09 Feb.

Europa – Meditation # 316

Was wäre denn so absonderlich an einem neuen Bündnis?

Gerade dreht sich ein Krisenmanagement-Karussell der Sonderklasse. Das ganze hautnah bebildert von aufgeregten Medien, die Männer filmen, die in Flugzeuge steigen oder aus ihnen herabsteigen, Männer, die an sehr langen Tischen bedeutend Worthülsen hin und her werfen, eine Frau, die besorgt im Krisengebiet sich ein eigenes Bild von der Gefahrenlage machen möchte; die Kostüme schwanken dabei zwischen elegantem Ausgehanzug und militärischem Tarnanzug.

All diese Bilder werden hin und her gefahren, zusammengeschnitten, überblendet, heran gezoomt, ausgeblendet und das Narrativ, das diese scheinbare Endlosschleife „Ukraine-Krise“ am Laufen hält, speist sich dabei aus völlig verstaubten und überfälligen, ätzenden Eckdaten, die alle noch aus dem Zeitalter des Kalten Krieges herrühren. (Was in Bezug auf Putin ja noch irgendwie nahe liegen könnte, war er doch lang genug als KGB-Mann in der DDR unterwegs, als noch alle vom Eisernen Vorhang raunten und die Rede vom Overkill ein Mantra war, das keinen Spielraum ließ für alles, was nicht ins Ost-West-Muster passte.)

Die Nato – entstanden im Moment, als sich die im 2. WK erfolgreich verbündeten Russen und Amerikaner nicht mehr als Verbündete sehen wollten – hatte als einziges Narrativ – bis heute – ein Defensiv-Bündnis zu sein gegen einen offensiven Gegner, den Warschauer Pakt, den es einzudämmen galt – weltweit.

Seit 1989 zerbröselte dieses Narrativ jedoch, weil der Gegner zerbröselte. Aber: Hätte man nun denn alle Angestellten dieses Vereins „NATO“ entlassen sollen, der Rüstungsindustrie als „first class“ – Kunde abhanden kommen müssen? Zum Glück bot sich an, sich als edler Weltpolizist in der nun Epoche machenden „one world“ in Szene zu setzen und den Osteuropäern beim Umbau ihrer Armeen behilflich zu sein.

Die Kür für die neuen world-player fand dann in Afghanistan statt. Als erster durften die Russen ihr Glück versuchen, als zweiter dann die Amerikaner und die ISAF, wie sich genant die NATO dort nannte.

Der Tunnelblick aber blieb über all die Jahre der gleiche: Hier die treuen Verfechter einer freien und demokratischen westlichen Welt, dort die marodierenden Horden östlicher Präsidenten – der Kalte Krieg im neuen Gewande sozusagen.

Obwohl sich die Welt seit 1989 rasant veränderte – viele alte Begriffe für politische Konstellationen und Bündnisse trafen einfach nicht mehr die wirklichen Verhältnisse, die sich inzwischen eingestellt hatten – intonieren die Politiker wie die Medien aber das alte Narrativ vom guten Westen und dem bösen Osten – von China soll vorläufig in diesem Zusammenhang gar nicht erst geredet werden!

Wie wäre es denn nun, wenn man sich bereit fände, ein völlig neues Narrativ aus der Taufe zu heben, ein Narrativ, das nicht mehr aus dem Gegensatz, sondern aus der Gemeinsamkeit der jeweiligen Interessen seine Nahrung zöge?

Welche Gemeinsamkeiten wären das denn, die der Westen und der Osten einbringen könnten?

Nun, die nur noch global zu meisternden Klimakatastrophen – seien es die völlig aus dem Ruder laufenden Brände an Amerikas Westküsten oder die scheinbar unaufhaltsame Perma-Frost-Auflösung im fernen Osten Russlands. Probleme, die nicht mehr auf nur nationaler Ebene gelöst oder zumindest eingedämmt werden können. Internationale Zusammenarbeit sollte doch auch dem letzten Hinterbänkler seit Glasgow 21 klar geworden sein.

Man müsste allerdings dazu im derzeitigen Tunnel der alten Bilderwelten den Mut haben, einen Notausgang zu nutzen, um an die Oberfläche für ein völlig neues Narrativ zu gelangen.

