24 Jan.

Europa – Meditation # 373

Wenn Männer über Männlichkeit in Europa reden.

Am Montag konnte man im Deutschlandfunk „Lebenszeit“ eine Gesprächsrunde mitverfolgen, die sich mit dem Thema „Vom Kriegsverbrechen bis zum Sexualdelikt – Warum sind Männer meist die Täter?“ beschäftigte. Drei gestandene Männer reden sich um Kopf und Kragen, weil sie vor lauter Bäumen anscheinend nicht mehr den Wald erkennen. Wie sie es auch drehen und wenden, sie kommen der fatalen Janusköpfigkeit der Männerrolle – Beschützer sein zu wollen und gleichzeitig aber immer auch Gewalt auszuüben – nicht auf die Schliche.

Obwohl überall in Europa endlich die Offenlegung des Missbrauchs und der häuslichen Gewalt die Medien in Atem hält, bleiben die Antworten doch alle im Vorhof der wesentliche Frage stecken: „Wo sind denn die Ursachen und die Anfänge für dieses Selbstbild des Mannes zu suchen, wenn es keine Naturbefindlichkeit ist? Denn natürlich ist den drei bemühten Männern in der Radio-Sendung klar, dass eine grundlegende Änderung der nach wie vor „toxischen Männlichkeit“ nur wirklich stattfinden kann, wenn die kulturelle Evolution der männlichen und weiblichen Geschlechterrollen in ihrer „subkutanen Langzeit-Wirkung“ durchschaut ist und als großer Irrtum begriffen werden kann, dem eben nicht nur die Frauen und Kinder, sondern auch die Männer selbst zum Opfer fallen.

Denn dass inzwischen darüber in aller Offenheit debattiert wird – wie eben auch in dieser Männerrunde – (die einzige Frau kommt leider nur kurz und auch zu marginal zu Wort!) – wird zwar gerne als Fortschritt angesehen, doch müssen alle eingestehen, dass sich deswegen weder häusliche Gewalt noch der Kindesmissbrauch verflüchtigt haben. Im Gegenteil. Der Umgang mit dem Thema beispielsweise unter den Klerikern des Vatikans ist nach wie vor nicht nur peinlich, sondern auch höchst ärgerlich – und in allen europäischen Ländern – von den beiden Amerikas und Asien soll hier gar nicht erst die Rede sein – tun die Männer in den verantwortlichen Institutionen alles, um von sich und den notwendigen Konsequenzen abzulenken.

Es bleibt nur zu hoffen, dass der Sender diesen Männerbeitrag nur als Einstieg sieht in eine Debatte, an der Vertreter aus ganz Europa teilnehmen und an der vor allem Frauen gleichermaßen zu Wort kommen. Die vielen Hörerbeiträge, die aus Zeitgründen nicht mehr eingespielt werden konnten, zeigen doch allzu deutlich, wie wichtig und wie wenig befriedigend dieses Thema in seiner Bearbeitung immer noch ist.

10 Jan.

Europa – Meditation # 372

Geldgier ist die Mutter aller Schlechtigkeit.

Brasilia und Washington machen es vor; wo und wer wird demnächst weiter machen? Das Gewaltmonopol des Staates wird zerfasert, weil die Inhaber und Verwalter desselben augenzwinkernd die rechten Chaoten gewähren lassen. Was geht da vor? Welche Dämme scheinen da aufzuweichen? Der brave Bürger ruft nach der ganzen Strenge der Justiz: „Sperrt sie weg!“

Und keiner scheint sich die Zeit nehmen zu wollen, einmal etwas länger und gründlicher darüber nachzudenken, wie aus diesen ehemaligen süßen Babys solche gewaltbereite Demokratieverächter werden konnten. Was ist da falsch gelaufen im Laufe dieser Biografien? Und was ist mit der Loyalität der Staatsdiener? Wieso kommt es auch da zu bedenklichen Erosionserscheinungen? Wie können die in Brüssel, die Korruptionsfälle verfolgen sollen, selbst zu korrupten Beamtinnen werden und sich Kinderwagenladungen mit frisch gedruckten Scheinen ins Apartment schieben lassen?

