Europa – Meditation # 393
Es gibt nie genug Theater!
Träumen kann man in den social medias, die Wirklichkeit aber halten wir stattdessen für eine widerspenstige Baustelle und Dauerkrise: Sie will sich einfach nicht unseren schlichten Mustern beugen.
Am deutlichsten wird das in dem, was wir Demokratie oder Theater nennen.
So ein Theater! Zum Beispiel Bayern: Welche Lobby sollte man im Wahlkampf hofieren? Atomkraft. Und schon feiern die Medien ein neues Fest: Wer ist der stärkste im ganzen Land? Frau Holle! HÄ? Wie bitte? Oh, da ist wohl etwas durcheinander geraten.
Wirklichkeit und Fiktion. Besonders in demokratisch verfassten Staaten geht da dem Zuschauer, der ja auch Wähler ist, einiges durcheinander:
Wer hat da wen bestochen?
Audi-Chef Stadler beteuert zwei Jahre lang, nichts von den Manipulationen gewusst zu haben. Jetzt bietet die Staatsanwaltschaft einen „deal“ an: Geständnis bewirkt Haftverschonung? Und schon kann er sich erinnern! Was für ein lustiges Theaterstück!
Klimakrise. Wärmepumpen sind auf einmal der Hit. Doch wer soll das bezahlen? Oh, die chinesischen Produkte sind da viel günstiger! Machen wir es so wie mit der Solar-Industrie. Fallen lassen, billiger in China kaufen. Was für ein Theater aber auch!
Russlands Angriff auf die Ukraine. Nie wieder Krieg, hat es seit 1945 gerufen! Jetzt aber muss endlich nicht nur die BW, nein, auch die deutsche Rüstungsindustrie mal so richtig gepeppelt werden. Was ist das denn für eine Posse? Nein, das ist todernst.
Und nun steht auch der gesamte Kulturbetrieb – Radio, Fernsehen, Theater – auf dem Prüfstand. In diesem Saustall muss endlich mal klare Kante gezeigt werden! (So wie man vor Jahrzehnten Bahn, Kommunen, Krankenhäuser und Energie privatisierte, um sie effizienter zu gestalten und um jetzt festzustellen, dass außer wegrationalisieren für den Bürger nur der Frust geblieben ist!) Vorsicht, Vorsicht!
Apropos Theater: nötiger denn je wäre es, schon die Kinder in der Schule Theater spielen zu lassen, damit sie am eigenen Leibe zu spüren bekommen, was es heißt, etwas vorzuspielen, etwas zu gestalten, Rollen zu tauschen und Wirklichkeitsebenen auszuprobieren, damit der Verstand geschärft aus solchen Spielerfahrungen hervorgeht und der volljährige Wähler selbstbewusst und kritisch das öffentliche Theaterstück zu durchschauen versteht und sich nichts vormachen lässt.
Summa: der öffentliche Raum braucht die kulturellen Angebote eines pfiffigen Radios, einer kritischen Berichterstattung im TV und einer lustvollen Theaterszene, um den müden Konsumenten wach zu schütteln und weiter als selbstständigen Zeitgenossen ernst zu nehmen und ihn das Vertrauen in die vierte Gewalt nicht verlieren zu lassen: Damit die Demokratie nicht zum Selbstbedienungsladen potenter Privatinteressenten verkommt, in dem der Wähler nur noch abnickt, was in Hochglanz verpackt feil geboten wird. Und die gewählten Vertreter nicht meinen können, den so wie so inkompetenten Wähler ungestraft in Dauerschleife ablenken und einschläfern zu dürfen, damit hinter den Kulissen unkontrolliert gemauschelt und gekungelt werden kann!