06 Sep

Leseprobe aus dem zweiten historischen Roman – Blatt # 85

GESANG UND GÖTTERBERG IM SCHNEE

Unruhig hockt die alte Eule auf dem dicken Ast der Blutbuche. Was sie sieht und hört, gefällt ihr nicht. Weder die tanzenden Schneeflocken, noch das flackernde Licht, das von einigen Feuerstellen herrühren muss. Das ist ihr Berg. Weder Kälte, noch Menschenstimmen behagen ihr, aber sie nimmt es hin. Wie immer.

Somythall muss nicht frieren. Sie ist in Felldecken gehüllt. Ihr Atem zaubert wunderbare Luftgebilde in die Nacht. Ihre Augen sind geschlossen. Sie träumt. Rochwyn hat sie in einer Sänfte hierher tragen lassen. Seine Leute murrten vergeblich.

Es ist Wintersonnenwende, Leute!“ hatte er gezischt.

Wir müssen unseren Göttern huldigen, dass sie uns im kommenden Jahr gewogen sein mögen“, schiebt er noch hinterher.

Jetzt stehen sie in der Höhle, die schon so lange den Waldgöttern geweiht ist, und beten und summen ihre alten Melodien. Nur wenige Fackeln beleuchten das heimliche Fest der Gläubigen. Rochwyn erinnert sich an bessere Tage, an denen sein Vater ihm von diesem fernen Götterberg erzählt hatte, damals in Arelatum. Dort steigen sie auf und ab – zur Sommersonnenwende wie zur Wintersommerwende – hatte er gesagt. Und die Menschen bringen ihnen Opfergaben, schon immer. Ganz gleich, ob es Römer, Sklaven, Franken oder Yren sind. Sie alle spüren, dass sie von den Göttern beobachtet werden. So sein Vater. Und er als kleiner Junge hatte gebannt gelauscht und sich gewünscht, auch einmal an solch einem Fest dort teilnehmen zu dürfen. Dass er nun hier neben seiner Göttin, Somythall, steht, sie schützt und mit ihr den uralten Göttern huldigt, erscheint ihm wie ein Traum.

Gleichzeitig betet unten in der kleinen Klosterkirche Bruder Benedikt mit seinen Mitbrüdern zu seinem Gott, der über Syrien und Yrrlanth seinen Weg hierher gefunden hat:

Herr, mein Herr, lass uns nicht zuschanden werden! Wir feiern heute deinen Geburtstag. Aber wir sind umgeben von gewaltbereiten Ungläubigen, die sich einfach nicht taufen lassen wollen oder an den falschen Christus glauben! Drum lasset uns singen: Herr, erbarme dich und verlasse uns nicht!“ Benedikt reckt die Arme hoch und stimmt den Sermon an.

Und gleich beginnen die Mitbrüder singend zu antworten. Sie frieren. Die Öllämpchen spenden nur spärlich Licht. Es ist bitter kalt in ihrem kleinen Gotteshaus. Ihre Hände vergraben sie unter dreckigen Stoffbahnen.

Währenddessen schneit es weiter lautlos Flocken vom Himmel. Und auf der anderen Seite des Götterbergs, im Schutz des dichten Buchenwalds beten alte Männer, alles ehemalige Krieger, in der Ruine ihres Gottes zu Sol Invictus. Finster blicken sie am Geburtstag ihres Gottes auf das zerborstene Standbild und murmeln übelste Flüche gegen all ihre Feinde, die sie gerne tot sähen. „Hilf uns, sie zu töten!“ beten sie inbrünstig, „hilf uns!“

05 Jan

Leseprobe zum Roman: DIE FAST SCHON VERGESSENE BOTSCHAFT VOM GLÜCK

Blatt 76                05-01-18

Das Treffen zwischen Bischof Arnulf und dem Gefolgsmann Pippin

Männer stehen ihre klammen Hände wärmend an kleinen Feuern. Die Steinmetze schauen verächtlich rüber zu ihnen: Diese Faulenzer. Quader für Quader und Steinblume für Steinblume, so hauen sie pure Schönheit aus dem groben Gestein. Der Meister, Rimgard, achtet bei seinen Lehrlingen auf jeden Schlag: Langsam, langsam und behutsamer, das ist täglich seine Botschaft. Die verängstigten Lehrlinge zittern schon. Vom Meister gestraft oder gar davon gejagt zu werden, das tut weh. Am hölzernen Kranrad schreit sich gerade der Vorarbeiter die Kehle wund:

