Europa – Verraten und Verkauft? (Meditation # 34)
Europa – nur noch eine Zivilisation? Was ist aus der Kultur geworden?
Eine Zivilisation ist ein gut funktionierendes Räderwerk, um viele Menschen mit ähnlichen Interessen friedlich nebeneinander leben und arbeiten zu lassen. Die Frage nach der Entstehung dieser Lebensform stellt sich nicht mehr. Sie funktioniert. Das genügt scheinbar. Relativer Wohlstand macht die Menschen nach und nach träge – vor allem im Denken über sich, über das, was ein sinnvolles Leben sei. Die Frage wird nicht mehr gestellt. Das, was ist, scheint das zu sein, was auch genau so sein soll. Der schnelllebige Alltag ermüdet alle so sehr, dass sie glauben, keine Zeit mehr zu haben zum Nachdenken, ob das, was sie tun, auch das ist, was sie wirklich wollen. Es ist eben einfach so, wie es ist. Erst angesichts des Todes kommen dann wieder die Zweifel an die Oberfläche. Aber in der heutigen Zivilisation wird auch dieser Bereich im allgemeinen Getriebe mehr und mehr ausgeblendet, an den Rand gedrängt, als ärgerliches Übel kurz zur Kenntnis genommen. Dagegen helfen nur eine Medizin und Pharmazie, die mit den Mitteln der Werbung, die man ja längst als Drogeneinstieg und Stimulanz in seinen Alltag eingepflegt hat wie den Gang zur Toilette oder das Zähneputzen, Hoffnung machen. Um möglichst kostengünstig solch eine Zivilisation am Leben zu erhalten, hält man Vergrößerung, Ausweitung,Verstetigung für die Lösung. Diesem krebsartigen Gebilde gibt man den Namen einer zumindest ökonomischen Vereinigung: Europäische Union. Aber beide Begriffe leisten in dieser Kombination nicht das, was sie sollen:
Europäisch daran ist die vage Ansage, dass man ja alle aus der gleichen Kulturgeschichte komme. Was nicht zu verleugnen ist. Aber die Kulturgeschichte selbst und ihr Dasein in der Gegenwart spielt höchstens eine untergeordnete Rolle dabei, wenn überhaupt. Die Zahlen müssen stimmen, die Quantitäten, damit die Zivilisation, die sich Europäische Union nennt, auch weiter reibungslos Wohlstand erzeugt, festigt und vermehrt.
Union ist nicht einmal eine vage Ansage, denn außer dem vereinheitlichten Geldfluss, der rein optischen Grenzenlosigkeit und dem Fluss der Güter und Menschen, sind die achtundzwanzig Nationen nicht bereit, ihre Souveränität an einen SupraSouverän abzugeben. Wozu auch? Das macht aber nichts, denn die wesentlichen Entscheidungen für diese 500 Millionen-Zivilisation trifft das Geld und nicht der Mensch.
Doch bei all dem bequemen Wohlstandsleben scheinen die Menschen ihr Dasein gerade in der Abgrenzung zu den anderen definieren zu wollen. Sei es in Vereinen oder in Parallelgesellschaften. Die pflegen die Traditionen der Regionen, in denen man lebt, die feiern die Feste und singen die Lieder, die in dieser Gegend schon immer bekannt waren und sprechen eine Sprache, die prall gefüllt ist mit Lebensfreude, Unsinn, Humor, Satire, Sehnsüchten und großen Fragen nach dem Sinn des Lebens. Dass jenseits dieser überschaubaren Lebenswelten Menschen zusammensitzen und ein „WIR“ auf den Lippen führen, das in den verschiedenen Regionen verächtlich belächelt oder gar verhöhnt wird, scheint für diese Menschen aber kein Problem zu sein: Sie sind ja Vertreter einer Zivilisation, für die sie das Mandat bekommen haben. Dass sie allerdings bei ihren Geschäften dann an der Garderobe ihren kulturellen Hintergrund abgegeben haben, halten sie sogar für eine Wohltat. Sie spüren nicht, dass sie damit die Verbindung zu den Regionen leichtfertig gekappt haben.
So scheint in diesen Tagen etwas auseinander zu driften, das nie eine Union war, das aber nun – dank der digitalen Vernetzung – ohne den bürokratischen Moloch in Straßburg und Brüssel – in eine völlig neue Verwandtenbeziehung umgebaut werden kann, in der wieder die kulturellen Besonderheiten der Regionen kräftespendend und sinngebend ihr Eigenrecht ausleben können. Dass solche eine Veränderung auch noch unglaublich kostengünstig wäre, sei nur am Rande angemerkt. Denn der bürokratische Babelturm dieser Pseudo-Union hat sich selbst ad absurdum verbaut. Das wird den Menschen in Europa allmählich klar: Nur weil etwas jahrzehntelang als richtig und gut verkauft wurde, wird es darum nicht wahrer. Wäre da der 9. November 1989 nicht ein schönes Beispiel für die Überraschung, die sich Menschen selber schenken können, wenn sie es nur wollen?
Allerdings haben sie danach leider gleich wieder vergessen, was wie eigentlich wollten. Schade. Das müssen die Europäer ja nicht auch wieder nachmachen. Einfach aus Fehlern lernen.