21 Juni

Europa – Meditation # 99 Heimat-Text Nr. 16

Jeder Begriff entsteht durch das Gleichsetzen des Nichtgleichen (Nietzsche)

Fall- Beispiel Nr. 3

Im nächsten Beispiel weiten wir ein Stück weit die Perspektive und tun so – und das nicht nur in den Begriffen, sondern auch im Phantasieren – als gäbe es außerhalb unseres Horizontes in der Atmosphäre einen Punkt, von wo aus wir das Weltgeschehen (auch so ein Ehrfurcht heischender Begriff!) als scheinbar neutraler Betrachter – eben sine ira et studio – (in Latein wirken Zorn und Eifern einfach viel unschuldiger und sachlicher) uns anschauen können. Und was werden wir da sehen wollen? Genau. Zwei kleine Giganten, so groß wie in Gullivers Reise, die mit Hilfe der Medien hin und her zu schwanken scheinen zwischen Dick und Doof und Kimm und Donn, aber immer auch so, dass es ordentlich menschelt, damit sie uns nicht allzu fremd werden. Zänkisch, eitel, aufbrausend, totale Unterwerfung der Gefolgsleute fordernd und schön unberechenbar. Das ist aufregend und anregend zugleich, also gute Unterhaltung – global gesehen sozusagen – aber leider ist der leichtfertige Tonfall gar nicht angebracht, denn schließlich hängt ja alles mit allem zusammen, also sind wir nicht nur scheinbar über den Dingen stehend, sondern gleichzeitig auch voll mittendrin, auch mit den unabsehbaren möglichen Folgen.

3. Beispiel: die Weltbühne

Globalisierung und globale Vernetzung sind inzwischen Begriffe, mit denen wir umgehen wie mit Salz und Butter, Brot und Wein. Die Welt scheinbar geschrumpft zu einem überschaubaren Dorf, in dem wir uns jederzeit mit jedem zu jedem Thema verständigen können. So das Bild, so die Phantasie. Aber in Wirklichkeit?  Wenn sich Kimm und Donn in Singapur treffen, können wir zeitgleich dabei sein und Karossen mit getönten Scheiben bestaunen, junge Leibwächter, die gemächlich nebenher trotten, wie deutsche Schäferhunde und uns wundern, wie es gekommen ist, dass die beiden kleinen Giganten, die sich eben noch schmähten und dem anderen den Tod wünschten, nun freundlichst Hände schütteln und gemeinsame Erklärungen unterzeichnen. Wie das?  Die Nähe, die wir mit Hilfe unsere Technik herbeizuzaubern wissen, hilft uns, das Fremde, Andere als das gar nicht so Fremde, Andere zu glauben. So lange es dauert. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass es um beinharte Interessen geht. Der eine möchte gern seinem Land mehr Waren und Geld ins Land spülen, der andere möchte gern den Friedensnobelpreis gewinnen. Um welchen Preis aber? Wie weit werden sie ihre Eitelkeiten auf Kosten ihrer Völker treiben können/dürfen? Und wieder machen wir uns Bilder, als wäre das Gesehene und Gehörte das, was es vorgibt. Wenn dem aber nicht so wäre? Schnell fänden wir die Schuldigen, die dafür zur Verantwortung gezogen werden müssen: Die Medien, die uns „falsch“ informiert haben, die Defaitisten, die dem eigenen Volk in den Rücken fielen. Unsere Phantasie mit ihrem reichen Bildervorrat zeigt uns sonnenklar die Wahrheiten dazu. Apropos Sonne.

