13 Aug.

Europa – Meditation # 459

Inhalte verschwinden mehr und mehr hinter burlesken Fassaden.

Als wäre es eine Kleinst-Bühne für Kinder, so zappelten bis vor kurzem zwei alte Hanseln da vorne hin und her. Es durfte gelacht werden, es durfte gestaunt werden und es durfte gebuht werden. Was den beiden alten Männern nur noch fehlte, waren selbstgestrickte Schlafmützen. Dass aber auch um sie herum nur gelogen wird, entgeht den meisten Zuschauern, die vom Zuschauen inzwischen müde geworden sind: in Guantanamo z.B. sollen Gefangene endlich (!) nach fast zwei Jahrzehnten gestanden haben – wer die Methoden der amerikanischen Befrager kennt, weiß, was solche Geständnisse wert sind – in Venezuela ist das neue Wahlergebnis so oft nachgezählt worden, dass endlich (!) der „wahre“ Sieger feststeht und im Gazastreifen sind unter allen Schulen und Krankenhäusern nichts als elektronische Gefechtsstände, die man leider nur mit kinderreichen Kollateralschäden vernichten kann, leider. Lauter Eilmeldungen. Die Medien können längst nicht mehr konsequent recherchieren – wenn sie es denn überhaupt wollten oder wollen.

Währenddessen brennen weiter die Wälder in Griechenland, in Kanada, in Kalifornien. Gleichzeitig schmelzen die Wasservorräte weiter weg – Spanien, Italien, Kroatien, Türkei – die Ernten von Baumfrüchten und auf den Feldern schrumpfen, und was am schlimmsten ist: Kindergärten und Schulen füllen sich mehr und mehr, doch die Betreuung wird dünner und dünner.

Apropos burleske Fassaden! Die Eröffnungsfeier und die Schlussveranstaltung der Olympiade in Paris mit ihrem perseidischen Glitzer- und Laserregen war wohlfeile Ablenkung von den unerträglichen Verhältnissen in der Banlieue, wo – ähnlich wie in den ehemaligen industriellen Zentren im Norden Englands – junge Menschen aufwachsen müssen in dem Wissen, n i e einer eigenen Berufsperspektive entgegen zu leben, während ihnen in den Medien – schön gepixelt – werbewirksam Produkte angeboten werden, die sie sich n i e werden leisten können. Dass in solchen Verhältnissen Rattenfänger eben nicht nur in Hameln leichtes Spiel haben, versteht sich von selbst. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – fromme Wünsche nicht zuletzt auch solcher Philosophen, die meinen, jeder sei seines Glückes Schmied und die Unmündigkeit selbst verschuldet. Pontius Pilatus lässt schön grüßen und lacht sich schlapp angesichts solcher Burlesken. Eine Schmierenkomödie ist es eher, denn was hilft es, auf die Lügentiraden führender Politiker hinzuweisen, wenn im eigenen Stall das Lügen fröhliche Urständ feiern darf? Die kommenden Generationen sollen es richten. Selbstgefällig gönnt man sich ein alkoholfreies Bier auf Mallorca, surft in Hawaii und schnorchelt im Roten Meer, während im Gazastreifen in einem fort ganze Kindergenerationen nachhaltig traumatisiert werden: „das haben sie nun davon“, sprudelt es aus dem Plappermaul des Kasperles, „wer nicht hören will, muss eben fühlen!“

Erleichtert tritt endlich einer der alten Herren zurück, macht einer klugen Frau Platz, die es nun richten soll. Wenn man sich allerdings an Obama erinnert, so hat auch der damals Guantanamo nicht beenden können. Wie soll sich Kamala Harris denn in diesem ideologischen Krieg durchsetzen können, wenn die Ergebnisse von freien Wahlen nicht mehr wie selbstverständlich akzeptiert werden? Selbst die sogenannte „Elite“ folgt nicht mehr logischen oder dialektischen Denkmustern, sondern nur noch dem medial aufbereiteten ideologischen Mainstream, der gebetsmühlenartig dem Gegner – der ist das Böse schlechthin – um die Ohren geworfen wird. Friss oder stirb – das ist nicht mal mehr burlesk!

