21 Feb

Europa – Meditation # 440

Selbstvergewisserung angesichts geschürter Ängste.

Wie sehr doch Fremdwörter allzu Vertrautes mit sterilen Vorhängen verdecken können:

„Marginalisierte Menschen“ – „Präkariat“ – „Mentalitäts-Diskurs“

Auf der einen Seite wachsen dumpf die Ängste vor dem unaufhaltsamen sozialen Abstieg: Kündigung am Arbeitsplatz, Bürgergeld, Kündigung der Wohnung, Hitzewellen, Krankheit, Tod. Auf der anderen Seite wachsen der Konsum von Alkohol, Algorithmenflimmerbildchen rund um die Uhr und die wütende Bereitschaft, sich als Opfer der Wenigen da oben zu sehen.

Und wenn diese scheinbar billigen Konditionierungsprogramme nur oft genug konsumiert werden, verfestigt sich der Opferstatus nach und nach nachhaltig. Und die Wut wächst und die Einflüsterer haben Saison!

Die gegensätzlichen Welten, wie sie pausenlos medial und konkret präsent sind, befeuern auf kleiner Flamme mächtige Gefühle: Wut, Zorn, Hass, Gewaltbereitschaft.

Das ist der gesellschaftliche Hintergrund vor dem gebildete Zeitgenossen nun ihren parteipolitischen Eintopf anrühren, der seinen Bodensatz, sein Vokabular und seine Botschaften aus einem vergangenen Thesenangebot nährt, das auch schon der Gefreite aus Braunau als seine Bibel beschrieben hatte: nicht nur gehe die weiße Rasse ihrem Ende entgegen, weil rückläufige Geburtenraten und übermäßige Zuwanderung das Ende der bisherigen europäischen Kulturen einläuteten, sondern der kleine Mann werde von den Eliten hemmungslos betrogen.

Die vielen Autoren des letzten Jahrhunderts finden nun ihr Echo in der neuen „Bibel“ der Untergangswiedergänger mit dem beängstigenden Titel:

D e r g r o s s e A u s t a u s c h,

ein Buch, das Renaud Camus 2011 herausbrachte. Es gilt in der Tat in Europa als d a s die Augen öffnende Werk der rechten Gruppierungen europaweit.

Eine Aufsatzsammlung unter dem Titel „Revolte gegen den großen Austausch“ häuft noch einmal für die sich als Opfer fühlenden, verängstigten Zeitgenossen die die Angst vervielfältigenden Ohrwürmer an:

e t h n i s c h e Ü b e r s c h w e m m u n g

n i e d e r s c h m e t t e r n d e I s l a m i s i e r u n g

g e g e n u n s e r V e r s c h w i n d e n

g e g e n d i e d r o h e n d e V e r k n e c h t u n g

g e g e n d i e E r o b e r u n g v o r a l l e m d u r c h A f r i k a

Es gab schon einmal ein Buch, das kaum jemand Bock hatte durchzulesen,

dessen Thesen man aber besser gekannt haben sollte, wenn man die Motive des Politikers hätte verstehen wollen, den man anfangs nur als Schreihals glaubte abtun zu können.

Doch jetzt wabert eben nicht nur in Frankreich der Bodensatz aus diesem neuen Buch „Der große Austausch“ von Renaud Camus (2011) durch die Köpfe der wütenden Menschen, sondern auch im Umfeld der AfD echot ähnliches Gedankengut immer unverfrorener – nicht zu vergessen: allein im hessischen Landtag sitzen seit der letzten Wahl 27 Abgeordnete und im Bundestag sind es sogar 78 Abgeordnete, 78! Und in den anderen Bundesländern? Insgesamt sind es auf Länderebene 244 abgeordnete Männer und Frauen! Das sind zusammen mit denen im Bundestag: 322 Repräsentanten unserer Republik. 322!

Und „Biedermann und die Brandstifter“ (Max Frisch 1958) ist nach wie vor eine sinnvolle Lektüre, beziehungsweise ein lohnender Theaterbesuch.

