09 Jan

Europa – Meditation # 245

Im Club der Ratlosen und schlecht Beratenen – CRSB

Mit großem Empörungsvokabular gefallen sich zur Zeit die Europäer in Fassungslosigkeit und strengem Richteramt:

Wie kann es der große Bruder jenseits des Atlantiks dulden, dass „so etwas“ vor laufenden Kameras inszeniert wird? Schnell sind auch die Seiten klar benannt – hier die soliden Demokraten, dort randalierende Bleichgesichter.

Doch wer sind sie, die da die Stufen zum Kapitol hinauf hasten? Was für Texte fallen ihnen dabei aus den offenen Mündern (und Masken? Was wabert da jetzt im Kapitol an Aerosolen herum?)? Sind sie von Sinnen, von allen guten Geistern verlassen?

Dieses schlichte schwarz-weiß Gemälde sollte eigentlich in den europäischen MEDIEN zu billig sein.

Stellen wir also erneut die Frage: Wes Geistes Kind sind diese Treppenstufensteiger in Washington?

Sie gehören einem stets an Mitgliedern wachsenden Club an: CRSB – Club der Ratlosen und schlecht Beratenen. Auch war es ihnen zumeist nicht möglich, durch eine gute Schule zu gehen – als Einstieg ins Leben.

Ihr Ratgeber ist ein kleines Licht unter den Denkern, aber ein großes unter den Wörter Wiederholern. Er hat ihrer Wut auf die, die nicht die A-Karte gezogen haben, sondern zu ihrem Wohlstand einen Haufen nach dem anderen drauf packen, nicht nur eine Richtung, sondern auch ein Ventil gegeben.

Gleichgesinnte samt einer Avantgarde, denen nur noch die Trophäen und Bilder fehlten, um ihren Mut zu kühlen.

Ihr Ratgeber half ihnen dabei, diesem Problem Abhilfe zu schaffen.

Jetzt haben sie, was sie wollten: Mediale Aufmerksamkeit, Fotos für die Ewigkeit und auch Trophäen. Und gleichzeitig haben sie nun Hunger nach mehr, wenn das so einfach ist.

Jedenfalls sind sie plötzlich wichtig – wenigstens in ihrer eigenen Wahrnehmung – und können sich so in ihren digitalen Blasen gegenseitig aufmunternd auf die Schultern klopfen. Das tut so gut. Denn ansonsten sind ihnen all ihre Träume zwischen den Fingern zerronnen. Schon lange. Und ihr wolkiger Einflüsterer hat ihnen endlich den Weg gewiesen. Sie sind angekommen. Das kann ihnen niemand mehr nehmen. So reich, so reich!

Wenn wir Europäer etwas aus diesem Übersee-Theaterstück lernen können, dann dies: Keine noch so selbstbewusste Gemeinschaft kann die soziale Kluft, die sie selber schafft, schön oder gar weg reden. Wenn die Menschen nicht mehr verstehen wollen, was ihnen als frohe Botschaft angeboten wird, dann wenden sie sich ab, wütend, üben sich in neuen Tönen und Klängen jenseits des Mainstreams (der sowieso keiner mehr ist) und greifen zur Selbsthilfe, blind und schlecht beraten und laufen Amok.

Wir Europäer sollten also besser nicht mit dem Finger auf „die da“ zeigen, sondern hierzulande gerechtere und annehmbarere Verhältnisse schaffen, bevor solche Bilder auch bei uns das Laufen lernen.

14 Sep

Europa – Meditation # 217

Bescheidene Fragen an Europa, die weitsichtige Frau.

Ist dir auch aufgefallen, dass viele Menschen – junge wie alte – in diesen Tagen in Europa einen eher erschöpften Eindruck machen?

Ich sehe es mit Sorge. Aber auch mit Hoffen.

Hoffen? Worauf denn hoffen?

Nun. War den Europäern nicht die Neugierde immer eine Kraft für Veränderungen?

Das stimmt. Aber diese Neugierde ist jetzt wohl verbraucht. Europa schaut voller Unbehagen auf China, Indien und Afrika. Wie wirkt das auf dich, Europa, du weitsichtige Frau?

Es ist die Gelegenheit, endlich den Blick auf sich selbst zu wenden, inne zu halten und den Windschatten der Geschichte zu nutzen, Atem zu holen, sich zu besinnen?

Aber worauf denn? Sind die globalen Bedrohungen denn nicht überwältigend?

Nur wenn man sie im eigenen Blick noch vergrößert. Sonst kann doch der nervende Dauerton der dümmlichen Werbeflimmerdusche oder der Dauerschleifen-Katastrophen-Bilderflut nur dazu führen, sich angewidert und gelangweilt abzuwenden.

Und dann?

Ja, dann, dann öffnet sich nach und nach der Blick auf das Naheliegende, das Vertraute. Das kann man nämlich nur langsam und mit Geduld wahrnehmen. Und schafft Zutrauen, Wärme, Geborgenheit.

