03 Apr

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 59

Zeus, der Gernegroß knickt vor der Tochter ein

Unser vollmundiger Schürzenjäger sitzt oben auf seinem Götterberg und bastelt weiter an seinem Racheplan. Dass er jetzt auch noch dieses Bild mitansehen muss, wie Europa gerade leise vom Lager des Minos von Kreta aufsteht und völlig ungesehen aus dem Palast schleicht: Nicht als ängstliche Frau, sondern als stolze Gewinnerin! Das macht ihn rasend vor Wut. Und sicher wäre er gleich zu seinen Brüdern gerannt, um ihnen zu sagen, dass sie ihren gemeinsam verabredeten Anschlag gegen die phönizische Prinzessin Europa gleich ins Werk setzen sollten, wenn nicht seine Tochter Athene – wie immer zum unpassendsten Augenblick – plötzlich vor ihm gestanden hätte:

Vater, was bedrückt dich? Waren Nektar und Ambrosia heute nicht köstlich genug?“ Dabei legt sie vertraulich ihren Arm um seine Schulter.

Zu dumm aber auch, denkt Zeus. Ich bin wirklich nicht in der Stimmung, Athene Rede und Antwort zu stehen. Aber er weiß, sie wird nicht locker lassen. Also dann doch lieber Flucht nach vorn:

Nichts, meine Liebe, nichts. Ich bin nur etwas sauer, weil da unten uns nicht ordentlich geopfert wird. Das sollte dich auch unwillig machen oder?“

Athene grinst und schweigt, dann säuselt sie kichernd:

Nichts? Das klingt aber gar nicht überzeugend, lieber Vater. Und vor unseren Altären unten sehe ich die Menschen fleißig Opfer bringen. Schau, selbst auf Kreta steigt schöner Rauch auf.“

Dass seine Tochter jetzt auch noch gerade auf diese Insel zu sprechen kommt, passt ihm überhaupt nicht. Aber er darf sich nicht verraten. Das gäbe solch ein Theater im nächsten Familienrat hier oben, dazu hat er überhaupt keine Lust. Seine Frau und Athene würden sofort gemeinsam über ihn herfallen, ihn in die Enge treiben. Nein, danke, dazu hatte er nun wirklich keine Lust. Jetzt.

Wie schön“, säuselt er also zurück, „wie schön.“

Athene wittert allerdings den Braten.

Eben noch sauer und jetzt ‚wie schön!‘, ‚wie schön!“? Was ist los mit dir?“

Athene, bitte, ich bin einfach etwas müde. Erzähl mir lieber, was du gerade so treibst. Das wird mich sicher wieder aufwecken.“

Athene beschließt, einfach mitzuspielen. Aber sie wittert die Geschichte, die da hinter der Stirn des Göttervaters abläuft.

Nun, ich bin eben drei Brüdern begegnet, die auf der Suche nach ihrer Schwester sind. Nette Jungs, übrigens. Söhne des Königs der Phönizier. Vielleicht kann ich denen sogar helfen, mal sehen.“

Zeus gefriert fast das göttliche Blut in den Adern, als er das hört. Jetzt muss er erst recht den gelangweilten alten Vater spielen.

Ach, drei Brüder? Wie heißen die denn?“

Athene ist froh, dass ihr Vater wieder bei besserer Laune zu sein scheint – dank ihrer kleinen Geschichte. Sie hat keine Ahnung, wie falsch sie damit liegt.

