14 Sep

Europa – Meditation # 463

Erziehungsgeschichte(n) im wohlwollenden Blick Europas (Tautologie?) – in drei Teilen

(Teil III)

Der „Sprech“ in den social media und den traditionellen Medien hat in den letzten Jahren richtig Fahrt aufgenommen. Es wimmelt nur so von selbsternannten Ratgeberinnen und Ratgebern. Sie alle befeuern die Sehnsucht der Leser und Hörer nach mehr Wahrnehmung, nach mehr Erfolg, nach mehr Kompetenz, nach mehr „Glück“. Und das alles vor dem Hintergrund unerbittlicher Schelte wider Vereinsamung, Stress und Konsumterror. So huschen – vor allem die jungen Leute -von Angebot zu Angebot und verpassen nicht nur den Unterricht im Klassenzimmer, nein, sie verpassen auch ihre sonstige belebte und unbelebte Umgebung. Das Gefühl der Vereinsamung hat stark Konjunktur, inflationär geradezu. Da kommt ein Artikel zum „Internatssyndrom“ genau recht, dachte man sich in der SZ und schon prasselt es nur so an Vorurteilen und Klischees vom Druckteufelhimmel (s. auch Teil I im blog!). Dabei gäbe es einiges zu bedenken: Das fehlende Gemeinschaftsgefühl – Ängste in den nicht einsehbaren Räumen der Kleinfamilie – könnte vielleicht gerade da, wohin der spitze Zeigefinger warnend zeigt, neu geboren werden. Denn die Enge zuhause lässt die jungen Leute oft nicht Atem holen, geschweige denn zu Wort kommen, wenn der dominante Vater den Sprössling vorführt als Versager auf ganzer Linie oder ihn ungeschoren missbraucht. Auch da sind die Medien zwar gerne voll dabei mit Schelte, Dokus und fürchterlichen Tabellen und Prozentzahlen, aber wie die Jahreszeiten so scheinen sich auch diese Berichte jedes Jahr zu wiederholen. Tendenz steigend. Was ist da los? Machtmissbrauch und ungezügeltes Begehren unbefriedigter Männer wären zu nennen. Wäre es da nicht eine durchaus wirksame Alternative, diese jungen Leute aus solch einem widerlichen Spannungsfeld herauszunehmen und ihnen zusammen mit anderen jungen Leute einen Lebensraum zu gönnen, in dem sie sich selbst begegnen dürfen, ohne gleich in die Ecke gestellt zu werden? Internate also als selbstverständliche Erweiterung des Familienprogramms, das zwischen 11 und 20 den Prozess der Selbstfindung systematisch intellektuell und sozial möglichst angstfrei und kooperativ zu gestalten weiß. Natürlich müssten zwei Bedingungen dafür grundsätzlich geändert werden: einmal müsste es j e d e m möglich sein, solch ein Internat wählen zu können (also keine elitäre Kostenkiste!) – hier müsste also der Staat sich als Betreiber voll einbringen – zum anderen müssten „natürlich“ auch die dort Erziehenden und Lehrenden immunisiert sein gegenüber Pädophilie und Machtmissbrauch, denn sonst kämen die jungen Leute ja aus dem Regen in die Traufe. Einsamkeit wäre dort ein Fremdwort, denn das Gemeinschaftserlebnis – für ein ganzes Jahrzehnt ohne Angst vor den mächtigen emotionalen Erzeugern und ohne übertriebene Modewettkämpfe und virtuelle Fluchträume – würde nachhaltig das eigene Ich stärken und beseelen. Das könnte danach noch fortgesetzt werden in einem einjährigen sozialen Jahr – ganz gleich ob bei der Bundeswehr oder Feuerwehr, THW, DLRG, oder Rehas und Sanatorien – solche Erfahrung böten dann genügend Kraftfelder, im privaten wie im öffentlichen Raum behutsam und engagiert zugleich sich mitverantwortlich zu fühlen für das, was dringend ansteht: Helfen, helfen, helfen, mithelfen die Herausforderungen nicht einfach über sich hereinbrechen zu lassen, sondern mutig gemeinsam gegenzusteuern.

