16 Jan.

Europa – Meditation # 310

Politik möchte auch mal poetisch sein dürfen!

Was ist das denn für ein befremdliches Ansinnen, das da aus dem Parlament ins OFF stolpert? Die Idee, dem deutschen Bundestag eine Parlamentspoetin oder einen Parlamentspoeten zu berufen, tut zwar irgendwie gut und könnte einen glatt zum Lachen bringen – angesichts der in Dauerschleife wabernden Themen der Pandemie, der Klimakrise, der Kriegstreiber und der professionellen Gesundbeter – aber „mit Poesie einen diskursiven Raum zwischen Parlament und lebendiger Sprache zu öffnen“, lenkt nicht nur von eben diesen brennenden Themen ab, nein, sie verundeutlicht den wesentlichen Unterschied zwischen politischem Diskurs und poetischer Widerständigkeit zu dem, was für wirklich gehalten wird.

Jede Vereinnahmung von Kunst in die politische Sphäre hat doch nur gezeigt, wie sehr dann Politik die Kunst für ihre Ziele vereinnahmt – wo auch immer es so inszeniert wurde: Im Südafrika der Apartheid, im Guantanamo-Betreiber-Land, in der UdSSR oder der DDR. Die Gedichte oder Romane funktionierten prächtig als Nebelkerzen, die das Gewaltmonopol der jeweils Herrschenden idealistisch zu befeuern hatten. Wie sehr dagegen die autonome Kunst gleichzeitig dort bekämpft wurde, lässt sich an zahllosen Beispielen von Künstler-Existenz-Vernichtungs-Büros und deren Handlangern zeigen. Auch die Zeiten vor und während der beiden Weltkriege in Europa liefern für beide Muster genügend Beispiele: Neben der Verherrlichung des Staates und ihrer Repräsentanten durch Staatsliteraten, Maler und vor allem Bildhauer, die unbestechlichen Künstler, die dabei ihre Existenz aufs Spiel setzten, ins Exil gehen mussten (wenn sie es denn noch schafften) oder samt ihrer Werke vernichtet wurden.

Als kleiner Exkurs vielleicht Amanda Gormans Auftritt auf dem Capitol Hill:

jung, euphorisch, selbstbewusst und schwarz trug sie mit Verve ihre Utopie in Versen vor – The Hill We Climb – medial ein bezauberndes Ausrufezeichen.

Dabei machte sie sich zur jubelnden Komplizin eines politischen Konzepts, das der „weiße Mann“ mit rassistischer Gewalt nach wie vor durch boxt (Guantanamo lässt grüßen!) und dass sie in ihrem kühnen „We“ ertränkte, als wäre es göttliches Nektar und Ambrosia. Ein Instrumentalisierung der Kunst (und in diesem Falle auch der Jugend) zum Zwecke einer Identitätshymne, hinter der sich scheinbar alle vereint sehen sollen. Was für ein bodenloses Theaterstück!

Die Kunst muss sich einfach zu schade bleiben für solchen Missbrauch, sie sollte weiter das Geschäft betreiben, das uns als Zeitgenossen zugemutet werden muss: Sprache ist keine wirkliche Wirklichkeit, sie schafft aber eine, die undeutlich und vieldeutig uns immer wieder damit konfrontiert, dass wir alle an Narrativen stricken, die home made sind, kurzlebig und dünnes, allzu dünnes Eis, auf dem wir leichtfertig eine Komfortzone einrichten, die jeden Augenblick sang- und klanglos einstürzen kann.

07 Jan.

Europa – Meditation # 309

Europa – Babylonische Sprachverwirrung? (Teil 4)

Die Zeit der Kriege ist endgültig vorbei – zumindest in der wirklichen Welt. In dem kommenden Metaversum allerdings kann jeder mit jedem jeden Krieg führen, auf der Erde, aber auch interstellar, klar. So wird die Welt doch noch erlöst werden, weil die ganz Großen Vier dafür sorgen werden, dass die kleinen Kanzler und Präsidenten zu bloßen Verwaltungsbeamten herunter gedimmt werden.

Ein Berg von Zucker, ein Zuckerberg eben. Das ist es, was uns das Neue Jahr 2022 bescheren will. Wir werden also nicht nur ordentlich eingeseift, sondern dazu auch noch so richtig in süße Watte gepackt. Rosige Zeiten warten auf die Menschen. Und warum ist das nicht bloß eine von unzähligen Prognosen, die sowieso wie Luftblasen im Wind verwehen werden, wie all die anderen auch – bis auf die von den Börsen?

Weil es ein Rund-um-Paket ist, das da von scheinbar wahren Humanisten, den vier Großen von Übersee eben, angeboten wird und das wir einfach nicht ablehnen können.

„Nu aber mal Budda bei de Fische!“

Wie bei den Babuschkas ist ein Päckchen schöner als das andere und passt auch genau alles zusammen und ineinander:

Unsere Kleinen brauchen bald keinen Unterricht mehr in Schulen, denn über die speziellen Handys werden sie mit Programmen versorgt, die sie Tag und Nacht abrufen können, die nicht nur Lernstoff anbieten, sondern auch beste Unterhaltung mit allen Freunden, die man sich da so avatar-mäßig selbst gestalten kann – und dann seid ihr mitten drin im Leben.

