22 Apr.

Europa – Meditation # 498

Prädestinationslehre 2.1

Zeit für einen Kassensturz. Der Papst ist tot. Trump freut sich zusammen mit seiner Frau zur Beisetzung nach Rom zu kommen. Die social media führen selbstverständlich zu immer wieder neuen Schnellschüssen, unbedachten spontanen mails, die dann hohe Wellen schlagen dürfen, weil sich weltweit die Meute gerne drauf stürzt. Das wiederum führt zu Erosionserscheinungen im moralsich-politischen Gefüge, das immer mehr zu einem Kartenhaus verkommt, das schnell wieder aufgerichtet werden kann, dann wieder einstürzt und so der Beliebigkeit und dem Augenblick nur noch huldigt. Verantwortung für sich oder für ein Übergeordnetes wird so obsolet, geradezu lächerlich. Das als frösteln lassende Einleitung zum eigentlichen Thema:

Wie kann Europa noch aus dem vernichtenden Strudel der absteigenden Supermacht USA entkommen? Skylla und Charybdis. Odysseus, der listenreiche, hat auch nur überlebt, weil er als der Schwächere dem Tsunami an Gewaltwellen geschickt offener Konfrontation auswich und über kleine Nebenschauplätze sein Überleben zu sichern wusste.

Übertragen auf die weltpolitische Lage – speziell mit Blick auf den Krieg in der Ukraine und im ehemaligen – Palästina – bedeutet das für das kleine Europa, listenreich den global playern keine Angriffsfläche zu bieten, sondern ein kluges Netzwerk weltweit von eher gelassenen Partnern zu finden, denen das Wohlergehen der Menschen da wie dort wichtiger ist, als egomane Hegemonialspiele unkontrollierter Machthaber mit ihren uninformierten Bevölkerungen.

Neben dem Zivilisationserdbeben kommen nun auch die Gesundbeter aus ihren Unterständen: längst totgesagte („Gott ist tot!“) Theokraten schmücken sich mit technokratischen Gewändern schönster Schattierungen, führen spitzbübisch und völlig harmlos grinsend, tänzelnd, Motorsägen bewehrt die Prozession der frisch Bekehrten an, mitten unter ihnen von schattenspendendem Baldachin geschützt die neue Priesterkaste, deren gewaltige Goldtruhen auf gepanzerten Fahrzeugen im Schritttempo fast lautlos surrend hinterher transportiert werden. Was für ein erhabener Anblick, was für ein gutes Gefühl brennt da im Bauch der Gläubigen, denen in Dauerschleife vorgebetet wird, dass der wiedergeborene Gott sie alle auserwählt hat, nicht nur hier schon zu glänzen, sondern auch später dort an seiner Seite als geweihte Wasserträger ihm dienen zu dürfen. Dass es eine ausgeleierte, alte Platte ist – ein Oldie sozusagen – spielt keine Rolle, denn in der technokratischen Neufassung wirkt sie wie ein krasser Wunderwerk genialer und intuitiver Verkündigung; man muss das Wasser nur für Ambrosia halten, das dürfte doch wohl nicht so schwer sein!

Was vor Jahrzehnten einmal eitel als „Dialektik der Aufklärung“ angeboten wurde – als wären vom Leben losgelöste Rationalität und das Misstrauen demgegenüber nicht bloß die beiden Seiten der gleichen Medaille – treibt nun wilde Blüten: nicht mehr der Glaube an die Wissenschaft allein versetzt jetzt Berge, nein, auch Berge von Gold können nun sogar kryptisch den gesamten Globus aus den Angeln heben. Dass beide Welten aber auf Erdachtem und Phantastischem fußen, also nichts als pure Einbildungen darstellen, kann man gerne übersehen und wegdenken, wenn man sich auf der Seite des Stärkeren fühlt: der christlich-weißen-macho-Gang, die genau weiß, wer der miese Feind von all dem ist: Frauen, Fremde, Fehlgeleitete. Die sollen ordentlich Angst bekommen, damit sie endlich dahin gehen, wo sie hin gehören: nach unten, an den Rand, raus.

Wer ein halbwegs gutes Gedächtnis hat, erkennt ohne Mühe hinter solch einer simplen, kindischen Botschaft all die Vorläufer, die in vergangenen Zeiten schon so viele Menschen unschuldig und gewaltsam den Tod brachten.