Es gibt diesen uralten Spruch – als Schüler musste ich ihn einst aus dem Alt-Griechischen übersetzen – Geldgier ist die Mutter aller Schlechtigkeit.

Es scheint, als würden die Schleusen gerade allenthalben geöffnet, als gehöre es zum Profil eines cleveren Zeitgenossen, nach außen weiter den biederen Bürger zu mimen und dahinter zu scheffeln, was das Zeug hält. Und abends an der Bar anzustoßen auf die eigene Unverfrorenheit und die peinliche Rechtschaffenheit der unfähigen Kontrolleure.

Bei gleichzeitiger Beschleunigung aller Wahrnehmungsprozesse – die Kinder werden fleißig mit digitaler Wucht eingeübt im Abwesend Sein – bleibt keine Zeit mehr, den babylonischen Geldturm in seinem rasanten Wachsen zu stoppen. Cum-ex, wirecard, Enron, Schneider sind nur die kleinen Spitzen des riesigen Eisberges, der da dröhnend ins Rutschen kommt und alles unter sich begräbt, was redlich noch besteht und arbeitet. Denn die deregulierte, größenwahnsinnige Börsenwelt saugt das Geld wie in einem überdimensionierten Staubsauger aus den sozialen Sicherungssystemen, lässt sie dann global auf jedwede geldgierige Meute los – Absprachen auf fallende Kursen haben da als besonders heikles Geschäft besondere Boni zu erwarten – , und die Stadtverordneten helfen fleißig mit, öffentliche Vermögenswerte zu verscherbeln – Schwimmbäder sind eben wirklich einfach zu kosten- und personalintensiv. Wahlen werden trotzdem gewonnen, weil sie inzwischen wie Werbespots inszeniert werden und längst als täglicher Konsum internalisiert und in unerbittliche Konditionierung einmassiert sind. Natürlich haben Jugendliche (s. das Beispiel Spanien oder Brasilien oder Duisburg) längst keine Berufsaussichten mehr. Randale und Alkohol plus schöne andere Drogen sind dann der Humus, auf dem die Bereitschaft mal ein Kapitol zu stürmen blüht und gedeiht.

Fazit: Die Zeit der verbalen Empörung des braven Bürgers ist vorbei. Geldgier und Schlechtigkeit paaren sich weiter und weiter. Dagegen können nur völlig neue Sinnangebote für ein gelingendes Leben gesetzt werden, die in einer völlig neuen Bildungsinitiative ihren Anfang nehmen müssen. Das ist eine epochale Aufgabe, atemberaubend, völliges Neuland.

Mut ist also gefragt. Mut, den Götzen Geld nicht länger mit anzubeten. Mut, das Leben an sich für so wertvoll anzusehen, dass es in Geld gar nicht mehr darstellbar ist, sondern nur noch in sich selbst. Wie erbärmliche Kartenhäuser fallen dann die börsennotierten „Werte“ in sich zusammen, weil es eben keine Werte sind, sondern lediglich tollkühne Absprachen auf eine Zukunft und auf Zeit mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern. Was hat das denn noch mit Mensch Sein zu tun? Gar nichts. Es ist eine leer laufende Maschinerie toter Materie, die von Kleingeistern wie ein Gott verehrt und angebetet wird. Welcher Mensch, der gerne über sich und die Welt und den Sinn des Lebens nachdenkt, wird denn auf solch eine Nullnummer noch herein fallen?

Und die in Brasilia oder Washington Türen eintreten und Fenster zerschlagen, sind doch nur die Verlierer dieser Gewinner und lassen sich obendrein noch einmal vor ihren Karren spannen – als kopflose Krakeeler und traurige Abgehängte von einem System, das immer mehr dieser Art entfremdeter Wesen produziert.