Ja, sogar die Penner landauf, landab, werden mit billigen Handys versorgt werden, so dass ihnen ab 2022 die Zeit wie im Fluge vergehen wird, weil Tag und Nacht Spiele gespielt werden können, noch und noch, flatrate-mäßig – die öffentliche Hand wird es schon richten.

Unsere Alten brauchen auch keine Sorgen mehr zu haben. Keine Besuche? Kein Problem. KI und die kleinen süßen Roboter wissen immer die richtigen Antworten auf die immer gleichen Fragen der Alten. Auch die Alten können sie einklinken ins Metaversum – mit speziell für die Alten programmierten Seiten.

Und die in der Mitte des Lebens?

Kein Problem, die werden vor lauter Ehrgeiz mit ihrem start-up-Traum so malochen, damit sie ganz, ganz bald ganz, ganz viel Kohle verdienen werden. Fit halten die sich mit schicken Drogen, die die Leistungsfähigkeit bei Tag und bei Nacht verdoppeln, was sag ich, verdreifachen, mindestens. Also auch die werden nicht merken, dass sie bald unter dem Zucker-Watte-Berg verschwinden werden und ihre Einbildungen für Wirklichkeiten halten.

Während die großen Vier gemächlich und ungestört und unkontrolliert weiter planen an 3.0 oder so…Die Zeit der Kriege also wirklich ist endgültig vorbei. Gute Nacht, Abendland, schlaf schön weiter!

03 Jan.

Europa – Meditation # 308

Europa – Babylonische Sprachverwirrung? (Teil 3)

„Das in eins Gewendete“ als wörtliche Herleitung des lateinischen Wortes

u n i v e r s u m

ist ein kühner Wortwurf für das chaotische ALLES, das Welt und All und uns gleichzeitig umfassen soll. So machen sich die ehemaligen Jäger und Sammler das Nicht Verstehbare verständlich, wenn sie mit großen Augen in den blinkenden Nachthimmel blicken. Einfach nur Verwirrend . Beunruhigend.

Anders machen es die kleinen Kinder: Beim Sand durch die Finger Gleiten Lassen schauen, summen, kneten, lachen und seufzen sie wohlgefällig, überlassen Raum und Zeit sich selbst und sind so nicht ein abgetrennter Teil von alledem, sondern mittendrin, ganz. Ganz Ruhe, ganz sicher.

Die Großen betrachten mit sehr gemischten Gefühlen dieses Bild, geraten ins Schwärmen und beneiden die Kleinen ob ihres ungebrochenen Selbstbildes im Ganzen: „Ach, wäre man doch nur wie die Kinder!“ Sind sie aber nicht, also bauen sie Schutzdämme gegen diese Selbstgewissheit der Kleinen, in dem sie sie als Vorläufer, als Anfänger, als Nicht-Wissende klein reden und sich selbst – gewissermaßen in der Mitte der Seinsgewissheit, wo man mit Verstand und Reflexion das Chaos in Zahlen, Begriffe und messbare Werte zerkleinert sich denkend verfügbar gemacht zu haben glaubt (als Kronzeuge firmiert dabei die Aufklärung mit ihrem kühnen Selbstläufer: cogito ergo sum) – und sich selbst als Höhepunkt, als Wahrheits-Nadir bewundern.

Der Gipfel scheint nunmehr erreicht, da „alles“ zwischen eins und null zusammengeballt werden kann, für jeden erlebbar als scheinbar virtuelle Wirklichkeit, die aber genau das Gegenteil meinen soll: Im Meta-versum (also über das Uni-versum hinausweisend?) – ein Prometheus, jeder, der sich seine Welt nach seinem Willen schaffen kann. Zahlen und Begriffe stehen ihm willig zu jedweder Deutung parat. Kreator perpetuus. Wären da nicht auf der anderen Seite des Blickfeldes die Alten. Die immer wieder mitleidig lächeln, in sich zu ruhen scheinen wie die Kleinen und einfach die vom Fetisch Wachstum ausgehende Faszination nicht mehr teilen wollen.

Da hilft nur eins: Wegsperren. Die Kleinen möglichst früh in die bunt ausstaffierten Kitas, die alten in die mit abwaschbarem Mobiliar ausgelegten Altenheime, in denen bereits die KI erfolgreich Routineaufgaben übernommen hat, flankiert von menschenähnlichen Geräuschen, die wie Wörter klingen, die Menschen für Menschen erfunden haben. Der sogenannte circulus vitiosus, der jedes Mal beim Nachdenken über das, was ist, den nachdenkenden Menschen in sein Denken einsperrt, scheint damit endgültig hinter den Jägern und Sammlern zu liegen: Die Mitte des Lebens als die Mitte der Welt, der Universum im Metaversum. Endlich angekommen, keine inneren und äußeren Störungen mehr, alles unter Kontrolle.