21 Dez

Europa – die Fortsetzung der alten Geschichte # 57

Europa gelingt mit einer List das Unfassbare

Europa! Wie schön, dass du kommst – ich wusste es, ich wusste es!“ flüstert Archaikos ihr ins Ohr, als er sie lustvoll begrüßt und umarmt. Dann nimmt er sie an der Hand und führt sie wortlos und fast im Laufschritt zu seinem kuppelförmigen Schlafgemach. Seine Leibwache hatte er bereits in die Vorräume verbannt. Europa lässt sich einfach mitziehen. Der Raum empfängt die beiden mit verführerischen Angeboten für die aufgeregten Sinne: drei kleine Feuer brennen in metallig glänzenden dreibeinigen Behältern, dazwischen jeweils drei Duftschalen, die sie gleich mit schwerem Mandelholzgeruch verwöhnen, und an den hohen Wänden flackern drei Fackeln und senden buntes Lichtgetanze ins umarmende Rundgemäuer und zu dem ungleichen Paar, das sich gerade auf der weiten Liege, schaffellbedeckt, niederlässt. Er will sich Zeit lassen, hat sich Archaikos in seinem Tagtraum vorgenommen, langsam will er die schöne, immer noch fremde Frau, für sich und seine sinnlichsten Phantasien gewinnen. Und sie spürt es sofort und lässt ihn gewähren. Er soll sich ganz als der Starke fühlen. Dann wird sie ihn umso leichter überraschen können mit ihrem Wunsch. Später. Sie genießt es jetzt. Seine Liebkosungen wollen keine Stelle ihrer Haut auslassen, so scheint es. Und so anders als neulich in der Höhle mit IHM…Sie spürt Archaikos hinterher und stöhnt ihn leise in immer mutigere Zärtlichkeiten. Halb entkleidet sie sich selbst, halb hilft er ihr und sich. Aber auch dann nimmt er sich Zeit. Europa staunt, wie sehr er ihr huldigt mit seinen Berührungen, die die feuchten Lippen vorantreiben. Bis sie schließlich eins werden. Wollüstig stöhnend geben sie sich dem anderen hin und vergessen dabei die Gerüche und Lichtspiele um sie herum. Umsomehr saugen sie die Düfte ihrer Körper ein und gleiten voller Lust über die immer feuchter werdende Haut. Schweratmend und mit geschlossenen Lidern, durch die immer noch ein schwacher Schimmer warmen Fackellichts sickert, lassen sie schließlich voneinander ab. Wie zwei erschöpfte Tiere liegen sie da, schwer atmend auf dem Rücken nebeneinander. Jetzt ist der Augenblick gekommen, auf den Europa gewartet hat. Sie beginnt leise zu summen. Archaikos legt sanft seine Hand auf ihre schwitzende und glänzende Haut:

„Was ist das für eine Melodie, die du da summst, Europa?“

Flüsternd hatte er diese ersten Worte nach ihrem Sinnenrauschfest ausgesprochen. Europa lässt sich lange Zeit mit Antworten. Sie dreht sich langsam zu ihm hin, stützt sich mit einem Arm ab, um ihn besser betrachten zu können. Ihn, den furchtlosen und mächtigen Minos von Kreta.

„Es ist die Melodie, zu der wir beim nächsten Vollmond vor dir tanzen werden.“

Archaikos muss lachen. Die Priesterinnen hatten ihn ja tatsächlich überredet zu diesem neuen Festtanz. Er hatte zugestimmt. Die Melodie gefällt ihm. Und er ist jetzt völlig entspannt und angenehm erschöpft.

„Stimmt. Ich bin sehr neugierig, was wir da zu sehen bekommen werden.“

Auf diesen Satz hat sie gewartet. Jetzt will sie scheinbar völlig aus dem Augenblick geboren ihm ein Versprechen entlocken, das so aussehen soll, als wäre es nur ein Spaß, ein bloßer Einfall.

„Da kommt mir ein Gedanke. Wenn er dir gefallen sollte, unser neuer Tanz (und Europa ist sich sicher, dass er es wird), dann könntest du doch einfach so – aus einer guten Laune heraus – meine Hand ergreifen und sagen: Du sollst die neue Königin an meiner Seite sein, denn so etwas Schöner habe ich noch nie gesehen.“

Jetzt richtet sich auch Archaikos auf, schaut sie völlig verblüfft an, schüttelt den Kopf, so dass Europa schon denkt, dass es schief gegangen ist, und sagt dann aber:

„Klar, warum nicht? Das verspreche ich dir.“

10 Feb

Europa – Mythos # 48

Die Mutter Europas kehrt aus der Unterwelt zurück

Nebelschwaden zerstäuben lautlos in früh wehenden Lüften. Schroffe Felswände glänzen matt von kaltem Morgentau. Es liegt ein müdes Raunen in der Luft wie Klagelaute von tief herauf. Aus Klüften melden sich fahle Schatten so zu Wort:

„Telephassa, Telephassa, komm, lass das Weinen, weg mit dem Zorn! Wir führen dich zu lichteren Gegenden. Dorthin, wo deine Tochter Europa hingelangte, als sie vor der Gewalt ihres Vaters floh. Erinner‘ dich an deine alte Kraft und Würde – du hattest einen lichten Auftrag von uns allen und du hattest so gut begonnen. Schau doch, wie deine Tochter rätselt, was sie denken, was sie tun soll!“

Wie in einer kleinen Einsiedelei wacht sie nun auf. Die Wunden sind wunderbar geheilt. Der Mörderbande Tat zum Glück umsonst gewesen. Die wohlbekannte Königin war ja längst mit ihren drei Söhnen Kadmos, Phoinix und Kilix heimlich geflohen und so den Häschern entgangen. Zusammen wollten sie die entführte Tochter und Schwester Europa finden und befreien. Telephassa erinnert sich jetzt daran und lauscht dem wispernden Flüstern, das an ihr luftig vorbei huscht. Langsam gewöhnen sich die immer noch müden Augen ans junge Morgenlicht. Es tut gut erwacht zu sein, wenn auch die Albträume schwer an ihr zerrten.