Klingt verlockend, liebe Europa, ist aber wohl eher eine Utopie – oder?

Nein, überhaupt nicht – „sieh, das Gute liegt so nah!“ – wir Europäer müssen nur wagen, alte Muster, die wir vor langer Zeit uns selbst übergestülpt hatten, abzustreifen. Als würde man sich von einer schweren Last befreien.

Europa, was meinst du mit alten Mustern?

Nation, Staat, Individualismus pur, Genauigkeit, Tempo, Wachstum…

Moment, Moment, liebe Europa, weitsichtige Frau, willst du damit etwa sagen, wir Europäer sollten uns von unserem selbst erfundenen Fortschrittsglauben verabschieden?

Der eigentliche Fortschritt liegt im Überwinden dieses Fortschrittsglaubens. Wir haben zu lange auf die eine, kleine Karte gesetzt, die uns vorantrieb.

Und welche wäre das gewesen?

Alles in kleine Quadrate einzuteilen, diese genau auszumessen und alles und jeden darin zu verorten. Damit glaubten wir die Herren der Natur und der Welt werden zu können. Jetzt stolpert selbst der letzte über den Scherbenhaufen solcher Denkart und ist verdrossen.

Und du glaubst, liebe Europa, weitsichtige Frau, wir Europäer könnten uns aus dieser Verdrossenheit befreien?

Ja, das könnt ihr – aus eigener Kraft.

Du machst mir sehr neugierig, liebe Europa, weitsichtige Frau, erzähl!

Langsam, langsam. Eins nach dem anderen und morgen mehr davon.

18 Aug

Europa – Meditation # 212

Frohe Botschaften jenseits der Apokalypse.

Europa hat nach dem qualitativen Sprung in die Moderne, der Renaissance, dummerweise nur noch auf Qantitäten gesetzt: Weiter, mehr, höher, größer, wohlhabender…zwar schön verpackt in die frohe Botschaft vom freien Individuum, das sich nun endlich selbst verwirklichen könne, aber es blieb doch nur Hochglanzverpackung. Später kam dann noch der Glitzer-Sticker: AUFKLÄRUNG hinzu, der den homo sapiens allerding völlig blind machte für seine natürliche Rolle in der Natur.

Jetzt – angesichts der Rechnung, die den Europäern und eben nicht nur ihnen präsentiert wird – scheint guter Rat teuer. Der Glaube an wirtschaftliches Wachstum, das nur dem Mantra von „immer mehr brauchen als man braucht“ gehorcht, bekommt dramatische Risse. Denn die Kosten steigen und steigen, die Resourcen aber nicht. Und durch das bloße Wiederholung in der Werbung fallen eben doch keine Wunder vom Himmel, wachsen auch keine neuen Bäume mehr in denselben. Es werden nach wie vor sowieso zu viele abgeholzt oder abgebrannt. Mit den entsprechenden Kosten für alle auf diesem Planeten.

Jetzt – angesichts der Pandämie, die den Europäern und eben nicht nur ihnen ins Haus steht – meldet sich Frau Angst zu Wort. Und wozu rät sie? Same procedure as every year. Auch möchte man die lieb gewonnenen Gewohnheiten weltweiten Reisens und Feierns auf keinen Fall missen. Also Augen zu und durch? Die anstehende Apokalypse bekämpfen mit ihren eigenen Mitteln?

Nein.

Denn längst haben sich kleine und große Archipele von immunisierten Zeitgenossen gebildet, die keine Lust mehr haben auf die Zahlenakrobatik der Börsianer, die verzweifelt beteuern, die Kurve gehe wieder nach oben – und wie! Direkt durch die Decke, ganz sicher! Auf diesen großen und kleinen Inseln – nicht der Seligen, sondern der Besorgten – wachsen völlig andere Zukunftsvisionen. Man erkennt sich wieder als Teil des großen Schauspiels, das da heißt: Das Wissen, das wir haben, hilft uns, die Welt und alle Wesen darauf besser zu verstehen – als Verwandte, Vernetzte, Versorgte. So vieles wurde leichtfertig über Bord geworfen, als hätten wir es nicht nötig, stets sich selbst vor allem als Teil des Ganzen zu sehen, das sich so wunderbar ergänzt, vervielfältigt und verheilt.

Eine neue Ruhe kehrt ein. Die Hektik und die Terminhysterie laufen so ins Leere. Obsolet. Und durch die digitale Vernetzung können sich die Bewohner solcher aus dem stinkenden Meer der verfehlten Wirtschaftsform der letzten dreihundert Jahre neu entstandenen Archipele miteinander vertraut werden.

So viele Projekte, so viele Chancen. Weltweit.

Der Epoche der heiligen Quantitas laufen die Gläubigen davon.

Die Natur bietet jedem, der guten Willens ist, einen klaren Blick auf ihre Qualitäten. Dazu bedarf es keiner Privilegien, dazu bedarf es nur der Neugierde. Und die Natur lügt nicht und lässt sich auch nicht belügen.