18 Nov

Europa – Meditation # 424

Im Spiegelkabinett der europäischen Denkgirlanden.

Wenn der Wind des Zeitgeists heftiger weht, so wie in diesen Tagen zwischen Jordan und Dnjepr, entblößt er auch die unter Wortgebirgen eingesperrten Grundsätze abendländischer Denkmuster. (Fortsetzung steht unmittelbar bevor)

Wie im Kinderspiel mit Plastikklötzchen stapeln die europäischen Durchblicker Argument auf Argument – in altbewährten logischen Klickklacks – und kommen so zu den Schlussfolgerungen, die ihnen selbstverständlich und unmissverständlich Recht zu geben scheinen: der Terror ist mal wieder völlig willkürlich vom Himmel gefallen und die aufrechten Händler solider Währungen und Waren sehen demgegenüber aus wie harmlose Weltenbummler, die nur von A nach B reisen, um Menschen zu bedienen mit soliden Produkten. Die Gewalt des Geldes und die des Eigentums wie immer nur im Gewand der anständigen und fairen Kaufverträge. Arbeitslosigkeit, Armut, gesellschaftlicher Abstieg und ruinöse Zockerei – von den Umweltschäden ganz zu schweigen – wirken demgegenüber wie fast natürliche Nebeneffekte, die man im wahrsten Sinne des Wortes in Kauf nimmt.

Und wen das doch zum Nachdenken bringen sollte, dem wird dann eine radikale Kur in dialektischem Denken verordnet:

Die Unterdrückung der Menschen in der Industrialisierung, bzw. in der Kolonisationszeit, ist zwar die eine, bedauernswerte Seite, aber dem steht auf der anderen ein bis dahin noch nie dagewesener Reichtum im Abendland gegenüber, an dem zwar immer noch viel zu wenige profitieren, doch Profit an sich hat sich doch als Quintessenz im Kampf der Gegensätze – These, Antithese, Synthese – durchgesetzt und ist inzwischen aufgehoben in unserem Denken als der Gipfel menschlicher Intelligenz.

Nun muss in einer neuen Dreier-Konstellation ein neues Kapitel von Gewinnern und Verlierern aufgeschlagen werden, das dann hoffentlich erneut in einer jetzt noch gar nicht vorstellbaren neuen Synthese die species des homo sapiens über sein bisheriges Vorstellungsvermögen erneut hinausführen wird. Terror ist in solch einem schlüssigen Denkgebäude selbstverständlich als marodes Auslaufmodell wegrationalisiert, bzw. dialektisch ausgebremst.

Undsoweiter…

Dass es sich bei diesen Denkfiguren allemal um Akrobatik in einem Spiegelkabinett handelt, kann den Akteuren „natürlich“ nicht bewusst werden, da diese Selbstbespiegelungen notwendig sind für ein in sich stimmiges Gesamtbild. Entscheidende Werkzeuge bei diesen Denkfiguren mit Hilfe der selbst erfundenen Sprache sind die Philosophie und die Psychologie. Portalfiguren des Kabinetts sozusagen.

08 Apr

Europa – Meditation # 259

Über die Ungenauigkeit des Denkens mit Wörtern –

oder

Alles zurück auf Null – dann Neustart –

oder

Wie die Angst vor dem Tod auch die Angst vor dem Irrtum wachsen lässt.

In den letzten Wochen und Monaten erleben die Europäer geradezu einen Platzregen an medialer Informationsversessenheit: In Immer neuen Statistiken und Fremdwörterübungen wird Unterricht für alle Tag und Nacht angeboten. Gleichzeitig werden nicht nur lieb gewonnene Gewohnheiten, nein, auch allzu vertraute Sprachwendungen obsolet – hat man sich getäuscht oder wurde man getäuscht oder hat man sich gerne täuschen lassen?

Jetzt kann es jeden erwischen – ganz gleich, ob er glaubt, da sei etwas in der Luft, das ihn töten könnte, oder da sei überhaupt nichts dergleichen. Das macht Angst.

Aber nicht nur das.

Denn auch die so unterschiedlichen Deutungen, die jeder mit sich spazieren führt, lassen das Vertrauen in die Sprache und ihre Wortgebilde immer geringer werden.

