14 Nov.

Europa – Verraten und verkauft? (Meditation # 51)

Fassadensturz-Ökonomie

Auch wenn sich die sogenannte europäische Intelligentia angewidert abwendet ob der Nachrichten aus der Neuen Welt, sollte sie besser einen erschrockenen Blick in den Spiegel der eigenen Wortgirlanden werfen. Der könnte ihnen dann sehr deutlich vor Augen führen, was man sich in der letzten Dekade so alles in die eigene Tasche log: Unter dem unwiderstehlichen Klang des Werbeslogan des Grundrechteblues, der nur so vibrierte von scheinbarer Vitalität, tanzten Frauenthemen, Geschlechtermix, Fremden- und Flüchtlingsfreundlichkeit eine ausgelassene Polka; und gerne bot man bei all dem das positive Denken als Schlüssel zur Vertrauensbildung und Solidarität an. So sah man sich bald umgeben von lauter gut gelaunten Fröhlichmenschen: An der Kasse, an der Tankstelle, im aufgestylten Markenladen, selbst in der Bank war man plötzlich umgeben von lauter hilfsbereiten Verständnispriestern – in Flugzeugen und an exotischen Plätzen sowieso.

Aber jenseits von all diesen wohlklingenden und duftenden Angeboten bahnte sich die alles einebnende  Geldgier ihre Schnellstraßen, auf der sehr bald die meisten uneinholbar abgehängt waren. Europa – einst der Kontinent mit einer reichen Geschichte an Kultur und Kunst und langsam gewachsenen Selbstvertrauen in so vielen Sprachen und Regionen hatte sich einem blendenden Vorbild angebiedert, das nun die Rechnung bezahlt haben wollte. Natürlich durften sie auch weiterhin den Song vom Wohlstand für alle singen. Aber nach und nach kam der Glanz in den Augen der Sänger unmerklich abhanden und bald stürzte eine Fassade nach der anderen ein: Das feste Gehalt wurde geschmälert oder in unfestes umgewandelt, die Altersvorsorge zum Sankt Nimmerleinstag verabschiedet, die Heimat wie von Zauberhand in eine minderwertige Plastikkopie verhunzt, die man überall auf der Welt  feil bot – so war man über Nacht überall zu Hause und damit nirgendwo mehr. Die heimlich wachsende Enttäuschung hielt man schön hinterm Berg und suchte insgeheim die Schuldigen am Horizont und anderswo.

Jetzt wird man fündig. Hüben wie drüben. Wie aus langem Schlaf erwacht sind Lebenszeit und Hoffnungen davon geschwommen. Katerstimmung allenthalben. Wo fangen wir an? Am besten mit Kehren vor der eigenen Tür. Vielleicht kommt dann ja auch ein erstes ehrliches Gespräch mit dem ebenso enttäuschten Nachbarn in Gang. Wer weiß!

Und wieder fällt den Polit-Profis nichts anderes ein als Angst Machen. Angst vor der unberechenbaren Wut der so gerne bisher Übersehenen soll die neue Solidarität sein. Was für ein schlichtes Muster! Was für ein scheinheiliger Sprachmüll! Und wie ähnlich denen, die sie so fulminant kritisieren. Hören wir doch besser auf die, die zum Bespiel in dem sehenswerten Film „TOMORROW“ einfach das machen, was sie für richtig halten – zusammen mit Gleichgesinnten! Noch nicht gesehen? Dann sofort nachholen! Kostet wirklich nicht viel. Vielleicht zusammen mit den Nachbarn als Wohlfühlauftakt am kommenden Wochenende. Und hinterher setzt man sich zusammen, redet über das, was man gesehen und gehört hat. Und schon kann man sich wundern, dass man einen Abend mit Menschen verbracht hat, die auch keine Lust mehr haben auf die „Alles geht sowieso den Bach runter!“-Sprüchen, sondern eigene Lebensfreude wiederentdecken und sich vorstellen können, auch so etwas einfach anzufangen wie in „TOMORROW“ vielfach vorgeführt – lassen wir die Bosse und Polit-Experten doch einfach weiter Sonntagsreden halten! Wir wissen Besseres zu tun.

27 Sep.

Europa – Verraten und verkauft? (Meditation # 49)

Wie in der Sanduhr lautlosem Gleiten scheinen wir unmerklich zu versinken – vergeblich uns klammernd am flüchtigen Jetzt.

Jeder haust in seinem vom eigenen Hauthaus begrenzten Organ und schaut neugierig aus den beiden Fenstern hinaus, wo aller Lärm, alle Bewegung vorbeirauschen wie die Ewigkeit des Immer Gleichen.

Konflikte überall. Schon lange schwelende – wie der in Palästina oder Korea – oder scheinbar erst neulich entstandene – wie die auf untergehenden Schiffen im Mittelmeer oder in einstürzenden Häusern im Jemen.