Die vielen Demonstrationen gegen solche Angst-Botschaften sind natürlich richtig und ermutigend. Die sich darin manifestierende Selbstvergewisserung tut allen gut – aber sie wird sehr schnell den Duft eines Märchens annehmen (s. das sogenannte Sommermärchen!), wenn sie sich nicht in konkrete Teilhabe des Souveräns erweitern darf. Denn die repräsentative Demokratie im Gewande der Parteiendemokratie hat stark an Glaubwürdigkeit eingebüßt – nicht zuletzt wegen der Dauer-Demontage-Taktik der Ampelkoalitionspartner im Tagesgeschäft, das den Souverän verstört, empört und verdrossen macht. Die Haltung der Medien trägt ihren Teil dazu bei und die social media werden mehr und mehr zu einer Bühne – vor allem auf tiktok – wo sich die Verdrossenen dem pseudo-Angebot der AfD ausgesetzt sehen, die fröhlich diesen kostenlosen Kanal nutzen, um ihre Botschaften (s. weiter oben!) dem Souverän zu Füßen zu legen.

Es wird höchste Zeit, dass auf regionaler und kommunaler Ebene dem Souverän direkte Macht zurück delegiert wird, weil er nur so seine Ohnmachtsgefühle los werden kann.

20 Feb

Europa – Meditation # 439

Mikado- oder Scherbenhaufen-Spiel.

Als habe es je eine internationale „Weltordnung“ gegeben. Da soll wohl ein probater Begriff etwas herbeireden helfen, das seit dem Zweiten Weltkrieg gewachsen war und Blüten trieb:

Es gab einen scheinbar „guten“ Hegemon, die USA, die zusammen mit der UdSSR damals die Welt retteten, um dann gleich in einer jahrzehntelangen Fehde dem anderen den Handschuh hinzuschmeißen. Die Angst vor einem atomaren Krieg (samt overkill – als ginge es um einen Wildwestfilm – alle diese amerikanischen Wendungen – geschmeidig, lässig, cool) sorgte für eine vordergründige Ruhe rund um dem Globus (von „kleineren“ Kriegsschauplätzen einmal abgesehen!). Der Machtkuchen war verteilt, bis er ganz plötzlich zu zerbröseln begann. Die Epoche des Ost-West-Konflikts kippte kurz mal in die Eine-Welt-Hysterie, um dann gleich ins nächste Pentagramm zu trudeln: USA-CHINA-RUSSLAND-EUROPA-INDIEN. Und die UNO als das schwächste Glied im internationale „Konzert“ der Big Player.

Vielleicht ist die sich abzeichnende neue Vielheit – ein halbwegs kontrolliertes Roulett mit fünf Spielern – ein zwar fragiles, aber immerhin weniger aufgeheiztes Wettkampfszenario als von zwei unberechenbaren Popanzen abhängig zu sein, die immer mal wieder mit der „overkill“-Karte drohten, um Angst und Schrecken zu verbreiten auf dem Rest der Welt.

Jedenfalls könnte das Momentum des Scherbenhaufens auch wie ein Mikado-Spiel behandelt werden, wo halbwegs sensible Politiker vorsichtig ein Stäbchen nach dem anderen abheben, um einen gänzlichen Zusammenbruch zu vermeiden.

Vielleicht könnte der aufgescheuchte „Haufen“ aber auch dieses Momentum nutzen, um sich klar zu werden, dass alle bisherigen Narrative samt den dazugehörigen „Weltbildern“ eben doch nur sehr vorläufige, sehr zerbrechliche und sehr selbst gestrickte Gesamtansichten waren, an die man gerne bereit war zu glauben, so lange man persönlich in Ruhe gelassen wurde und sein kleines Fettnäpfchen ins Trockene retten konnte.