Also: Ihre erbärmliche Gewalttätigkeit ist nichts weiter als die Kehrseite der Geld-Monster-Maschinerie weniger Anzugsträger. Kümmern wir uns also besser um diese – denen muss nämlich das unlautere Handwerk gelegt werden, und nicht den Opfern ihrer Geldgier.

07 Jan.

Europa – Meditation # 371

Nicht kleckern, sondern klotzen!

Und wieder diese besorgten Mienen vor laufenden Kameras in Berlin, in Düsseldorf, in Bad-Godesberg: „Die jungen Straftäter müssen mit aller Strenge den Arm der Justiz zu spüren bekommen, in aller Strenge…“ Und natürlich möchte man dabei keineswegs rassistisch rüber kommen, klar. Aber diese immer jüngeren Straftäter gilt es in ihre Schranken zu weisen. Fast schon ein öffentliches Ritual, was da leerläuft.

Warum gehen die Politikerinnen nicht den Ursachen nach?

Warum wird nicht endlich an der Basis etwas grundlegend geändert?

Warum nur?

Und wieder ein großer Artikel in der Wochenendausgabe der SZ zum gleichen Thema: Die Hauptschulen und Gesamtschulen werden selbstredend als grundlegend reformbedürftig beschrieben, selbstverständlich weiß man, dass die Digitalisierung der Schulen im Gymnasium hängen bleibt, dass alle Veränderungsansätze entweder im Sand verlaufen oder eben nur bei denen ankommen, die sowieso massiv privilegiert sind.

Fast könnte man von „fundamentalistischen Bildies“sprechen, die knallhart beim Sieben keine Gnade kennen, die weiter perspektivlose Schulabbrecher kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen, aber nicht bereit sind, massiv Geld in die Hand zu nehmen und es da zu investieren, wo es am nötigsten gebraucht wird: in den Hauptschulen, in den Gesamtschulen – oder viel besser: in einem völlig neuen Schulsystem mit jungen Pädagogen, die kleine Gruppen unterrichtend begleiten können (Finnland und Kanada machen das seit vielen Jahren nun schon erfolgreich vor) – jenseits eines unbarmherzigen Dreiklassensystem, das automatisch siebt und selektiert, bis die besten herausgefiltert sind und die Gelder verpulvert.

Der Rest muss dann von Justiz, Polizei und JVAs verwaltet und weggesperrt werden. Die haben es ja nicht anders gewollt. Alle versammeln sich solidarisch hinter der starken Hand des Staates, der eitel und selbstgerecht sein Gewaltmonopol zelebriert. Wie fundamentalistisch ist das denn? Und wie teuer?? Oh, diese besorgten Mienen, oh wie heuchlerisch sind die doch!

Wäre es da nicht viel günstiger, den gesamten Begabungshorizont eines Jahrgangs systematisch abzugrasen und gleichmäßig in kleinen Parzellen zu pflegen und zu fördern, auf dass möglichst alle Begabungen entdeckt, gefördert und gewinnbringend in die Gesellschaft integriert werden können? Es würde so viel weniger junge Straftäter geben! Alle wissen es!

Wie oft muss es noch gesagt werden?

Wie lange noch dürfen diese „fundamentalistischen Bildies“ ihren selbstgerechten Sermon absondern – eher wir sie endlich auslachen? Vor lauter Rüstungseuphorie, Bündnistreue und Energiesparhysterie geht den abgelenkten Konsumenten in ihren Werbespots und Sport-Events immer mehr der Blick für das längst Notwendigste verloren:

Mindestens genauso viel in die Grund- und Hauptschule zu investieren wie in Bundeswehr und Energievorsorge – denn sonst werden uns bald nicht nur Pflegekräfte, Lehrerinnen und Lok-Führer fehlen, sondern auch Polizisten, Sozialarbeiter und Gefängniswärter.

Also: nicht kleckern, sondern klotzen.

Es wäre d i e Z e i t e n w e n d e , die uns wieder optimistisch in die Zukunft blicken lassen würde.