenn das nicht mal eine große Nummer ist! Offene Feldschlacht, wenn das nicht mal so richtig mitten ins Herz eines jeden Patriarchen geht. Und schon werden die nächsten Umfragewerte wieder nach oben zeigen. Denn eine so kleine Partei, die so furchtlos lügt und große Töne spuckt, die muss man doch einfach gut finden. Da können die von den beiden großen Parteien nur von lernen. Die beiden von den Rändern des Parteienspektrums sowie so: Na bitte, werden die hinter vorgehaltener Hand raunen, na bitte, das Vokabular vergangener großer Epochen wird ja doch wieder hoffähig. Wie gut tut das denn?

Vor lauter Aufregung über den Lügner aus New York vom Trampelturm, der das Lügen in den Medien wieder so richtig als Knaller etabliert hat, der Stimmen einfängt noch und noch, entgeht dem Zuschauer des europäischen Medien-Theaters völlig, wie auch vor seiner Tür ordentlich gelogen wird, dass sich die Balken biegen.

„Wo ist die Nachricht?“ Gute Frage, Herr Lindner, gute Frage!

Wer sich noch erinnern will und kann, weiß sicher auch, dass diese sogenannte liberale Partei, das gelbe Glücksbringerhäufchen, nicht zum ersten Mal als scheinbar loyaler Koalitionspartner hinter den Kulissen bereits den Königsmord vorbesprach – immer vor dem Hintergrund des Hinterzimmertenors: nur so lange koalieren, bis der wartende neue Koalitionspartner verstohlen winkt. Dann auf keinen Fall zögern. Clandestin alles vorbereiten und über Nacht aus den Unterständen auftauchen und abhauen. Flucht nach vorne. Und natürlich die passenden Lügen längst für die Presse mundgerecht vorbereitet.

Vielleicht sollten sich die Wähler das mal vormerken: die kleine gelbe Truppe taugt nicht für solide, dauerhafte und sozialverträgliche Vorhaben. Also dann auch nicht wählbar, ist doch klar – oder ? Lügen können wir uns einfach nicht mehr leisten, Herr Merz. Oh, pardon, Herr Lindner!

22 Nov.

Europa – Meditation Nr. 471

Warum denn in die Ferne schweifen?

Nein, wir müssen nicht in Utopien ausweichen.

Nein, wir müssen nicht nach Amerika blicken.

Wir können einfach vor Ort, Schritt für Schritt, gemeinsam an einem Neubeginn mitmachen.

Wie das?

Die Staatsform D e m o k r a t i e gerät mehr und mehr ins Gerede. Die Wahlergebnisse in den USA gäben doch ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sie längst medial und mit Geldmittel ausgehöhlt werde, so dass Ergebnisse erzeugt werden können, die immer mehr die eigene Abschaffung mit beinhalten können.

Und auch in Europa seien ähnliche Trends zu beklagen, weil immer mehr Gruppierungen mit in die Parlamente gespült werden, die doch bloß noch das Mittel der freien Wahl benutzen wollen, um das Modell als Ganzes abzuwickeln.

So oder so ähnlich tönen die Kassandrarufe der Pessimisten und akademischen Klugmenschen, die im gleichen Atemzug auch gerne Weltuntergangsszenarien ausmalen, um ordentlich Angst zu machen und/oder auch Schuldgefühle rüber zu reichen.

Damit schafft man aber keine Bereitschaft, gemeinsam ein optimistisches Zukunftsbild glaubhaft auszumalen und auch gemeinsam zu beginnen, es gemeinsam zu gestalten. Nein. So nicht.

Wem also die Utopien zu utopisch sind, die düsteren Orakelsprüche zu düster, dann sollte man vielleicht bescheiden da anfangen, wo man (Frau wie Mann) selbst mit anfangen kann: Vor Ort.

Was bewegt denn hierzulande die Menschen?

Das Thema Gewalt – gar nicht mal Ukraine oder Gaza im Kopf dabei, sondern die eigene Erfahrungswelt draußen vor der Tür:

Keine Verbindlichkeit mehr im Alltag – wenn man auf den Bus wartet oder an der Supermarktkasse,

Keine Hilfsbereitschaft mehr im Alltag – wenn man ratlos nach dem Weg sucht oder jemand an die Wand gedrückt wird,

Keine Solidarität mehr im Alltag – wenn Frauen mies angemacht oder sogar bedroht werden.

Was tun?

Wie wäre es, wenn man den „Wahlkämpfern“ die Pistole auf die Brust setzte und sagen würde: „Wenn du meine Stimme haben möchtest, dann nur dann, wenn du dich vehement für die schnelle Verabschiedung des Gewalthilfegesetzes einsetzen wirst, wenn du ohne wenn und aber die Neuregelung von & 218 mittragen wirst und wenn du die Mittel für Bildung auf 5.5% des Sozialprodukts hochfährst, damit wir zumindest mal über dem OECD-Durchschnitt (!) liegen – aber zum Beispiel von Norwegen noch meilenweit entfernt sind? „

Das wären doch mal drei ziemlich konkrete und nachvollziehbare Forderungen, die auch unserem Nachbarn zugute kommen würden, nicht nur uns und überhaupt nicht utopisch, sondern bloß bisher nicht von unseren Parlamentariern umgesetzt!

„Und nur wenn du dich zu diesen drei Basics verpflichtest, werde ich dich wählen. Und nicht nur ich, sondern auch Millionen andere.“

Das wäre doch mal eine Ansage!

Und was für gute Stimmung würde das schaffen! Jetzt schon bei den Wahlveranstaltungen und natürlich auch hinterher, wenn es an die konkrete Umsetzung gehen wird!

Jeden Tag geht das Wahlvolk zu den Wählständen und stellt diese drei Forderungen als conditio sine qua non! Únd in den social media werden jeden Tag die Frauen (Männer natürlich gerne auch) darüber untereinander palavern und nicht locker lassen, sich solidarisieren und jeden Tag wiederholen, worin die drei Bedingungen bestehen, um vom Wahlvolk auch gewählt zu werden.

Wäre das nicht ein überwältigendes Beispiel dafür, dass das Volk, das ja herrschen soll und bloß aus organisatorischen Gründen die Abwicklung der eigenen Pläne an Vertreter delegiert, weiß, was es will und darauf besteht, dass es auch geschieht?