Gerade heute ist SommerSonnenWende. Und die Priester der Sonne sind natürlich vor Ort und umwandern raunend den altehrwürdigen Steinkreis, und eben auch zeitgleich mit dem sogenannten globalen Geschehen, die empfindsamen Anbeter folgen ihnen gerne und voller Zuversicht: Sie reden zu uns, die Steine, man muss sie nur hören wollen. Seit so vielen Jahrtausenden schon. Ergriffen lassen sie sich vom aufgehenden Sonnenlicht blenden und sehen plötzlich nie Gesehenes. Alte Rituale, alte Gewissheiten, die immer wieder neu erzählt werden. Und unsere kleinen Giganten fühlen sich sowieso auf der Sonnenseite der Geschicke und des Glücks, als wären sie Boten alter Botschaften, die die schnelllebige Gegenwart nur leichtfertig vergessen habe. So einfach ist das mit den Bildern, den Gewissheiten und der Wahrheit der Wirklichkeit, meinen Kimm und Donn.

19 Juni

Europa – Meditation # 98 Heimat-Text Nr. 15

Jeder Begriff entsteht durch das Gleichsetzen des Nichtgleichen (Nietzsche)

Fall-Beispiel Nr. 2

Beim nächsten Beispiel läuft unsere Phantasie so richtig auf Form auf. Denn wenn es um Sport geht, weiß jeder voll Bescheid. Ist doch klar. Und in Sachen Fußball-WM sind wir von den Medien ja entsprechend vorbereitet worden – in langweiligen Fachsimplerrunden, in geschönten Zeitlupenkontern, in Vergangenheitssiegesendlosschleifen und in zu Herzen gehenden Heimatserien, in denen wir die Spieler, den Trainer und wen sonst noch zuhause am Herd sitzen sehen, wie sie ihre Haustiere herzen, ihre Frauen Essen servieren lassen und die Kinder mit dem Ball jonglieren dürfen. So schön, unsere Giganten im Privaten! Als wären es unsere Nachbarn, glaubten an die gleichen Götter und hätten die gleichen Vorlieben wie wir. (Das viele Geld wollen wir ihnen ruhig gönnen – oder vielleicht auch nicht, wenn die Leistung nicht stimmt, oder?) Da ist unsere Phantasie voll auf der Sonnenseite der Gewissheiten von Kraft, Schnelligkeit, Geschmeidigkeit und von Sieg und von Verwandtschaft. Was uns dabei mitunter entgeht, ist die gebührende Nachdenklichkeit, dass unsere Bilder und Vorhersagen wie ein buntes kleines Kartenhaus nur sehr wenig mit dem gemein haben, was man so gemeinhin Wirklichkeit oder Wahrheit nennt. Ein bequemes Kartenhaus, eben, nicht mehr und nicht weniger. Und was waren Giganten noch einmal in der griechischen Mythologie? Später. Später. Jetzt ist echt keine Zeit für solche Besserwisserfragen, echt.

2. Beispiel: die sportliche Bühne

(man beobachte sich kurz selber, wie automatisch und sofort die schönsten Gewissheiten über die nächste Welt-Meisterschaft in unserem Kopf in niedlichen Purzelbäumen sich ein Stelldichein geben!)

…die nächsten beiden kleinen Giganten (nur böse Zungen würden hier zum Begriff des Gockels oder der Ziege greifen) nennen wir einfach einmal Leo und Chrissie. Die Medien sind ganz nah dran an ihnen, an ihren allzu menschlichen Eitelkeiten und Vergehen, so dass wir uns wieder wie zuhause fühlen. Könnten unsere Nachbarn sein. Und wenn sich die Hochleistungskamera langsam an sie heran zoomt, wird uns ordentlich warm ums Herz. Natürlich soll jeder Begriff, der von den Medien im Zusammenhang dieser beiden gigantischen Buben benutzt werden, ein Stück weit uns als Lesern oder Zuschauern die ehrliche Möglichkeit geben, hinter die Kulissen dieses Stückes schauen zu können, um noch mehr Nähe zu schaffen, noch mehr Wahrhaftigkeit, noch mehr Autentizität. ( Und wieder torkeln Begriffe, Bilder, Meinungen, Sehnsüchte im geschlossenen System unserer Phantasie auf und werden unablässig in wohltuenden Dosen weiter eingespeist, die uns angenehm aufregen, begeistern und uns ganz sicher machen, dass wir in unserem Nachdenken nichts anderes tun, als die Wirklichkeit fast 1:1 abzubilden. Wenn da nicht der Satz im Wege stünde, dass jeder Begriff durch das Gleichsetzen des Nichtgleichen entsteht. Und damit pure Einbildung geschimpft werden könnte. Aber bei so viel Begeisterung und soviel Ablenkung wollen wir doch keine Spielverderber sein. Oder?