Agenor, ihr blindwütiger Gatte, tobt da wie ein Tier. Fleht Poseidon, seinen Vater, um Hilfe an. Vergeblich. Denn der feiert gerade mit seinen Brüdern Zeus und Hades den Beginn der neuen Männermacht. Wie sie zumindest hoffen. Zuviel haben sie getrunken, zu laut gegrölt, zu schwer gegessen. Europa verfluchen, die Frauen unter die Knute der Männer zwingen, das ist nach ihrem Geschmack. Und auf dem Tanzfest, das mit dem Beginn des Frühlings auf Kreta erstmals gefeiert werden soll, wollen sie der Hohenpriesterin und Europa einen unvergesslichen Denkzettel abliefern. Einen demütigenden, einen hämischen. Zeus muss eben einfach dieser phönizischen Prinzessin zeigen, dass ihr Hochmut dem Obergott gegenüber gnadenlos geahndet werden muss. Gnadenlos. Und bald. Wie unselige Geister der Unterwelt, so tanzten sie durch ihren Traum. Gräulich lachend und geifernd. Sie wurde an eine kalte Wand gedrängt. Die drei schienen sie erdrücken zu wollen. Lüstern und todbringend. Aber es war nur ein Traum. Erwacht durfte sie – geleitet von den guten Geistern der großen Göttin – aus der Unterwelt entweichen. Zu dumm aber auch, dass Hades gerade unterwegs ist und seinen Kater auskuriert. So war es eine leichte Flucht. Sie sollte sich nur nicht umdrehen, rieten ihr die einflüsternden Stimmen. Wozu auch, dachte sie, wozu?

Auf welches Meer schaut sie da jetzt? Wo sind ihre drei Söhne geblieben? Was soll ich tun? Telephassa lehnt sich erschöpft an die kalte Felswand. Die Stimmen werden immer leiser, als wollten sie sich von ihr verabschieden. Aber sie hat doch noch so viele Fragen! Flehend schließt sie die Augen. Wartet. Hofft. Dann kommen aber wie von selbst die rettenden Gedanken. Ich habe einen Auftrag, die Göttin steht mir bei. Ich werde zurück zu den Menschen gehen, werde Fragen stellen, werde Hilfe bekommen. Tief atmet sie ein, genießt die frische Morgenluft und die wohltuende Stille. Und wie eine Einladung klingt ihr das ferne Rauschen der Brandung. Komm, Telephassa, komm und lass dich nicht aufhalten! Der große, Leben spendende Äther trägt dich, verbindet dich mit allem, auch mit deiner Tochter Europa, auch mit deinen Söhnen. Also, mach dich auf den Weg, hilf ihr mit all deiner Weisheit, Liebe und Gelassenheit! Was wohl die Möwen meinen, die gerade so laut unter ihr am Strand zu streiten scheinen? Oder ist es Lebensfreude, Ausgelassenheit, die sie so schreien lässt?

Und ist der Mut ihrer Tochter Europa nicht staunenswert? Ganz alleine hat sie sich aufgemacht.

Telephassa will sie finden, will ihr helfen. Es fühlt sich gut an. Sie will auf jedes Zeichen, das sich in ihr – wenn auch noch so leise – rühren sollte, lauschen, damit sie nicht in die Irre geht. Ohne auch nur eine Ahnung zu haben, was die nächsten Tage bringen werden, macht sie sich weiter tief ein- und ausatmend auf den Weg. Sie will am Meer entlang gehen, bis sie auf Menschen stößt, die ihr weiterhelfen werden. Dieser Vorsatz, den sie da gerade in sich wachsen lässt, ist wie ein erfrischendes Getränk, das sie belebt, stärkt und sicher macht. Es ist gut, was ich vorhabe. Auch der Albtraum hatte seinen Sinn darin. Er liegt hinter mir wie eine wichtige Warnung: Sei auf der Hut, die fast schon vergessene Botschaft vom Glück will weitererzählt werden. Jeden Tag muss sie neu gelebt werden, erneut verteidigt werden. Nur so wird sie in den Herzen der Menschen wachsen können, nur so kann sie den Menschen Glück bringen, Lebensfreude. Tu es!

Telephassa hüpft fast vor Freude den Hang hinab zum Meer. Ihr Übermut verleiht ihr geradezu Flügel. Alles um sie herum scheint sie wie in einer Sänfte zu tragen. Leicht, heiter, mühelos. Der Seevögel Tanz am Himmel, der schäumende Glanz der Wellen, das wärmende Licht des Morgens – all das tut ihr so gut und gibt ihr das Gefühl zuhause zu sein. Beschenkt, beglückt, begeistert.