01 Dez.

Europa – Meditation # 300

Die Claque und die Wutbürger in wildem Streit

Europa erlebt gerade eine Geschichte, die kein Märchenerzähler besser erfinden könnte. Die letzten Tage der Menschheit…großes Theater der Jasager und der Neinsager….doch leider schaut niemand zu, denn das Theater findet nicht mehr auf einer Bühne statt, sondern im banalen Alltag selbstgerechter Besserwisser. So oder so.

Hatten nicht längst große Geister wie Heraklit, Lukrez, Montaigne, Sterne, Rousseau und Hölderlin brauchbare Angebote gebracht, Frieden zu schließen mit sich und der großen Natur, die ohnehin macht, was sie will?

Wäre nicht ein „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ – Lied besser angesagt, als dieses öde Ich, Ich, Ich bin der klügste im ganzen Land?

Weil aber immer schon im Vorhinein scheinbar klar ist, wer warum Recht hat, ist der babylonische Turm wortgewaltiger Geröllhalden als solcher gar nicht mehr im Blick. Vernebelt, selbstverliebt gestikulieren die Akteure, die sich alle für bestens informiert und bestens logisch aufgestellt halten, aus dem Bauch heraus ihre unverdauten Gefühlssäuren auskotzend unablässig wie in Dauerschleife die immer gleichen Argumente wie giftige Pfeile abschießen, während in laborähnlichen, sterilen kleinen Räumen in Tiefschlaf versenkte überlebenswillige langsam wegsterben, ohne je wieder die lieben und vertrauten Mitstreiter zu sehen, zu hören, zu spüren, zu sprechen, zu lieben oder eben auch zu hassen.

Was ist eigentlich gemeint, wenn schon Aristoteles behauptet, der Mensch sei ein Gemeinschaftswesen? Dass sie sich in dieser Gemeinschaft gemeinschaftlich umbringen sollen, sich in unzähligen bunten Ich-Blasen aufpupen dürfen zu scheinbar selbstbewussten Riesen, die sich von niemandem sagen lassen wollen, wo es lang geht?

Was bedeutet denn das eitle Wort vom I n d i v i d u u m , das uns seit der sogenannten Aufklärung

(sind wir angesichts der derzeitigen Not nicht eher unaufgeklärter denn je und reagieren kopfloser als je gedacht?)

in den schillerndsten Facetten begleitet und vorführt, denn anderes als dass jeder ein Wunder an Varianz ist, ja, aber auch jeder ein zeitlebens hilfsbedürftiger Versuch bleibender Winzling, der nur einen kurzen Augenblick ein Da-Sein für sich in Anspruch nehmen darf, um dann wieder lautlos im chaotischen und unbegreiflichen Sternenregen zu verschwinden? Was helfen da die vielen europäischen Sprachen und Kulturen, wenn nicht dies als Botschaft immer wieder bescheiden auszusprechen:

Wir sind Teil des Fließens einer unendlichen Möglichkeit, die sich ab und an in kleine Teilchen verkörpernd verdinglicht, deren Glitzern und Farbenpracht auch ohne uns weiter strahlt und ist. Welch nutzlose Verschwendung eigenen Lebens, wenn es in solchem Geschrei sich meint austoben zu müssen und gleichzeitig schon der vorletzte Augenblick des eigenen Seins lautlos eingeläutet wird?

28 Nov.

Europa – Meditation # 299

OECD – Bildungsausgaben im europäischen Vergleich

Natürlich ist Bildung Ländersache, natürlich. Lässt man allerdings die Unterschiede in den einzelnen Bundesländern einmal beiseite, dann bleibt dennoch unter dem Strich nicht mehr als bloßer OECD-Durchschnitt übrig.

„Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!“

Reiches Land, arme Kinder – zumindest in Sachen Schulen.

Oder soll es weiter nur das Privileg weniger sehr wohlhabender Familien sein, ihren Kindern in opulent ausgestatteten Internaten (die derzeit alle über eine starke Nachfrage begeistert sind) ein ganzheitliches Bildungsangebot zu ermöglichen?

Wie wäre es denn, liebe Eltern, wenn ihr alle mal zusammen mit euren Kindern am zweiten Adventssonntag abends massenweise auf der Autobahn auftauchtet – so viele könnte die Polizei gar nicht in Gewahrsam nehmen – meinetwegen auch mit zwei Kerzen ausgerüstet und Iglu-Zelten (die Organisation könnten die Landeselternbeiräte gerne übernehmen! Oder ? ) – und alle nur mit einem Plakat:

Wir verlassen diesen Ort erst wieder, wenn die neue Regierung zusagt, den

Bildungsetat auf mindestens 4,9 % im OECD-Vergleich heraufzusetzen!“

Gegen so einen Querschläger auf unseren Autobahnen wäre das quer stehende Containerschiff im Suez-Kanal bloß ein Klacks.

