14 Juni

Europa – Meditation # 343

Dienstleistungs-Mentalität – Anspruchshaltung – Egoismus.

Angesichts der bequemen Apparate, mit deren Hilfe wir uns Tag und Nacht aus den Ansprüchen anderer oder an uns selbst wegbeamen können, wird auch gerne vergessen, dass wir weder freiwillig geboren wurden, noch freiwillig sterben werden – alle gleichermaßen!

Freiwillig machen wir zuerst einmal gar nichts, außer uns unterhalten lassen.

Und dass wir von Natur aus – schon als Nesthocker ein auf die Gemeinschaft bedingungslos angewiesenes Wesen – also ein Gemeinschaftswesen sind, wird uns Tag und Nacht in Dauerschleife weggepixelt: Du bist das Wichtigste auf der Welt, du musst dich selbst verwirklichen, du musst dich gegen die Konkurrenz durchsetzen! Das ist dann gelebter Individualismus. Im Sinne des Fortschrittsgedankens die oberste Sprosse, die der homo sapiens inzwischen erreicht habe. Dabei verbirgt sich hinter dieser Individualismus-Variante nichts anderes als beim Haben Wollen möglichst vorne mitzumischen. Wenn es allerdings ans Kranksein oder gar ans Sterben geht, dann bitte aber volles Rohr beste Dienstleistung, aber hallo! Dann muss die Gemeinschaft liefern. Aber pronto.

Dabei läuft dieses Wohlstandsprogramm doch nur, wenn gleichzeitig und vorauseilend die Gemeinschaft den Rahmens des Lebens und Überlebens gemeinsam organisiert hat.

Dummerweise sind diese Gemeinschafts-Aspekte sprachlich in Mitteleuropa nachhaltig überformt von negativ konnotierten Begriffen wie Staat, Pflicht, Dienst. Was sich dahinter verbirgt, soll von allen gekauft werden können durch Steuern und Versicherungensbeiträgen. Also völlig anonym. Technik und Digitalisierung tragen inzwischen zusätzlich massiv dazu bei, dass dieser Anonymisierungsprozess ungeahnte Blüten treibt – Metaverse und die gerade zur Welt kommenden KI-Mythen sind dabei so etwas wie die Portalfiguren in eine Zukunft, in der Individualismus und ein sinnliches Leben sowie so nur noch avatar-mäßig phantasiert werden können.

So können sich die Parteien – hier vor allem die FDP und die Linke – als Anwälte der Freiwilligkeit und Hüter der individuellen Freiheit feiern lassen. Bei den Grünen ist vielleicht ein weiterer Salto Mortale denkbar – nach dem Umdenken in Sachen Rüstung, kommt ja vielleicht auch noch ein Umdenken in Sachen WIR-HÄNDLER auf einem Markt, in dem sich alle gleichermaßen verpflichtet fühlen, Schutz und Gesundheit gleichermaßen als Tätigkeitsfeld aller zu begreifen und nicht als Dienstleistung zu fordern: sollen das doch die tun, denen sonst nichts einfällt oder die gerade Zeit haben. Dann sind Mitverantwortung selbstverständlich und Egoismus und Konsum ohne Ende Auslaufmodelle.

Wehrpflicht und Zivildienst (mit dem Langeweile-Argument zerdeppert) sind verbrauchte termini technici. An ihre Stelle treten Gemeinsinn und Gemeinschaft – alle sind für alle gleichermaßen da und mitverantwortlich.

10 Juni

Europa – Meditation # 342

Schwarz/weiß oder Grautöne?

In hellen Farben malt sich der sogenannte Westen schön: „Wir verkörpern Freiheit, Unabhängigkeit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, während die „anderen“ Unfreiheit, Bevormundung und Diktatur erzwingen und der übrigen Welt überstülpen wollen. Wir sind deshalb logischerweise „die Guten“ und die anderen natürlich „die Bösen“. Zwischentöne können wir uns zur Zeit leider nicht leisten, weil die Bösen wie ein Rollkommando alles überrollen, was ihnen im Wege steht.

Wie selbstgerecht, wie pharisäisch!

Nur weil in den letzten 7 Jahrzehnten (was für eine kleine Zeitspanne!) kein Krieg in Westeuropa tobte – Irland, Baskenland, Jurassen und den Balkan wollen wir jetzt mal unerwähnt lassen (es waren ja „nur“ Geplänkel im Vergleich zum Ersten und zum Zweiten Weltkrieg!) – sind die subkutanen Gewaltfantasien und Vorurteile den Völkern im Osten und im Süden gegenüber längst nicht ausradiert oder bloß noch Vergangenheit. Im Gegenteil: Seitdem Männer den Mythos von der gewaltsamen Entführung Europas durch den listenreichen Schürzenjäger Zeus erfunden hatten, galt und gilt Gewalt gegen Frauen genauso wie Gewalt gegen „die anderen“ als geradezu selbstverständlich und natürlich. In jeder Narratio – rückblickend – immer wieder die gleichen Muster, die gleichen „Helden“ und die gleichen Opfer.

Wo ist sie denn, die Freiheit, Gleichheit und Unabhängigkeit – zum Beispiel der Frauen in den USA oder Südamerika oder Japan, von den nach wie vor ungleichen Lohnverhältnissen hierzulande ganz zu schweigen? Wo?