„Passt doch auf, ihr Idioten! Die Hölle ist euch sicher, wenn auch nur ein Block herabstürzt. Was sag ich, die Hölle, in unzähligen Höllenfeuern sollt ihr schmoren, ihr Idioten!“

Gerade wollen die Männer an den Feuern lauthals loslachen, da sehen sie den Bischof heranreiten. Sofort rennen sie zu ihren Arbeitsplätzen und mimen die eifrigsten Bauleute, die man sich denken kann. Eine kleine Rabenschar steigt erschrocken auf und kreist über der großen Baustelle. Von oben könnten sie schon die Ausmaße des Hauptschiffes erkennen, auch der anschließende Grundriss des Kreuzgangs wäre ihnen ins Auge gefallen, wenn sie dafür einen Blick hätten. Stattdessen halten sie Ausschau nach Essensresten.

Der Architekt tritt gerade aus dem unfertigen Gemäuer, geht ehrfürchtig in die Knie, als Arnulf aus dem Sattel steigt. Der hat es eilig:

„Schon gut, steht auf, Meister Wisigund, wir wollen euch nicht in eurer Arbeit stören. Ich will Pippin nur kurz zeigen, was sich hier zur Ehre unseres christlichen Gottes gerade so tut.“

Mit gönnerhafter Geste schickt er Wisigund wieder weg. Dabei dreht er sich breit lächelnd zu Pippin um, der auch gerade absteigt und sich fragt, was das alles soll. Kein Wort hatte der Bischof mit ihm geredet, als sie sich unterwegs trafen und dann gemeinsam weiter ritten.

„Wir stehen hier an einer bedeutsamen Stelle, Pippin. Der König möchte, dass hier die neue Grablege der Königsfamilie entsteht. Dementsprechend eindrucksvoll und natürlich Gott preisend soll dieser Tempel der Kirche werden. Was sagst du dazu?“

Pippin traut dem Braten nicht. Was hat Arnulf vor, warum zeigt er mir diese langweilige Baustelle?

„Großartig, großartig“, so hört er sich selbst antworten. Huldvoll winkt Arnulf gerade seinen Baulauten zu, die sich demütig verneigen. Auch der Vorarbeiter tut jetzt so, als wenn alles bestens wäre. Pippin friert. Er bräuchte wärmere Kleider für den Winter. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? Und ein Haus, ein eigenes, mit Pippa. Ich hasse diesen eingebildeten Bischof. Ich hasse ihn, knurrt er in sich hinein. Ich hasse ihn so sehr.

„Es freut mich, dass es dir gefällt. Noch mehr wird dir sicher gefallen, was ich mir für dich ausgedacht habe.“

Breit grinsend steht der Bischof vor dem frierenden Pippin, der nicht weiß, ob er sich freuen oder Angst haben soll.

„Für mich?“ fragt Pippin ehrlich überrascht. Nebeneinander gehend gelangen sie gerade zu der kleinen Gedenkkapelle für den heiligen Mann und Märtyrer Dionysius, dem auch der neue Tempel geweiht werden soll. Pippin interessiert das überhaupt nicht. Er möchte endlich wissen, was dieses Treffen hier soll.

Bischof Arnulf bleibt vor der offenen Kapelle stehen und wendet sich nun mit einer Ernst und Bedeutung vortäuschenden Mimik an den ratlosen Frankenmann Pippin.

„Wir stehen hier an einem wichtigen Ort. Der König macht diesem Dionysius eine Schenkung nach der anderen. Was da hinten gebaut wird, wird einmalig sein. Groß, erhaben, unseren christlichen Gott zum Wohlgefallen. Und genau hier möchte ich dir verkünden, was der König (Arnulf ist natürlich klar, dass der König davon gar nichts weiß, zum Glück) und ich uns ausgedacht haben – als Anerkennung für deine tollkühne Mithrasaktion.“

Arnulf hält inne. Er will die Wirkung im Gesicht von Pippin studieren, sich freuen an der inneren Gespanntheit seines Gegenübers. Der ahnt nichts Gutes. Mit fragendem Blick starrt er den verhassten Mann zähneknirschend an. Und schweigt.