Fast sieht man sich der Frage gegenüber: An was kann ich denn eigentlich überhaupt noch glauben?

Womit der wunde Punkt benannt ist.

Auch das, was wir bisher für richtig hielten, ist nur der Glaube daran gewesen und die täglichen Übungen, uns in diesem Glauben zu bestätigen. Wenn das aber so ist, dann könnte ja auch jede andere Deutung brauchbar sein. Und warum ergreifen wir dann jene und andere wiederum andere? Da beginnen uns die Felle fort zu schwimmen. Wie bei einem Schneebrett geraten wir unversehens ins Schliddern, ins Abstürzen, ins Halt Verlieren.

Dass die einen jetzt auf die anderen mit langem Finger weisen und sie Leugner des Offensichtlichen schimpfen, ist aber vielleicht auch nichts anderes, als der verzweifelte Versuch, lieb gewonnene Glaubenssätze auf keinen Fall in Frage stellen zu lassen. Auf keinen Fall. Aber die Angst war schon immer ein schlechter Ratgeber – auf welcher Seite auch immer!

Sätze wie „Die Politik muss endlich Nägel mit Köpfen machen“ oder „Die Nation will nicht länger eingesperrt sein“ oder „Da ist der Kanzlerin wohl das Ruder aus der Hand geglitten“ oder „Der Dienstleistungssektor bricht zusammen, wenn ihm nicht geholfen wird“ oder „Musik, Kunst und Kultur sind unverzichtbare Säulen eines sinnvollen Lebens“ – solche Sätze sind anschauliches Wortmaterial für unseren willkürlichen Glauben, hinter Wörtern Leben zu wähnen. Doch da wir blindlings nach ihnen handeln, verändern wir mit ihrer Hilfe die Welt und glauben, so auch die Bestätigung

mitgeliefert zu haben, dass das in den Wörtern Gemeinte auch wirklich wahr ist. Wenn dann aber diese Wortkartenhäuser – so wie derzeit – in sich zusammen zu stürzen drohen, ist plötzlich guter Rat teuer. Am besten zuerst einmal den anderen beschimpfen, dass der auf dem falschen Dampfer fahre und dass man selber nach wie vor völlig richtig liege mit seinem eigenen Kurs. Die Tonlagen werden lauter, schriller. Denn es will sich weder einvernehmlicher Sinn noch Nachgeben der anderen Seite einstellen.

Dabei sind es doch alles nur Probeläufe, vorläufige Vereinbarungen in einer Versuchsanordnung, die nur so lange ihre Gültigkeit hat, wie genügend Menschen bereit sind, ihr zu folgen.

Jetzt wäre also ein guter Zeitpunkt, den Standpunkt des Besserwissers zu verlassen und den Nachbarn und die Nachbarin samt Kinder an die Hand zu nehmen und gemeinsam einfach mal kleine Brötchen zu backen.

Das gute Gefühl beim gemeinsamen Tun, der gut Duft und der Genuss des Gebackenen könnte dann wie ein neuer Morgen werden, an den gestern noch niemand hatte glauben wollen.

Ach so. Nur so als kleine Erinnerung:

Hatten wir Europäer nicht Jahrhunderte lang geglaubt, wir seine der Käs?

Hatten wir Europäer nicht Jahrzehnte lang geglaubt, dass der atomare Krieg vor der Tür stünde?

Hatten wir Europäer nicht schon immer geglaubt, dass die Wirtschaftsform, die wir nach und nach immer besser machen wollten, die beste aller denkbaren sei, sozusagen die Endlösung? – von den Aufwendungen für Rüstung ganz zu schweigen!

Und was ist aus all diesen Glaubenssätzen und den damit verbundenen Folgen geworden?

Als säßen wir auf gefährlichstem Treibsand – das wortreiche Beteuern, es gäbe dazu keine Alternativen, ist doch nur ein weiterer schnell gesagter Glaubenssatz, der uns nicht mehr in eine lebenswerte Zukunft zu tragen vermag.