(Fortsetzung in Kürze)

19 Juni

Europa – Meditation # 97 Heimat-Text Nr. 14

Jeder Begriff entsteht durch das Gleichsetzen des Nichtgleichen (Nietzsche)  – Fall-Beispiel Nr. 1

Schon immer beherrscht unsere Phantasie unser Denken, Sprechen und Schlussfolgern. Schon immer. Aber unsere Phantasie ist ein Tollhaus an Farben, Formen und Vergleichen. Dieses Chaos – das damit auch dem großen Chaos verwandt bleibt – gilt es zu bändigen.

Das schafft der Mensch mit Hilfe von Begriffen und deren Verknüpfungen. Schon immer. Wir nennen es dann wirkliche Wirklichkeiten, Wahrheiten, Sicherheiten für uns und die Welt. Wobei Welt schon so ein großer Begriff wäre, der brav etwas unterstellt, das so gar nicht existiert – außer in unserer Vorstellung: Die Welt als Wille und Vorstellung. Alle drei Begriffe dieses griffigen Slogans aus der Philosophie des 19. Jahrhunderts sind aber nur Versprechungen, die sie nicht halten können, weil sie immer etwas gleichsetzen, was dem eben nicht gleich ist; also eine mutwilliger Ineinssetzung, damit uns das Chaos scheinbar als durchschaubar, erklärbar, beherrschbar erscheint.

Angewandt – probehalber – auf die Gegenwart (was ist eigentlich Gegenwart?), die anhand von fünf Beispielpaaren beleuchtet werden soll, könnte das dann so aussehen: aus dem Repertoire der kleinen Giganten

1. Beispiel: die politische Bühne

(man beachte das praktische Bild, das die Wörter in unserer Phantasie dazu gleich herbeischleppen! GIGANTEN!) die ersten beiden kleinen Giganten nennen wir einmal Angela und Horst, einfach so. Die Medien, die ja wegen dem Trumpeltheater eigentlich bei einem anderen Stück zuschauen müsssten (da ist wohl gerade die Pause?), sind abgelenkt mit Ball-Spielereien im großen Russland und können deshalb nicht so genau hinschauen, was gerade der Horst und die Angela für ein Stückchen spielen. Aber en passent bestücken sie dennoch deren Spiel mit probatem Futter: Die Flüchtlinge liegen den beiden gnadenlos am Herzen, sagen sie, so an der Oberfläche der Wortspiele nicht zu übersehen. Doch subkutan – oder als Subtext – sollen dem Leser/Zuschauer natürlich ganz andere Bilder in der Phantasie entstehen. Bilder von Machtkampf, von Engstirnigkeit, von Mann-Frau-Gefecht im Gender-Krieg, von Buhlen um die Gunst der Wählerschaft (was für ein Berg an Begriffen, die alle wieder etwas gleichsetzen, was nicht gleich ist, aber so scheinen soll, damit wir halbwegs als homo sapiens (was für ein schönes Begriffswunschbild!) nicht die Übersicht verlieren. Übersicht? Was für ein Hochmut! Aber die Medien schwelgen weiter in diesem Begriffswald, als wäre es ein Forst, der nach den Mustern der Pflanzer genauso wächst, wie sie es wollen! (Fortsetzung in Kürze!)