Europa ist da ein gebranntes Kind. Darin liegt seine Chance. Nutze sie wild entschlossen. Jetzt.

14 Sep.

Europa – Meditation # 463

Erziehungsgeschichte(n) im wohlwollenden Blick Europas (Tautologie?) – in drei Teilen

(Teil III)

Der „Sprech“ in den social media und den traditionellen Medien hat in den letzten Jahren richtig Fahrt aufgenommen. Es wimmelt nur so von selbsternannten Ratgeberinnen und Ratgebern. Sie alle befeuern die Sehnsucht der Leser und Hörer nach mehr Wahrnehmung, nach mehr Erfolg, nach mehr Kompetenz, nach mehr „Glück“. Und das alles vor dem Hintergrund unerbittlicher Schelte wider Vereinsamung, Stress und Konsumterror. So huschen – vor allem die jungen Leute -von Angebot zu Angebot und verpassen nicht nur den Unterricht im Klassenzimmer, nein, sie verpassen auch ihre sonstige belebte und unbelebte Umgebung. Das Gefühl der Vereinsamung hat stark Konjunktur, inflationär geradezu. Da kommt ein Artikel zum „Internatssyndrom“ genau recht, dachte man sich in der SZ und schon prasselt es nur so an Vorurteilen und Klischees vom Druckteufelhimmel (s. auch Teil I im blog!). Dabei gäbe es einiges zu bedenken: Das fehlende Gemeinschaftsgefühl – Ängste in den nicht einsehbaren Räumen der Kleinfamilie – könnte vielleicht gerade da, wohin der spitze Zeigefinger warnend zeigt, neu geboren werden. Denn die Enge zuhause lässt die jungen Leute oft nicht Atem holen, geschweige denn zu Wort kommen, wenn der dominante Vater den Sprössling vorführt als Versager auf ganzer Linie oder ihn ungeschoren missbraucht. Auch da sind die Medien zwar gerne voll dabei mit Schelte, Dokus und fürchterlichen Tabellen und Prozentzahlen, aber wie die Jahreszeiten so scheinen sich auch diese Berichte jedes Jahr zu wiederholen. Tendenz steigend. Was ist da los? Machtmissbrauch und ungezügeltes Begehren unbefriedigter Männer wären zu nennen. Wäre es da nicht eine durchaus wirksame Alternative, diese jungen Leute aus solch einem widerlichen Spannungsfeld herauszunehmen und ihnen zusammen mit anderen jungen Leute einen Lebensraum zu gönnen, in dem sie sich selbst begegnen dürfen, ohne gleich in die Ecke gestellt zu werden? Internate also als selbstverständliche Erweiterung des Familienprogramms, das zwischen 11 und 20 den Prozess der Selbstfindung systematisch intellektuell und sozial möglichst angstfrei und kooperativ zu gestalten weiß. Natürlich müssten zwei Bedingungen dafür grundsätzlich geändert werden: einmal müsste es j e d e m möglich sein, solch ein Internat wählen zu können (also keine elitäre Kostenkiste!) – hier müsste also der Staat sich als Betreiber voll einbringen – zum anderen müssten „natürlich“ auch die dort Erziehenden und Lehrenden immunisiert sein gegenüber Pädophilie und Machtmissbrauch, denn sonst kämen die jungen Leute ja aus dem Regen in die Traufe. Einsamkeit wäre dort ein Fremdwort, denn das Gemeinschaftserlebnis – für ein ganzes Jahrzehnt ohne Angst vor den mächtigen emotionalen Erzeugern und ohne übertriebene Modewettkämpfe und virtuelle Fluchträume – würde nachhaltig das eigene Ich stärken und beseelen. Das könnte danach noch fortgesetzt werden in einem einjährigen sozialen Jahr – ganz gleich ob bei der Bundeswehr oder Feuerwehr, THW, DLRG, oder Rehas und Sanatorien – solche Erfahrung böten dann genügend Kraftfelder, im privaten wie im öffentlichen Raum behutsam und engagiert zugleich sich mitverantwortlich zu fühlen für das, was dringend ansteht: Helfen, helfen, helfen, mithelfen die Herausforderungen nicht einfach über sich hereinbrechen zu lassen, sondern mutig gemeinsam gegenzusteuern.