Das könnte dann in etwa so aussehen:

1. Die USA und Russland schließen einen Beistandspakt (wie damals der gegen die Achsenmächte 1941: die Atlantik Charta), um die jeweiligen klimabedingten Probleme gemeinsam zu bearbeiten. Die Nato wird ersatzlos aufgelöst.

2. Die frei werdenden Mittel aus geringeren Rüstungskosten – man muss sich ja nicht weiter hoch rüsten, der ehemalige Gegner ist der neue Vertragspartner in gemeinsamer Sache – werden beide für die Klima-Thematik einsetzen.

3. Die europäischen Staaten werden in diesen Beistandpakt als Brückenländer mit eingebunden und unterzeichnen als Garantiemächte einer neutralen Brücke zwischen Amerikanern und Russen.

4. Gemeinsam werden große Infrastruktur-Projekte aufgelegt, die vor allem das Eisenbahnsystem in allen drei Partnerländern massiv voran treiben werden.

Ein solches neues Narrativ würde es allen Beteiligten ermöglichen, ohne Gesichtsverlust nationale wie internationale Probleme gemeinsam angehen zu können. Wie die Chinesen es inzwischen ohne großes Theater weltweit vorführen – sie investieren weltweit in große Infrastruktur Projekte und schaffen so nicht nur finanzielle Abhängigkeiten – könnten auch die Amerikaner und die Russen sich gegenseitig helfen und gleichzeitig dabei ihre Volkswirtschaften massiv ankurbeln und Synergie-Effekte abschöpfen.

Säbel Rasseln und Drohgebärden gehören zweifellos ins verstaubte Narrativ der vergangenen Epochen – auf die Zukunft hin ist keine Zeit mehr für solche eher lächerlichen Großmanns-Hans-Wurstiaden.

Nun, Medien! Auf zu neuen Ufern, aber pronto!

06 Feb.

Europa – Meditation # 315

Zusammenhalt? Was für ein Zusammenhalt denn?

Von allen Seiten wird dieser Tage beschwörend oder beklagend angemerkt, dass der Zusammenhalt in der Gesellschaft in Gefahr sei, verloren zu gehen.

Könnte es sein, dass bei dieser grundsätzlichen Klage ein Bild der Vergangenheit vorausgesetzt wird, das so nie bestanden hat?

Nach den „großen“ ideologischen Mustern, die vor dem Zweiten Weltkrieg en vogue waren (Ein Volk, ein Reich…)wollten die Mitteleuropäer reuig kleine Brötchen backen und sich brav an Vorbildern orientieren, die aus Übersee zu ihnen herüber irrlichterten.

So übte man sich in unbändigem Konsumieren und Konkurrieren – nicht nur im ökonomischen, nein auch im persönlichen Umfeld. Individualismus und solider Egoismus wurden die Parameter, entlang derer man sich üben musste: Schon im Kindergarten fanden und finden immer noch die ersten wichtigen Übungen statt (in Frankreich ist man da noch früher streng dabei, die Kleinen auf Vordermann zu bringen und sich nicht an Muttis Schürze zu klammern: setz dich durch, lass dir nichts gefallen, du bist dein eigner Herr! Den entsprechenden Satz für das andere Geschlecht: du bist deine eigne Herrin kommt da eher nicht vor; stattdessen vielleicht: heul nicht rum, räum auf und sag‘ „Entschuldigung“!); also gleichzeitig auch grundlegende Übungen im patriarchalischen Hamsterrad. Übungen, die alle dazu dienen, den späteren Konsumenten zu konditionieren und den Egoisten im Kind zu festigen. Gekoppelt mit einer durch die Werbung pausenlos niederprasselnde Material-Kauf-Schlacht wurde so die Gesellschaft atomisiert in Millionen Einzelkämpfer, die ihren Erfolg an ihren Statussymbolen ablesen konnten. So lange Aufschwung und gute Nachrichten von der Börse andauerten, funktionierte dieses amerikanische Ein-Mann-Projekt scheinbar reibungslos. Jetzt, wo wegen der Pandemie und der stotternden Weltwirtschaftslage – Bauteile fehlen, Lieferfristen können nicht eingehalten werden etc. – das bisher so „erfolgreiche Modell“ in Schieflage gerät, werden die Schuldigen gesucht.