So würde aus dem wüsten Begriff des „Intenatssyndroms“ nach und nach der Begriff der „Gemeinschaftszeit“ wachsen, der den alten Begriff von Aristoteles („wir sind als species ein zoon politikon, ein Gemeinschaftswesen“) wieder zum Blühen brächte. Damit würden auch die letzten Spuren der verheerenden schwarzen Pädagogik früherer Jahrhunderte in Europa – und nicht nur da – endgültig passee sein.

Es wäre also an der Zeit, die leidige Bildungs- und Schulrenovationsdebatte, in ein völlig neues Konzept münden zu lassen, das die vorbildlichen Gemeinschaftsmodelle aus der Geschichte und Gegenwart kreativ umsetzt (Canada lässt grüßen!) – ein Teiler von 33 in Sachen Klassengröße ist doch längst schon nur noch eine Lachnummer und Leidgeschichte für begabte und neugierige junge Leute! Leider aber auch immer noch peinliche Realität. Da muss man sich nicht wundern, dass Lesen und Schreiben und emotionales Wohlbefinden auf der Strecke bleiben.

12 Feb

Europa – Meditation # 437

Demos und die notwendigen praktischen Veränderungen.

Landauf landab strahlende Gesichter: „Unsere Demokratie funktioniert doch!“ scheinen alle sagen zu wollen. Wenn so viele auf die Straße gehen und gegen antidemokratische Tendenzen demonstrieren, dann beweise das doch, dass die weitaus größere Mehrheit kein Problem habe mit dem heiklen Thema Zuwanderung. Diversität als Chance und Bereicherung ist wohl auch beim Bürger angekommen.

Das mag sein. Die öffentliche Solidarisierung ist allerdings bloß eine Eintagsfliege, wenn nicht dem Souverän gestattet wird, direkter – auf Gemeinde-, Bezirks- und Regions-Ebene – neben den Parteistrukturen aktiv werden zu können. Als Beispiel könnten da die aus den Schweizer Kantonen bereits erprobten Vorlagenbüchlein dienen, in denen die sachlichen Zusammenhänge einer zur Entscheidung anstehenden Gesetzesinitiative vorgestellt, erklärt und kommentiert werden (das Dauerargument: Dem Bürger fehle einfach die Sachkompetenz für Mitentscheidung, wird hier schon lange ausgehebelt und gründlich widerlegt).

Konsequenz: die Parteien würden entlastet, Bürgernähe institutionalisiert und der Souverän wieder als solcher handelnd in Erscheinung treten.

Jedes Bundesland sollte dazu z.B. in 13 Regionen aufgegliedert werden, die gleichberechtigt am Entscheidungsprozess mitwirken. Besonders die Frage der sozialen Gerechtigkeit, die eben nicht mit einer erfolgreichen Demo gegen Anti-Demokraten verbessernd bearbeitet werden kann, käme so endlich in Bewegung – auch gegen die Widerstände der etablierten Parteien. Und nicht nur die Frage der Sozialen Gerechtigkeit stünde auf dem Prüfstand, nein, auch die Frage der Mobilität, die der Klimakrise und die der Verdoppelung der Kitas und der Reduzierung der Klassengrößen auf maximal 18 Kinder – um nur einige Themen zu nennen, die dem Souverän zur Zeit ziemlich sauer aufstoßen, weil die Parteiendemokratie längst dem Diktat der Lobby-Szenen unterworfen ist und somit nicht mehr das Allgemeinwohl (Rousseau) als Zielvorstellung im Mittelpunkt steht, sondern die jeweiligen Sonderinteressen der ökonomischen Schwergewichte.

Der nächste Hitze-Sommer steht vor der Tür, der soziale Wohnungsbau hängt in den Seilen, die Krankenhäuser und Altenheime brauchen dringend neue, junge, motivierte Kräfte – und nicht wohlfeilen Beifall von den Logenplätzen! So könnte die Alternative für Deutschland ungewollt entscheidend dazu beitragen, dass der soziale Frieden gefestigt wird.

(Fortsetzung ist schon unterwegs!)

