15 Juni

Europa – Meditation # 96 Heimat-Text Nr. 13

Nebelkerzen im Zehnerpack! Juchhu!

Da wir ja von Anglizismen nicht genug bekommen können, wir beflissenen Schnell-Lerner, ist auch fake news längst in unser eigenes Lexikon dick unterstrichen eingeordnet.

Da wird – hokuspokus – eine neue Wahrheitsebene aus der Taufe gehoben, die vielleicht noch in der analogen Welt als Lüge bezeichnet werden könnte, nicht aber in der Wolke: Da erweist sie sich als absoluter Dauer-Joker.

Donald Duck macht es vor, und schon schallt des Echo aus dem Alpenvorland zurück: Obergrenze, Obergrenze! Ankerzentren, Ankerzentren! Heimatmuserum, Heimatmuseum!

Ach, so vertraute Silben, als wären wir zuhaus! Heimatgefühle kommen auf.

Zuhaus in unserem eigenen Gedächtnis, das bei soviel guten Assoziationen kaum vor Wohlfühlen weiß, wohin mit dem guten Lebensgefühl, bekommen diese drei Begriffe gleich einen Ehrenplatz im Wahrheitstempel unserer Wertewelt.

Wie sagte doch neulich Friedrich Nietzsche so treffend in seinem Text: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne (1873) ?

„Jeder Begriff entsteht durch das Gleichsetzen des Ungleichen.“

Angewandt auf Obergrenze, Ankerzentren und Heimatministerium gehen da gleich alle Alarmlampen an:

Denn hinter der Nebelwand von solchen Begriffen verbirgt sich nichts anderes als Niedertracht, Häme, Machtgier und Angstmache. Vor der Wand aber – wie in weichen Farben gemalt – scheint es um ernsthaftes Bemühen zu gehen, dem deutschen Zeitgenossen endlich ein Ende der Flüchtlingsthematik versprechen zu können, weil die Grenzen endlich dicht gemacht werden und die hier Ausharrenden endlich eingesammelt werden in überschaubaren Barracken. Dann erledigt sich die Zahl der Obergrenze sowieso wie von selbst. Gebetsmühlenartig zu wiederholen erhöht es selbstredend den Wahrheitsgehalt des Gesagten. Die erfolgreich angewandte fake-news-Methode, made in Bavaria.

Das klappt blendend dieser Tage, weil das Interesse der meisten sowieso in Russland unterwegs ist; auf der hohen Nebelwand erscheinen die vertrauten Bilder von Männern, die einem Ball hinterher laufen, und von vielen Menschen, die ihnen dabei unentwegt und voller Begeisterung zuschauen.

Dass sich hinter dieser Nebelwand allerdings bierernst machtgeile Männlein in Stellung bringen – notfalls auch zum Meucheln – ist so schön aus dem Blick gezaubert. Fein. Gute Arbeit!

14 Juni

Europa – Meditation # 95 Heimat-Text Nr. 12

Schiller reloaded:

Der Mensch ist nur da wirklich Mensch, wo er spielt

Endlich wieder Spiele. Ganz große Spiele. Und sie kommen alle: Die Spieler, die Zuschauer und die Erklärer der Spieler. Es wurde aber auch aller höchste Zeit. Denn der derzeitige Weltalltag ist nun wirklich kein Leckerbissen mehr: Dick und Doof hauen sich eben erst die Schädel ein (bildlich, versteht sich!), dann fallen sie sich tränenreich wieder in die Arme (uns kommen die Tränen!), Hänsel und Gretel streiten sich mal wieder um die Flüchtlinge und die Italiener trauern, weil sie an den Spielen nicht teilnehmen dürfen und die Spanier toben, weil ihnen kurz vor Toresschluss der Trainer im Stich lässt. Von Vulkanausbrüchen und Plastikplagen mal ganz zu schweigen.

Und wenn Schiller Recht haben sollte, dann tut der homo sapiens ja gerade das, was er soll, um ganz homo sapiens sein zu können: Spielen. Die einen mit dem Ball, die anderen an den Spielerbörsen und die übrigen mit den Gefühlen der Zuschauer. Wenn da nicht die Kosten wären. Und schon wird es wieder bitter ernst mit dem Spiel: Das kostet eben!

Wie von Zauberhand verschwindet da urplötzlich die Freude und Neid und Missgunst, Häme und Bestechung feiern fröhliche Urständ… Von völkischen Rülpsern mal ganz zu schweigen.

Aber auch die sonstigen Spielverderber lassen sich natürlich nicht lumpen:

Da wir ja alle im Labyrinth der Bilder blind spazieren gehen, entgeht uns vielleicht auch die warnende Geste der Kassandra, die unermüdlich warnt:

Euer Treiben, das ihr euphemistisch Spiel nennt, ist nichts weiter als ein schwindlig machender Taumel auf Treibsand, den ihr als das Fundament eurer (Un-)Ordnung anseht.

Da wir ja glücklicherweise bereits im KI-Zeitalter angekommen sind, kann der Spieler-Zampano auch fordern: „Jetzt aber mal schnell den Schalter im Kopf umlegen, um sich auf das zu konzentrieren, was für uns wichtig ist.“

Na toll, das können ja schöne Spiele werden, wirklich!

 

29 Mai

Europa – Meditation # 93 – erster audiobeitrag 2018

Nach den anregenden Tagen in Tübingen – dorthin hatte die Hölderlin-Gesellschaft zu ihrer Jahrestagung eingeladen – und mit den Botschaften aus BROT UND WEIN noch in den Ohren fuhren meine Frau Salome und ich über Worms zurück nach Bonn.

In Worms – es was Samstagabend, die Glocken hatten die Gemeinde zum Gottesdienst gerufen – stolperten wir in die Predigt eines alten Mannes, der im Tone selbstgewisser Glaubenssicherheit dem kleinen Häufchen Zuhörer, die in dem riesigen alten Raum wie ein vergessenes Überbleibsel von was auch immer wirkten, einzureden versuchte, wie wenig tauglich doch all die anderen Glaubensentwürfe auf der Welt neben dem des Alten und Neuen Testaments seien, wo ein strenger Gott doch klar die Botschaft verkünde, dass nur er der wahre Gott sei, der keine anderen neben sich dulde! Das klingt bis heute wie eine Drohung und in der europäischen Geschichte beweist die lange Liste unseliger Glaubenskriege, wer alles dem zum Opfer fiel.

Wieder zuhause ist es mir nun wirklich ein Bedürfnis, dem die bescheidene und vorsichtige Botschaft aus Brot und Wein entgegen zu setzen, damit man vielleicht doch noch einen Ausblick aus dieser allzu langen Gewaltgeschichte der Europäer gewahr wird, der Europa nun – jenseits aller hegemonialer Ansprüche – einen neuen Weg eröffnen könnte, denn oft ist es ja gerade auch die Krise, aus der das Rettende zu wachsen vermag!

Bevor ich nun selber in diese Richtung weiter öffentlich denken und reden möchte, lade ich alle interessierten Leser ein, in der benachbarten Kategorie „Europa-Mythos“ vorbei zu schauen, weil ich dort als audio-Beitrag Hölderlins BROT  UND  WEIN  vorlese.