Die Sehnsucht nach Nähe, nach Gemeinschaft bleibt in dieser anonymen digitalen Wolke völlig unbedient. Die globale Fülle überfordert das Fassungsvermögen des homo sapiens; er sollte sich wieder auf regionale und lokale Bereiche beschränken lernen, bzw. es nicht als Beschränkung anzusehen, sondern als vitale Seinsweise, die eben in überschaubaren Einheiten der species angemessen ist. Dann haben die Rattenfänger auch keine Chance mehr, laufen ins Leere und müssen alleine über ihre burlesken Zappeleien kreischend lachen. Keiner wird ihnen mehr zusehen und zuhören wollen. Das wäre doch mal eine humane Perspektive!

30 Juli

Europa – Meditation # 458

Angst machen gilt nicht!

Vulkane explodieren in schöner Unregelmäßigkeit – im Pazifik, auf Island und mancherorts im Mittelmeer, von Tonga ganz zu schweigen. Über unsere fleißigen Medien gelangen eindrucksvolle Bilder davon in unsere uniformen Wohnzimmer. Angst? Wovor denn? Einmal sind diese gewaltigen Naturschauspiele weit weg vom Betrachter und zum anderen nichts Neues. Ähnliches gilt für Erdbeben.

Im sozialen Gefüge allerdings werden Vulkanausbrüche und Beben um einiges ernster genommen: Wenn zum Beispiel ein Präsident eines Krieg führenden Landes in einem Unterstützerland vor dem dortigen Parlament eine Rede hält. Rhetorisch kompetent, inhaltlich die alte Leier: „Wir kämpfen weiter, bleibt an unserer Seite, wir werden erst aufhören damit, wenn der Feind vollkommen am Boden liegt.“ Die Geiseln – seit vielen Monaten irgendwo gefesselt und geknebelt in irgendwelchen Erdlöchern – haben nicht nur das Gefühl für Zeit und Raum verloren, sondern auch das Vertrauen in die, die vorgeben, sie zu erlösen.

Oder wenn zum Beispiel ein alter Mann mehr oder weniger freiwillig die Macht aus der Hand gibt – medienwirksam, versteht sich – und die „Fackel“ an eine jüngere, eine dunkelhäutige Frau übergibt, dann feiern die „Andenken-shops“ ungeahnte Umsatzexplosionen, plötzlich gibt es neue Hoodies, neue Sticker, neue Regenschirme mit einem lachenden Frauengesicht, während der Kontrahent wie Rumpelstilzchen tobt, weil seine gesamte Kampagne nun für die Tonne ist. Sein Wüten unterhält via social media die Zuschauer bestens; eine schöne Abwechslung nach EM, Tour de France und Olympia. Was für ein Theater aber auch!

Selbst die Kriege – in der Ukraine wie im Gazastreifen – haben längst ihren Aufmerksamkeitspeak überschritten, obwohl weiter Tag für Tag – wie im Mittelmeer – Männer, Frauen, Kinder gewaltsam ums Leben kommen, die auch lieber vor einem Monitor gesessen hätten, statt zu ertrinken oder durch Kugeln, Drohnen oder Raketen urplötzlich dem Tod anheim zu fallen.

Und was ist mit dem WIR-Gefühl – der Amerikaner und der Europäer – während solcher Beben und Vulkanausbrüche? Es zerfällt. Zwar wird in den USA von beiden Lagern die „Einheit der Nation“ beschworen, doch gemeint ist stets die eigene, während die der anderen als falsch, gefährlich und ruinös verteufelt wird. Ähnlich ist es auch in Europa: Hier hält man zwar weiter am sogenannten Atlantischen Bündnis nibelungentreu fest, müsste allerdings längst eingesehen haben, dass es lediglich beinharte wirtschaftliche und militärische H e g e m o n i a l motive waren und sind, die den „großen Bruder aus Übersee“ bei der Stange hielten – bisher. Der damit verbundene Materialismus (Wachstum um jeden Preis!), Vereinheitlichung aller Sitten und Gebräuche und Austrocknen philosophischer und ethischer Traditionen zugunsten eines simplen Eigentummodells, all das treibt die Ratlosigkeit und Einsamkeit der nach Sinn suchenden Menschen in Europa in nie gekannte Ausmaße.

Von den altbekannten Krisen ganz zu schweigen. Pausenlose Unterhaltung, erhöhtes Tempo auf allen Ebenen sollen weiter helfen, das wachsende Sinnlosigkeitsloch nicht als solches wahrzunehmen, sondern so etwas wie gute Laune herbeizuzaubern. Gleichzeitig wird der Wahlkampf vor Ort in den drei Bundesländern, in denen im September gewählt wird, genauso wie der in Übersee wie ein sportliches Event vermarktet, bei dem selbstverständlich der Bessere siegen wird.