Und da zeigt es sich dann, dass es eben nie einen „Zusammenhalt der Gesellschaft“ im Sinne einer friedliebenden, ausgleichenden Respekt- Haltung vor dem anderen gegeben hat, dass die Aggressionen im Konkurrenzkampf nur schön ins Konsumieren kanalisiert werden konnten. Da konnten sie sich phantastisch austoben – lächerlichstes Beispiel von gestern: mit mehr als 400 km/h über die Autobahn pesen und es der Welt gleich auch noch posten.

Am deutlichsten kann man diesen ideologischen Scherbenhaufen in den Grundschulen besichtigen: Dort quengeln Kinder um Aufmerksamkeit, haben aber keine Lust und auch keine Ahnung etwas zu lernen, Eltern in einer anmaßenden Anspruchshaltung klagen über das „Personal“, und die dort arbeitenden Frauen zerreiben sich zwischen Zuwendung und erzieherischem Zielen. Von Zusammenhalt keine Spur. Wie denn auch?

04 Feb.

Europa – Meditation # 314

Schluss im Dom!

Vor der Französischen Revolution hat sich wohl kaum ein Adliger vorstellen können, dass einmal seine feisten Privilegien baden gehen könnten. Zu lange schon waren sie scheinbar so etwas wie ein gesellschaftliches Naturgesetz. Aber eben doch nur scheinbar. Dann ging es ziemlich schnell den Bach runter. Absturz. Totaler.

Ob die Katholische Kirche in diesem Jahr vor einer ähnlichen Situation steht? Privilegien hat sie nun wirklich genug: Kirchensteuer, die der Staat für sie einzieht. Ein eigene Rechtsprechung – von Bistum bis zur Kurie. Und auch arbeitsrechtlich immer noch Vorrechte, die im Grunde nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Dann befriedigt sie immer noch viele ihrer Mitglieder – und hier vor allem Frauen, die nach Hilfe suchen in ihrer Not – mit einem scheinbar üppigen Versprechen: Nach dem Tod wird eh alles viel besser. Für immer dann.

Selbst auf dem sogenannten Synodalen Weg gibt es zwischen den Klerikern und den Laien eine Sperrminorität der Bischöfe – so für alle Fälle, man weiß ja nie, wo hin so ein Weg noch führen könnte – mit der sie jeder „Reform“ die Würze nehmen kann. Also auch da ist man nicht auf Augenhöhe!

Damit leben nun die Kirchenmitglieder schon so viele Jahrhunderte, dass eine Welt ohne Vatikan, ohne Bischöfe und ohne Dome schier unvorstellbar scheint.

Aber wie in der Französischen Revolution – da war es nicht zuletzt das ausschweifende Leben des steuerfreien Adels – könnte nun die elende Missbrauchsgeschichte ohne Ende das Ende schneller einläuten, als es sich die Bischöfe vorstellen können. (Da wird sich sicher einer der Bischöfe gequält bereit finden, als Konkursverwalter der Firma zu fungieren. Das würde ja seine Bezüge noch eine Weile strecken!) Und da wären bestimmt auch genügend andere da, um bei der Leichenfledderei selbstlos mitzuhelfen.

Die vielen Kirchen und Paläste könnten dem sozialen Wohnungsbau fast mietfrei zugeschlagen werden und die arbeitslosen Kirchenfunktionäre dürfen zurück auf Anfang und in einer ehemaligen Klosteranlage den Orden zur Neugeburt christlichen Denkens gründen. Das Zeitalter der Guillotine hat die bürgerliche Gesellschaft zum Glück ja nach der Abschaffung der Privilegien des Adels auch beendet.

Also keine Angst, zitternde Bischöfe: Euer Restleben dürft ihr zerknirscht in Reuehaltung abarbeiten.

Die Menschen in Europa werden ohne große Mühen andere und neue Formen finden, ihren religiösen Phantasien Raum und Zeit zu geben.

Darüber hinaus bleibt den Bürgern ja noch genügend Arbeit, das Missbrauchsthema im profanen Feld trocken zu legen – jedenfalls müssten sie sich dann nicht mehr mit den uneinsichtigen Pharisäern, Bischöfen und Päpsten auseinandersetzen. Schluss im Dom!