Neulich erst war täglich zu lesen und zu hören von den Werten Europas, derer man sich doch bitte erinnern solle. Dabei war gar nicht die Rede von diesen alt überlieferten Bildern und Geschichten in Europa, sondern von Geld und mehr Geld in einer Wirtschaftszone, die sich Europäische Union nennt. Oder eben von zu befürchtenden schrumpfenden Märkten und wachsenden Arbeitslosenzahlen, falls man die Zone mutwillig wieder in Einzelteile zerstückeln würde. Angstmache eben bloß.

So die Befürworter der EU. Aber ganz anders deren Kritiker: Die Begrenzung auf das Eigene sei nötig, um sich im eigenen Haus überhaupt noch zurechtzufinden. So redete und schimpfte man unentwegt und voller Gefühl und wenig bedacht weiter, bis sich die meisten daran gewöhnt hatten, dass man dem anderen gar nicht zuhören muss, sondern lediglich zu warten hatte, bis der mit seinem Text zu Ende war, um dann den eigenen umso emphatischer dagegen zu setzen. Rufer in der Wüste der medialen Dauerberieselung. Keiner hört den anderen mehr, keiner achtet den anderen mehr, nur sich selbst und die Gleichgesinnten – und alle auf einer riesigen Sand- und Wanderdüne, in der alle unmerklich zu versinken drohen, ohne es überhaupt wahrzunehmen. Das Gleiten auf unfestem Untergrund wird einfach als angenehmes Schwindelgefühl umgedeutet, das fast so etwas an sich habe wie freier Flug – nur eben noch so gerade mit Bodenhaftung.

Dabei rinnt das Leben – so greifbar nah und wunderschön – ungelebt und wie rieselnder Sand – durch die Hände. Das Vertraute bleibt überschaubar und verstehbar bei der Hand: Die Freunde, die Feinde, die eigene Sprache, die Musik, das Theater, der Fluss und das Tal, der Duft der Äpfel und die Gräber der Vorfahren, der unfähige Chef, die Arbeit im Garten, das Kartenspiel, reichlich zu essen und zu trinken und die nervenden Bälger drum herum.

Da sind sie alle eigentlich Verwandte, verwandte Europäer, die in ihrer je eigenen Sprache und Kultur in ähnlichen Gesten und vertrauten Räumen eifrig streiten über Gott und die Welt – in Bildern, die prall angereichert sind mit alten Geschichten, Mythen, langen Kriegen und kleinem Frieden. Die Nachbarländer kennt man. Man schätzt manches bei denen mehr, manches weniger, Grenzlinien dienen lediglich der groben Orientierung. Das alles ist im Laufe der Jahrhunderte gewachsen – neben einander. Europa ist der Sammelbegriff, weiter nichts – mit einer mythischen Erzählung am Anfang, die die meisten längst vergessen haben. Mit einer Union der Wirtschaft hat das wenig zu tun. Das ist eine ganz andere Geschichte. Da geht es um Geld, um Einfluss und um eine Schieflage vom Norden zum Süden auf diesem kleinen Kontinent. Um finanzielle Abhängigkeiten und Zwänge und um besserwisserische Bevormundung. Europa – als kostenloser und steuerfreier Selbstbedienungsladen für glänzende Abziehbildchen sogenannter europäischer Werte –  ist da der probate Mantel, um es schöner aussehen zu lassen als es ist.

Und dass nun viele den etablierten Parteien den Rücken kehren und sich gerne und als lustvoller Protest alternativen Angeboten zuwenden (denen sie prinzipiell oft in den meisten Punkten gar nicht nahestehen), ist überhaupt nicht beängstigend, sondern lediglich Ausdruck einer Haltung, die sagen will: Wir lassen uns nicht länger Sand in die Augen streuen, wir sind zufrieden mit unserem überschaubaren Leben, hört auf,  auf uns einzureden, dass  die Dinge eben kompliziert seien, dass es keine Alternative zur Europäischen Union (vorne auf blauem Grund ein güldener Sternenkranz, hinten ein luftiges Geldscheine-Kartenhaus) gäbe und dass Wachstum, wirtschaftliches Wachstum – versteht sich –  eine Naturkategorie sei wie Tag und Nacht.

10 Mai

Europa – Verraten und verkauft? (Meditation # 40)

Jenseits des Leerlaufs der politischen Ideen und Konzepte in der EU

Schon die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft in der BRD nach der Rezession von 1966 war gewissermaßen die Quadratur des Kreises – sie kostete viel Geld, aber die Initiativen des Staates brachten vielen Bildung, Perspektiven, Sicherheit, Wohlstand und dem Binnenmarkt neue Konsumenten. Die Schulden und der Schuldendienst waren die Kehrseite der Medaille. Das scheint nicht nur der Finanzminister vergessen zu haben, nein, auch die scheinbar über die schlecht wirtschaftenden Griechen zu Gericht sitzenden Konsumenten dieser Republik wollen wohl nicht daran erinnert werden. Wie könnten sie sonst so selbstgefällig die notwendige Remedur in Südeuropa kommentieren?