Warum sind nach wie vor Kindermissbrauch und häusliche Gewalt im Westen wie im Osten Gang und Gebe? Warum kommt es immer wieder zu Vergewaltigungen marodierender Soldaten?

Wie war das doch gleich noch auf dem Balkan in den 90er Jahren? Unser gnädiges Gedächtnis hat die damaligen Berichte längst gelöscht. Sie sind deshalb aber nicht ungeschehen.

Und wenn die Grünen jetzt der militärischen Verteidigung moralisierend das Wort reden, ist das nur ein weiteres Beispiel dafür, wie tief im europäischen Bewusstsein Gewalt als Mittel der „Politik“ präsent war und ist. Hat da die öffentliche Empörung bestimmter Medien und Kritiker nicht geradezu etwas Verräterisches, etwas Entlarvendes?

Und dann wird flugs der schwarze Peter an den bösen Putler weiter gereicht. Wir Europäer waschen unsere Hände in Unschuld – Lumumba lässt grüßen – und sehen uns viel lieber als die Hüter von Recht, Ordnung, Freiheit und Unabhängigkeit – machen aber gleichzeitig schnell noch neue Verträge mit undemokratischen, autoritären Regimen, um unseren schier unstillbaren Hunger nach Öl und Gas und Lithium zu stillen und pirschen uns möglichst lautlos an die Bodenschätze in der Nord-West-Passage heran, damit wir nicht von den bösen Konkurrenten aus dem Osten und dem noch

ferneren Fernen Osten ausgetrickst werden. Die wollen diese Bodenschätze doch nur für ihre Rüstungsindustrien, wir aber wollen sie selbstredend nur für friedliche, zukunftsweisende und ökologisch verträgliche Projekte in Anspruch nehmen. Was für eine Heuchelei! Sieht der Lärm um diesen Krieg in der Ukraine nicht eher nach einem üblen Wettstreit aus, wer die besseren Lügen aufzutischen weiß?

27 Mai

Europa – Meditation # 341

Für Zwischentöne und Zaudern keine Zeit!

Dank des sogenannten Fortschritts befeuern wir Europäer unseren hellwachen Verstand pausenlos mit Informationen, Bildern, Fragen und Antworten. Das Tempo nimmt zu. Tag und Nacht. Scheinbar können wir uns Pausen, Leerzeiten und Langeweile nicht mehr leisten – einmal, weil durch die globale Vernetzung einfach dauernd Neues zu lernen und zu beurteilen ist, und einmal, weil die desaströsen Fakten, die unsere wachsende Fortschrittsgesellschaft geschaffen hat, so fatal und implodierend neue Fakten schaffen, die zwar nicht gewollt, aber immer mehr von uns als alternativlos angesehen werden müssen, dass nur noch die Beschleunigung die Lösung zu sein scheint.

Dass aber alle Bilder, die wir aus der Erinnerung heraus für das Verstehen der neuen Fakten wieder benutzen, bereits Erfindungen unserer Phantasie waren, kann leider nicht mehr bedacht werden, weil sich nicht nur die Ereignisse überschlagen (bildlich genauso wie wirklich), sondern auch die Konsequenzen.

Die sogenannte Globalisierung ist in diesem Brandsatz wachsender Zerstörung von Außen- wie Innenwelten nichts anderes als ein Bumerang, der die theoretischen Überlegungen der Aufklärung praktisch in Übersee in unerbittliche Praxis umgesetzt hat (Fließbandarbeit, völlige Entfremdung der Arbeitenden von sich und dem Erarbeiteten, der Mensch als Ware und zahllosen anderen Hungernden weltweit, bei gleichzeitiger bizarrer Konzentration von Eigentum und Gewinn in den Händen sehr weniger, gepaart von zunehmender Gewaltbereitschaft gegen sich selbst so wie gegen jeden Konkurrenten). Von dort – von Übersee – schwappt der Bumerang nun zurück ins verblendete Europa, das auf der Flucht vor der radikalen Auseinandersetzung mit sich selbst und den Geistern, die es rief, das Tempo nun in die cloud ausgelagert hat, weil da ununterbrochen in „Echtzeit“ geredet und erwidert werden kann. Nur noch der Schlaf ist ein ärgerlicher Frustfaktor, der ähnlich wie der Tod aber sicher demnächst nicht nur in der cloud, sondern auch vor Ort für überflüssig, abwegig, kontraproduktiv erklärt werden wird, weil er nichts anderes ist als einer der ganz alten Irrwege der Natur, an die sich der homo sapiens leichtfertig gewöhnt hatte, als wäre er natürlich. Wie dumm aber auch!

Wenn also in der wirren Gemengelage der Gegenwart in Europa jemand tatsächlich meint anmerken zu müssen, dass es uns Europäern gut täte, einen Augenblick aus dem mainstream auszusteigen, inne zu halten und zu zögern, um sich Zeit zu gönnen, die scheinbar klaren Positionen der Falken und Tauben zu durchleuchten (auf ihre kurzzeitigen Glanzlichter und alternativlosen Wahrheiten!), der muss dann doch leider als Defätist die rote Karte bekommen.

Einwände? Welche Einwände?

Keine, natürlich!