Wie naiv ist das denn?

07 Juli

Europa – Meditation # 457

Zwei völlig artfremde Überforderungen des Homo Sapiens sapiens (Teil 2)

Dass er nur ein Gast nicht nur in seinem Leben, sondern auch auf seinem wunderbaren Planeten ist, vergisst die Spezies allzu gern. Damit ihm das im Alltag auch nachhaltig gelingt, erfand und erfindet er sich immer wieder Gerätschaften, die ihm gerne Helfen, diesen Tatbestand des vita brevis zu vergessen: Das Rad, die Druckerpresse, den Fotoapparat, die Dampfmaschine, das Telefon, den Otto-Motor, das Radio, das Flugzeug, TV und schließlich KI. Vermehrung und Beschleunigung eben. Nicht Qualität, sondern Quantität wurde so exponentiell gesteigert, bis sich dem Zauberlehrling sein Zauberwerk verselbstständigte. „Hab ich doch das Wort vergessen, ach das Wort, worauf am Ende er das wird, was er gewesen…“ Und in der Ballade hat der Lehrling Glück. Denn der Meister beendet dass misslungene Gesellenstück mit seinem Basta: „In die Ecke Besen, Besen, sei’s gewesen!“ Tja, wenn es doch nur so einfach wäre!

So hat er sich selbst zum Zuschauer konditioniert, der er glaubt zu sein, während er in Wirklichkeit ein Räuber, Raffer und ein Vergifter geworden ist, der davon aber nichts wissen will. Das beste Beispiel hierfür ist nach wie vor die ungelöste Frage der sogenannten „Entsorgung“, die mit diesem Begriff in trockenen Tüchern gelandet zu sein scheint, aber in Wirklichkeit seit 70 Jahren größte Sorgen bereiten sollten.

So ist es auch mit dem open-air-Museum von Pompeji: Der Vulkanausbruch ist ja so lange her, dass alles, was damit zusammenhängt – auch die Katastrophe für die tausende getöteter Pompeianer – etwas für die Geschichts- und Geographiebücher zu sein scheint, nicht aber für die aktuelle Berichterstattung und Katastrophen-Vorsorge. Selbst das Menetekel der Ahrflutwelle scheint längst wieder vom Regen von der weißen Wand getilgt zu sein. Wenn aber in diesen Tagen nicht nur der Stromboli, sondern auch der Ätna und sogar die Phlegräischen Felder störend rumoren, rauchen und sich dreist erheben, haben solche besorgniserregenden Nachrichten angesichts der Fülle an sportlichen Events dieser Tage -EM, Olympia, Tour de France und Wimbledon – keine Chance nach vorne zu kommen (nicht zuletzt aufgrund der mathematischen Logik des Algorithmus, der nur nach oben spült, was oft genug angeklickt wird!) So schafft sich der Homo sapiens sapiens leichtfüßig die übelsten Fallgruben, die er als letzten Schrei und Fortschritt überschreibt.

Wie sehr aber nach wir vor – eigentlich schon immer – die Gefühle das Sagen haben und nicht der Verstand, könnte man sogar an den Reaktionen der Niederlagen der Deutschen, Schweizer und Türken ablesen, die mit einem derartigen Furor reagieren, dass verdrückte Tränen geradezu wie ein Lachen anmuten.

Gast zu sein in seinem eigenen Leben, das einem einfach so geschenkt wurde, schmeckt dem Narzissten natürlich gar nicht, und dass er weiter voll verantwortlich bleibt für Wohl und Wehe des von ihm leichtfertig geschundenen Planeten erst recht nicht – nur mit 100 km/h über Einbahnstraßen gleiten, fühlt sich für die meisten an wie ein Albtraumbild einer brutalen Operation im Bett des Prokrustes. Eine Kleinkind Trotzreaktion, mehr nicht, ist es in Wirklichkeit. Da zeigt sich, wie sehr eben Gefühle das Denken und Handeln des aufgeklärten Europäers nach wie vor dominieren. Kants Wendung von der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ ist weiter richtig und den Mut zur Selbst-Aufklärung hat der Homo Sapiens sapiens immer noch nicht. Das Zeitalter einer wirklichen A u f k l ä r u n g bleibt weiter Zukunftsmusik, denn das, was wir seit 300 Jahren erleben ist nichts anderes als Rauben, Raffen und Vergiften.