Damals – so um 479 vor unserer Zeitrechnung – hatten sich die Griechen zur Herrschaft des Volkes bekannt und bauten systematisch und gemeinsam das von den Persern zerstörte Land von Grund auf neu wieder auf. Die gemeinsame Verteidigung der Heimat gegen den übermächtigen Feind, der aufopferungsvolle Kampf und der Sieg hatten sie geeint und nachhaltig in einem großen „Wir-Gefühl“ zu einem neuen Lebensgefühl emporgehoben. Auf der Akropolis entstand ein steingewordenes Bilderbuch zu diesem Glauben an sich und an die Götter, das bis heute immer wieder großes Erstaunen erregt: Was für ein Schönheitsideal, was für eine Friedenssehnsucht und was für eine Selbstgewissheit gegenüber dem Fremden wird darin deutlich! Man hatte eine gemeinsame Geschichte, eine gemeinsame Religion und eine vielfältige Handwerker- und Kaufmannschaft. Und um die wachsende Stadt herum Vieh- und Landwirtschaft. Hunger und Not gehörten der Vergangenheit an. Die in überschaubare Stadt- und Wahlbezirke aufgeteilte Bürgerschaft wählte sich ihre Beamten, die auf Zeit die Interessen der Gemeinschaft zum Wohle aller vertreten durften. Wer in dieser Verantwortung versagte, konnte sogar – im sogenannten Scherbengericht – abgewählt werden. Gemeinwohl und Eigensinn fanden in dieser Epoche des friedlichen Zusammenlebens einen glücklichen Ausgleich. Man kannte sich, man verstand sich und man ließ sich gegenseitig gewähren.

Diese Herrschaft des Volkes haben dann die Völker Europas nach und nach in der Moderne wieder aufgegriffen, weiter entwickelt. Bis in die Gegenwart hinein. Das politische Geschäft delegierte man aber an Parteien – die Dinge seien zu kompliziert und zu unüberschaubar geworden für den einzelnen Bürger. So entstanden die großen Parteien in Europa und in Amerika.

Und heute stehen wir am Ende dieser Arbeitsteilung: Die Parteien haben sich verselbständigt, die Bürger fühlen sich ausgeschlossen und nicht mehr in ihrem Sinne vertreten. Die ideologischen Wortgefechte im amerikanischen Repräsentantenhaus haben inzwischen etwas geradezu Archaisches: Als ginge die Welt unter, als käme der Leviathan über das gute Volk, so bekämpfen sich die Parteisoldaten ohne überhaupt noch zuzuhören. Man wartet nur, bis der Gegner ausgeredet hat, um dann seine eigene vernichtende Rede zu halten. Man selbst ist der Gute, der andere der Böse. So schlicht war politischer Parlamentsalltag schon lange nicht mehr. In Mitteleuropa scheinen die Parteien einen anderen Weg gewählt zu haben: Man unterscheidet sich kaum noch von einander, Hauptsache man bleibt weiter an der Machtausübung beteiligt. Der Bürger sucht vergeblich nach überzeugenden Alternativen – zur Ähnlichkeit der verschiedenen Programme scheint es tatsächlich keine Alternative mehr zu geben!

So scheint alles wie ein Kartenhaus in sich zusammen zu stürzen, Fassaden kippen um, Begriffe laufen aus wie umgefallene Flaschen mit verdorbenem Wein. Danach dürstet niemand mehr. Das Weiter Wursteln hat sich ebenfalls verbraucht, die Grexit-Geschichte als unendliche Fortsetzungsballade kann nur noch als Beispiel für diesen Leerlauf der Begriffe, Konzepte und Programme genommen werden. Die Menschen glauben solchen Botschaftern und Botschaften nicht mehr.

Wie die Griechen nach 479 vor unserer Zeitrechnung es uns vorgemacht haben, so könnten es die europäischen Völker nun auch in Angriff nehmen: Nach einem fatalen und langandauernden Feldzug gegen Bodenschätze, Luft und Wasser, gegen eine bedarfsdeckende Wirtschaftsordnung, die zu einer Arbeits- und Perspektivlosigkeit vor allem der jungen Menschen geführt hat, dass nur noch Zynismus und Gewaltbereitschaft unter ihnen das Sagen haben, waren die Europäer ihre eigenen Feinde, die sie bekämpften – da wäre es nun höchste Zeit, im staunenden Erinnern der eigenen Geschichte, Religion und Sprache alles Nivellierende und Hohle mutig über Bord zu werfen und gemeinsam in überschaubaren Verhältnissen das Eigene neu zu denken und zu gestalten.

In der nächsten Meditation dann konkrete Vorschläge, wie dieses Eigene denn jenseits von Medien- und Parteien-Demokratie aussehen könnte und wie die europäischen Völker jenseits der bürokratischen Krake EU ein völlig neues Miteinander organisieren könnten.