So würde aus dem wüsten Begriff des „Intenatssyndroms“ nach und nach der Begriff der „Gemeinschaftszeit“ wachsen, der den alten Begriff von Aristoteles („wir sind als species ein zoon politikon, ein Gemeinschaftswesen“) wieder zum Blühen brächte. Damit würden auch die letzten Spuren der verheerenden schwarzen Pädagogik früherer Jahrhunderte in Europa – und nicht nur da – endgültig passee sein.

Es wäre also an der Zeit, die leidige Bildungs- und Schulrenovationsdebatte, in ein völlig neues Konzept münden zu lassen, das die vorbildlichen Gemeinschaftsmodelle aus der Geschichte und Gegenwart kreativ umsetzt (Canada lässt grüßen!) – ein Teiler von 33 in Sachen Klassengröße ist doch längst schon nur noch eine Lachnummer und Leidgeschichte für begabte und neugierige junge Leute! Leider aber auch immer noch peinliche Realität. Da muss man sich nicht wundern, dass Lesen und Schreiben und emotionales Wohlbefinden auf der Strecke bleiben.

12 Feb.

Europa – Meditation # 437

Demos und die notwendigen praktischen Veränderungen.

Landauf landab strahlende Gesichter: „Unsere Demokratie funktioniert doch!“ scheinen alle sagen zu wollen. Wenn so viele auf die Straße gehen und gegen antidemokratische Tendenzen demonstrieren, dann beweise das doch, dass die weitaus größere Mehrheit kein Problem habe mit dem heiklen Thema Zuwanderung. Diversität als Chance und Bereicherung ist wohl auch beim Bürger angekommen.

Das mag sein. Die öffentliche Solidarisierung ist allerdings bloß eine Eintagsfliege, wenn nicht dem Souverän gestattet wird, direkter – auf Gemeinde-, Bezirks- und Regions-Ebene – neben den Parteistrukturen aktiv werden zu können. Als Beispiel könnten da die aus den Schweizer Kantonen bereits erprobten Vorlagenbüchlein dienen, in denen die sachlichen Zusammenhänge einer zur Entscheidung anstehenden Gesetzesinitiative vorgestellt, erklärt und kommentiert werden (das Dauerargument: Dem Bürger fehle einfach die Sachkompetenz für Mitentscheidung, wird hier schon lange ausgehebelt und gründlich widerlegt).

Konsequenz: die Parteien würden entlastet, Bürgernähe institutionalisiert und der Souverän wieder als solcher handelnd in Erscheinung treten.

Jedes Bundesland sollte dazu z.B. in 13 Regionen aufgegliedert werden, die gleichberechtigt am Entscheidungsprozess mitwirken. Besonders die Frage der sozialen Gerechtigkeit, die eben nicht mit einer erfolgreichen Demo gegen Anti-Demokraten verbessernd bearbeitet werden kann, käme so endlich in Bewegung – auch gegen die Widerstände der etablierten Parteien. Und nicht nur die Frage der Sozialen Gerechtigkeit stünde auf dem Prüfstand, nein, auch die Frage der Mobilität, die der Klimakrise und die der Verdoppelung der Kitas und der Reduzierung der Klassengrößen auf maximal 18 Kinder – um nur einige Themen zu nennen, die dem Souverän zur Zeit ziemlich sauer aufstoßen, weil die Parteiendemokratie längst dem Diktat der Lobby-Szenen unterworfen ist und somit nicht mehr das Allgemeinwohl (Rousseau) als Zielvorstellung im Mittelpunkt steht, sondern die jeweiligen Sonderinteressen der ökonomischen Schwergewichte.

Der nächste Hitze-Sommer steht vor der Tür, der soziale Wohnungsbau hängt in den Seilen, die Krankenhäuser und Altenheime brauchen dringend neue, junge, motivierte Kräfte – und nicht wohlfeilen Beifall von den Logenplätzen! So könnte die Alternative für Deutschland ungewollt entscheidend dazu beitragen, dass der soziale Frieden gefestigt wird.

(Fortsetzung ist schon unterwegs!)