So könnte doch tatsächlich ein Morgen vor uns liegen, in dem wir nicht mehr die verbrauchten Wörter und die daraus folgenden Erosionserscheinungen brav und trotzig zugleich wiederholen, sondern in dem wir dem globalen Irrtum der Bereicherung, Aufrüstung und Verschwendung ein neues, einfacheres, naheliegenderes Wörterhaus erfinden, in dem sich probeweise gut und friedlich für alle wohnen ließe.

26 Mrz

Europa – Meditation # 257

Die Gleichzeitigkeit des immer Gleichen.

Nordnigeria – Die mit dem direkten Kontakt zu ihrem unsichtbaren Gott fahren eine „Strafschicht“ nach der anderen – vor allem gegen wehrlose Frauen. Diese Männer wissen sich auf der sicheren und wahren Seite, versteht sich. Muss man es eben nur oft genug vor sich hin beten.

Uiguren – Mitten im Land der Mitte wollen doch tatsächlich einige einen eigenen Weg zu ihrem Lebensglück gehen. Die müssen dann eben nachgeschult werden, haben die Botschaft einfach noch nicht verstanden. Manche muss man einfach zu ihrem Glück zwingen. Die da auf uns zeigen, sollten besser mal vor der eigenen Tür kehren.

Rohingya – der strafende Gott der „Rechgläubigen“ wird ihnen über kurz oder lang die wohl verdiente Sintflut schicken. Da müssen sie selbst gar nichts zu beitragen – höchstens eine aufwendige Schiffspassage auf die Insel. Was tut man nicht alles im Namen Gottes!

Jemeniten – Pech gehabt, wenn man zwischen die Räder der „Großen“ gerät oder derer, die sich dafür halten. Wir hier in Europa verkaufen Waffen ausschließlich in Nicht-Krisen-Gebiete. Oder? Von den U-Booten wollen wir gar nicht erst anfangen zu reden.

Und drehen wir doch nur kurz mal an der Uhr – so drei bis vierhundert Jahre zurück, dann haben wir ein deja-vu-Erlebnis der Sonderklasse:

Pandemie – nichts Neues.

„Rechtgläubige“, denen einfach nichts anderes übrig bleibt als Gottes Willen zu exekutieren, Auge um Auge, Zahn um Zahn – damals wie heute, wie eh und je.

Der schöne Wörterberg es zu beschönigen, wächst währenddessen in allen Sprachen und Breiten ins Unermessliche, wie beim Turmbau zu Babel.

Wie ähnlich sich doch alle sind: Die Täter wie die Opfer – alles Sterbliche, die das eigene natürlich Werden und Vergehen gerne verstetigen würden, die sich auch fleißig und wollüstig vermehren – nach phantasievollen Mustern der Werbung, Bindung und Paarung.

Die Tierart Mensch – getrieben von den Trieben treibt es wie im Tollhaus mittlerweile. Und dabei mit der Apokalypse zu kokettieren, ist anscheinend besonders lustvoll und erstrebenswert. Vernunft? War da was?

Abertausende wanderten enttäuscht aus in eine neue Welt, in der alles besser und wahrhaftiger sein sollte: Bis an die Zähne bewaffnet bewachen die Nachfahren dieses neue Paradies mit zwei Millionen Knastis, einem nachhaltigen Genozid und einer nach wie vor gut funktionierenden Rassenideologie. Boulder lässt grüßen.

Missbrauchte – die scheinbar Starken nehmen sich einfach, worauf sie Lust haben mit Gewalt. Nur Dumme lassen sich dabei erwischen, auch zeigen sie beim Vertuschen, wie sehr sie selbst bei diesem Thema ihren unsichtbaren Gott benutzen, um sich selbst jeder Schuld zu entheben. Oder – gut – höchstens Fegefeuer. Geht doch.

Was für eine „schlaue Idee“ hatten die Europäer damals, nicht nur die mit dem falschen Gebetbuch niederzumachen, sondern auch gleichzeitig das Ende der Religion zu verkünden, damit der neue Gott, der Mensch, umso straffreier seine Allmachtsphantasien ausleben konnte. Die Pest war irgendwann dann auch vorbei. Er habe sich eben gemausert: Vom Biest zum homo sapiens. Clever – Sackgasse inbegriffen.