Angefangen beim Begriff Nation über den der repräsentativen Demokratie bis zur Postmoderne mit ihrem Neoliberalismus-Betrugsbild böte sich in dieser Stunde der Wahrheit (Ukraine/Gaza/Netanjahu/Trump/Putin/Orban/AfD) die einmalige Chance, das, was wir so euphorisch „Neuzeit“ zu benennen uns angewöhnt hatten, als „Mittelalter II“ herunterzufahren, um wieder ganz von vorne anzufangen – beim Menschen und seinem Bedürfnis, Gemeinschaft zu leben.

13 Feb

Europa – Meditation # 438

Der Souverän erwacht und lebt Utopia.

Ja, ja – wie soll das denn vonstatten gehen?

Ganz einfach – der Souverän geht gut gelaunt vor die Tür und trifft da rein zufällig die eine und den anderen, samt Kindern.

Hä?

Statt sich fest zu kleben oder brav auf Wiesen Lichter zu schwenken, geht der Souverän diesmal zur Sache

Und die wäre?

Er lässt sich nicht länger mit Kommentaren wie „Träum schön weiter!“ abspeisen, er schreitet im wahrsten Sinne des Wortes zur Tat.

Könntest du vielleicht etwas konkreter sein?

Kann ich, kann ich: von der Haustür ist es gar nicht weit bis zur nächsten Autobahn. Das haben wohl die Nachbarn auch gedacht. Und so werden alle Hauptadern in die neuen Bundesländer blockiert.

Hä? Wieder so ein Wessi-Arroganz-Muster?

Ganz und gar nicht: Diesmal ist es ein Demuts- und Teilen-Muster.

Allmählich nervt‘s aber doch ziemlich – ich verstehe nur Bahnhof.

Die Wende der Wende, diesmal vom Westen her – sozusagen als Echo – massenhaft organisiert und orchestriert. „Wir sind der Souverän!“

Ein Musical?

Warum nicht? Klar, die wollen nicht stumm und grau im Gesicht nur blöd rum stehen, die wollen Lebensfreude, Optimismus und Lust auf Utopia befeuern.

Klingt ja ganz schön durchgeknallt, echt.

Und hier kommen auch gleich die drei Forderungen, die von den Protestcamps des Souveräns – mitten auf den Autobahnen – ausgerufen werden.

Da bin ich aber mal gespannt.

1. als längst fällige Wiedergutmachung werden die überschüssigen Geldgewinne aus der Wiedervereinigung fifty-fifty*** als Sondervermögen rück-überwiesen.

2. mit diesem außerordentlichen Etat werden beispielhaft alle, ich wiederhole: alle, KITAS, GRUNDSCHULEN und weiterführenden SCHULEN nicht nur baulich, sondern auch personell so ausgestattet, dass es keine Lerngruppen mehr gibt, die die magische Zahl A c h t z e h n überschreiten.

3. alle Bundesländer erweitern ihre Verfassungen um jeweils 13 Regional-Runden, in denen – jährlich rotierend – gewählte Vertreter als Entscheidungsträger diese Investition in die Zukunft unserer Kinder überwachen und vorantreiben – das große Ostprojekt, das von allen Bundesländern gemeinsam mitgetragen wird und so gewährleistet, dass kreative Problemlöser heranwachsen, die die Herausforderungen der globalen Krisen zu bewältigen vermögen.

Der campierende Souverän wird so lange vor Ort weiter massenweise campieren, bis diese Wende der Wende in einem Zusatzartikel des Grundgesetzes verankert ist.

Und du glaubst, dass so etwas realisierbar wäre?

Wäre?

Nein, ist! Mit Hilfe der social media lässt sich so ein „move“ leicht ins Rollen bringen. Schneeball-Effekt heißt das auf „altdeutsch“! Ansonsten ist zu befürchten, dass die Euphorie aus den vielen Demos in üblen Frustreaktionen verpufft.

***Die Behörde, die das durchzusetzen hat, heißt nun aber nicht mehr TREUHAND, die ja in Wirklichkeit perfid untreu war, sondern TREUBUND des Souveräns.