22 Nov

Europa – Meditation # 426

DER KRÄNKUNGSBUMERANG IM ANFLUG

Den Argumenten von Albrecht von Lucke von diesem Mittwoch in der SZ (S. 9) „Verbieten bringt nichts“ ist in vollem Umfang zuzustimmen. Nur reichen seine Thesen nicht weit genug.

Denn ein Verbot der AfD wäre nicht nur ein „Offenbarungseid“, sondern auch ein unangemessenes Mittel gegen einen Prozess, der viel tiefer geht: Denn die „Ignoranz vor den Boten“ der kränkenden Botschaften macht die Medien und damit die Öffentlichkeit nur blind für die dahinter durch schimmernde Botschaft:

Die Kränkungen, die nach 1989 im Sausewind und großer Beistandsgeste im Namen der Treuhand (was für ein pharisäischer Ausdruck für unnachsichtige Vernichtung von Arbeitsplätzen und Chancenzuweisung an aalglatte Karrieregeier!)vollzogen wurden, wirken seitdem weiter und weiter – subkutan sozusagen – und kommen nun als Bumerang und anwachsender Bocksgesang an die ehemaligen Kränkungsexperten zurück.

Das sogenannte „Parteienestablishment“ spricht sich selbstverständlich von jeder Lobby-Arbeit frei: es gehe ihr nur um das „Wohl der Volkes“. Das aber ist nicht nur in den neuen Bundesländern reinster Hohn für die damals freigestellten Menschen (vom Erdrutsch in den Familien von damals ganz zu schweigen) , sondern inzwischen auch für viele in den alten Bundesländern.

Auch deren Verdrossenheit wird nach wie vor klein geredet als überzogen oder verfehlt, obwohl die abnehmenden Parteimitgliedschaften in Sachen repräsentative Demokratie doch eine klare Sprache sprechen.

„…ein Verbot der AfD … wäre… speziell im Osten auch Ausdruck des Scheiterns der vor bald 35 Jahren dorthin übertragenen, aber noch immer nicht recht angekommenen Volksparteien-Demokratie“.

Ganz schön verschwurbelt dieses „noch immer nicht recht angekommen“ zu sein.

Die Pharisäer von einst und heute müssen aber endlich der Wahrheit ins Gesicht sehen: Nicht nur hat sich die Parteiendemokratie in sich selbst verselbstständigt (Pöstchen, Lobby, Seilschaften), sondern auch ihre Slogans sind völlig ausgehöhlt – wie flachste Werbebotschaften – sodass sich die kritischen Wähler angeekelt abwenden: Ihre Zukunftsängste, ihre allzu kleinen Renten, ihre Altersvorsorge – nichts von alledem sehen sie ernsthaft aufgegriffen, geschweige denn umgesetzt in wirkungsvolle Konzepte einer nachhaltigen Politik für den Bürger.

So ist es also nicht nur die Kränkung an einem nicht gewürdigten, lebenslangen, anstrengenden Arbeiten, sondern auch die Kränkung an einer Lebensgeschichte, die scheinbar umsonst war, für die man sich besser höchstens schämen sollte. Was für eine Arroganz und Ignoranz ist das denn?

Und so schwirrt drohend eine Bumerang über allen Bundesländern, der alte und neue Kränkungen geladen hat, mit denen die Menschen alte und neue Rechnungen begleichen wollen, weil sie sich hintergangen, übergangen und übersehen fühlen.

Die AfD tut nichts anderes als mit den Mitteln der repräsentativen Demokratie – also mit Wahlergebniszahlen – zu punkten, während die Medien und die Öffentlichkeit einfach nicht verstehen wollen, dass dem weder mit einem Verbot, noch mit Kränken beizukommen ist, sondern nur mit dem Abarbeiten längst überfälligen alten Rechnungen, die im Osten weiter vor sich hin dümpeln und im Westen allmählich mit neuen unbezahlten vermehrt werden.

Die Angst geht um. Sie war schon immer ein schlechter Berater. Aber sie ist immer ein starker Indikator für sofortigen Handlungsbedarf.