Gäbe das ein Chaos, wäre das ein Wendepunkt:

Endlich wäre es möglich, unsere Kinder in kleinen Klassen zu unterrichten,

endlich wäre es möglich, für alle in diesem Arbeitsbereich angemessene Bezahlung zu sichern,

endlich wäre es möglich, das alte Schulsystem für immer zu verabschieden,

endlich würde Pädagogik vom Kind her zu denken und zu praktizieren möglich,

endlich würden Lernhäuser gebaut, in denen unsere Kinder gerne ihre Zeit verbrächten

endlich verbrächten die Kinder ihre Lernzeit in einem ertragreichen Lernumfeld mit Gärten, mit zu betreuenden Tieren, Werkstätten und Theatern dabei und nicht in kasernenartigen Klötzen als akademisch getarnter Massenhaltungsvorgang!

Was, liebe Eltern, haltet ihr von diesem Vorschlag?

Er kostet nicht viel, wäre ein emotionaler Familienhöhepunkt, Ort für viele neue Bekanntschaften und Freundschaften – wie ein Picknick im Felde – und brächte die landes- wie bundespolitischen Politiker (alte wie neue) in unausweichlichen Zugzwang.

Die Solidarität, die in diesem – sicher mehrtägigen Kurzurlaub auf der Autobahn – entstehen würde, würde solche Kräfte im sozialen Umfeld freisetzen, dass man fast von einer weiteren friedlichen Revolution sprechen könnte, in der sich die Ordnungskräfte mit den Erziehungskräften friedlich und konstruktiv fürs ganze Land einen. Und so eine pädagogische Wende einläuten, die es unseren Kindern ermöglichen wird, optimistisch die dringenden Probleme auf unserem Planeten selbst engagiert und gut vorbereitet in die Hände zu nehmen!

26 Nov.

Europa – Meditation # 298

„Lernversagen schicksalhaft hingenommen?“

In einem Artikel in der FR vom Tage – Die Rückkehr der Pädagogik in die Schule – kreist Dr. Josef Hanel wieder und wieder um die altbekannten Stigmatisierungen, die seit vielen Jahren nun schon die Lernszene Europas traumatisiert: Was für furchterregende Begriffsmonster haben sich die Fachleute da nicht ausgedacht – ADHS oder Dyskalkulie oder oder…! Lauter massive Schubladen, in die jedwede Abweichung vom Standard-Lern-Muster bis heute versenkt wird. Hanel beschwört nun „…ein Schulsystem zu schaffen, das alle Anstrengungen darauf konzentriert, jedem Kind den bestmöglichen Unterricht in seiner Klasse zu erteilen.“

Wie oft schon wurden in der Endlosschleife der pädagogischen Gesundbeter Europas Reformen beschworen, Krisen aufgelistet – immer natürlich nur unter dem empathischen Obersatz: Pädagogik vom Kind her denken. Heraus kam und kommt auch wieder bei Hanel nichts anderes als alter Wein und längst sauer in neuen Schläuchen.

Wenn nicht begonnen wird, jedem Kind seine Zeit und seine Weise des allmählichen Begreifens zuzugestehen, dann werden es auch weiter wieder nur „erfolgreiche“, „weniger erfolgreiche“ und „unzureichende“ Lerngruppen oder Einzelschicksale sein, die sauber von einander getrennt in den jeweiligen Schubladen klassifiziert ordentlich aufbewahrt, verwaltet und benotet werden. Von ertragreichem Lernen keine Spur.

Dabei wäre ein horizontale und vertikale Lernumgebung* die dynamische Antwort auf die je individuelle Welterfahrung jedes begabten Kindes. Denn es gibt nur begabte Kinder – aber eben sehr unterschiedlich, so unterschiedlich, dass Klassenbildungen immer nur zu Verzerrungen führen können, die aus Sicht der Lehrenden wie angemessene Lernangebote daher kommen, an denen sich die Kinder verzweifelt abarbeiten. Und die Noten manifestieren dann die Verbannung in die jeweilige Schublade. Denn der schwarze Peter liegt selbstverständlich bei ihnen und nicht bei den Angeboten oder den Lehrenden. So schmilzt die Neugier der begabten Kinder nach und nach weg wie beste Butter an der unbarmherzigen Sonne. Die Pädagogen waschen ihre Hände in Unschuld. An ihnen kann es ja nicht liegen, ihr Engagement ist doch allzu offensichtlich!

* horizontale Lernumgebung – die Themen drinnen und draußen

vertikale Lernumgebung – jüngere und ältere Neugiercluster in einem

Raum