„Mein Gutspächter Brodlyn versinkt in Misswirtschaft. Der König und ich haben uns deshalb entschlossen, dir dieses Gut als Pächter anzuvertrauen.“

04 Jan

Die fast schon vergessene Botschaft vom Glück # 74

Pippin sucht Kraft bei seiner Pippa

Es wollte einfach nicht hell werden, als Pippin durch die Schlammpfade stampft. Aus vielen Hütten steigt Rauch auf. Lutetia wacht auf. Hunde sträunen und bellen hier und da. Pippin erinnert sich plötzlich an den Ort, wo sie arbeitet und übernachtet, meistens. Und als er jetzt nach vorne schaut, unsicher mit flauem Gefühl im Bauch, meint er auch das Haus wiederzuerkennen. Raben fliegen ihm schreiend schräg durchs Bild. Das macht ihm natürlich Angst. Diese Schreihälse, so früh am Morgen. Was wollen sie ihm zukreischen? Er weicht in einen Nebenweg aus, kurz vor seinem neuen Ziel. Ein Schwein schrabbt grunzend an seinen Beinen vorbei. Vertrauter mieser Geruch. Hau ab, du blöde Sau, zischt er dem Tier hinterher. Aus seinen kleinen klugen Augen schaut es zu ihm fragend zurück. Was hab ich denn gemacht? Kann sein, dass das Schwein das gerade denkt, schafft sich Pippin grinsend etwas Luft in seinem niederdrückenden Denkgebäude. Er lacht. Jetzt steht er hinter dem Haus, in dem seine Pippina hoffentlich gerade am Herd steht. Ein kurzer Blick in die tief hängenden Wolken, als wenn von dort ihm vielleicht Mithras – wie kommt er denn jetzt gerade auf den? – ein aufmunterndes Zeichen geben sollte. Die Bilder vom Gemetzel im Mithräum melden sich prompt zurück. Weg damit! Weg! Schluckend wendet er sich wieder dem Türchen hinter dem Haus zu und hofft, Pippa tritt jetzt heraus.

Da öffnet sich knarzend die klapprige Tür und Pippa tritt noch völlig verschlafen und mit wild um sie herum wallendem Haar ins Freie. „Pippa!“ ruft Pippin freudig erschrocken, „ich kann es gar nicht fassen!“

Sie glotzt ihn an, als sei er eine dämonische Erscheinung, die es auf sie abgesehen hätte.

Mit der Hand hinter sich die Tür suchend stottert sie ungläubig:

Was willst du denn hier, hä?“

Ich musste dich unbedingt sehen“, dabei kommt er langsam näher, er will sie auf keinen Fall verscheuchen, er braucht sie jetzt so sehr, „der Bischof will mich sprechen und ich weiß nicht, was ich davon halten soll.“

Da fällt das Misstrauen von ihr ab wie welkes Laub und sie probiert schnell ihr schamlosestes Lächeln aus:

Ach was?! Der Bischof. Dieser miese Hund. Der sucht sicher wieder kostenlose Helfer für eines seiner nächsten Untaten, bestimmt. Also lass dir von dem nur keine Angst einjagen, der ist selber ein Angsthase.“ Dabei stemmt sie ausgelassen ihre Hände in die Hüften. Ihre Brüste bringen ihn fast um den Verstand. Und wie die redet!

Pippin kann nur staunen. Wo nimmt die denn ihre Dreistigkeit her, warum hat die keine Angst vor diesem Monster? Aber es tut gut, sie so reden zu hören. Das lässt ihn wieder etwas unbeschwerter atmen.

Könnte schon sein, das könnte dahinter stecken. Hab ich mir auch schon gedacht“, schiebt er noch schnell hinterher. Pippa durchschaut ihn natürlich sofort. Aber er gefällt ihr. Vielleicht kann sie ihn ja schön herrichten für sich, denkt sie lustvoll. Der ist ja richtig anhänglich. Gut, dann soll er mal hängen bleiben.

Was hältst du davon, wenn wir uns nach meinem Treffen mit diesem aufgeblasenen Arnulf in den Kellergewölben des Amphitheaters treffen. Da könnte ich dir gleich alles brühwarm erzählen.“

Pippin findet seine Rede richtig gut. So ganz ohne Angst war das herausgekommen, obwohl die Angst vor dem Treffen immer noch dadrunter rumort. Pippa nickt grinsend und läuft dann ohne noch etwas zu sagen los, schnappt sich den kleinen Bottich, um Wasser zu holen. Pippin schaut ihr gierig hinterher. Dieser Gang: Eine lockende Versuchung. Jetzt fühlt er sich schon viel besser. Der Bischof soll ja nicht meinen, er könne ihn einschüchtern. Pippa hat ja so recht.