20 Jan.

Europa – Heiße Luft, Hysterie und Häme haben das Sagen dieser Tage! (Meditation # 27)

Die sogenannte verspätete Nation hat das Wort

Warum will man denn gerade uns befragen? Als hätten wir ein Antwort-Abo. Gut, aus der Sicht der alten Völker Frankreich und England, Russland und Spanien zum Beispiel scheinen wir etwas verspätet auf den Zug der Moderne aufgesprungen. Aber spät ist ja bekanntermaßen besser als gar nicht. Oder? Nun, die hatten auch gut reden: Die Ränder dieser Länder waren klar markiert durch Meere, Gebirge. So gab es keine Grenz-Debatten, die hatte die Natur längst vor langer, langer Zeit entschieden. Stimmt’s? Ja und? Die Menschen in der Mitte dessen, was man Europa zu bezeichnen pflegte, konnten sich auf solch markante Eckdaten nicht berufen. Das hätte ein Vorteil sein können, war es auch viele Jahrhunderte lang. Aber längst restlos vergessen! Man schaute in alle Himmelsrichtungen, trieb Handel, kannte die Routen, sprach viele Sprachen und Dialekte und man kannte seine Region. Dann aber kamen die Schlaumeier und meinten, man solle es denen nachmachen, die in klaren Verhältnissen lebten: England, Russland, Frankreich, Spanien.. Als ließe sich Geschichte über  e i n e n  Kamm scheren. Die andern als das Vorbild. Aber wie die trägen Massen überzeugen? Da half nur Gewalt – natürlich in einem feschen Gewand, versteht sich. Schicke Uniformen. Die Schlaumeier füllten auch das bis dahin leere WIR mit markanten Sprüchen wie Ehre, Volk, Tapferkeit, große Zukunft für alle und so. Das, was man bis dahin hatte, wussten sie schlecht zu reden, galt von da an als rückständig, gestrig, ein Verlierer-Modell. Aber man musste sich beeilen, denn die großen Vorbilder waren schon dabei, die restliche Welt unter sich aufzuteilen. Also, Tempo! Es ist schon spät! So starteten die tapferen Mannen gleich durch, schulterten zwei Weltkriege, es floss so viel Blut; und immer war die Rede von Stolz, von Ehre, von Revanche. In atemberaubendem Tempo. Da blieb wahrlich wenig Zeit zum Nachdenken, zum Sich Besinnen, zum Sich Erinnern. Verbissen und zerknirscht schaute man kleinlaut nach vorne. Man schaute sich beim großen Sieger ab, wie man wieder auf die Beine kommen könnte – nach solch einem Aderlass. Europa hieß die neue Losung. Die Vielfalt früherer Jahrhunderte in der Mitte Europas war inzwischen gründlich verdrängt und vergessen. Man möchte nun nicht noch einmal zu spät kommen, man prescht jetzt so richtig dynamisch nach vorne. „Wir lassen den Nationalismus einfach hinter uns und zeigen unseren Nachbarn, was ein wahrer Europäer ist!“ Beim Tempo legen wir einfach noch einen drauf.

Nehmt euch ein Beispiel an uns, so wie wir uns früher eins an euch genommen haben!“

Klingt doch echt gut oder?

Nur ein Vereinigtes Europa kann die Probleme der Zuwanderung, der Globalisierung, der Konkurrenz auf dem Weltmarkt, der Arbeitslosigkeit, der Umwelt lösen!“

Wer redet da eigentlich? Die verspätete Nation? Die Menschen Mitteleuropas? Nein. Es sind die Sprücheklopfer, die Angstmacher, die Besserwisser, die Parteipolitiker, die um ihre Pfründe fürchten, nicht der Mann und die Frau von nebenan, die sich Sorgen machen, wie sie die Miete, die Kredite, die Ausbildung der Kinder finanzieren sollen. Denn die brauchen wahrlich kein riesiges Europa, denen wäre schon geholfen, wenn ihre Region ordentlich versorgt würde. Das wäre ein überschaubarer Rahmen. Denen in den anderen Regionen geht es doch ähnlich. Gut nachbarschaftlich versteht sich doch von selbst. Bürokratentürme irgendwo, monströse Finanzberge gleich daneben sind der Frau und dem Mann von nebenan eher düstere Nebelkerzengebilde, verfilzt, korrupt. Da haben sie nichts von.

Aber wer so redet, der bekommt gleich die volle mediale Breitseite – gespickt mit lauter unschönen Kränkungen, Beleidigungen, Verunglimpfungen, Beschimpfungen. Da werden die sonst so auf Sachlichkeit pochenden „Fachleute“ ganz schön unsachlich.

11 Jan.

Euopa – Mythos # 24

Europas erstes Kind: Wie soll es heißen?

Monate später. Die Gerüchte am Hof in Paito gehen genauso gemächlich wie die Wellen am nahen Strand. Der eine behauptet, Archaikos werde die Fremde zu seiner Hauptfrau machen, die gerade nuschelnd zerfallende Wellenkette scheint so etwas wie, ist doch eh alles egal, zu raunen, der andere weiß mal wieder nur aus bester Quelle, dass die Fremde gar nicht schwanger sei. Das sei bloß die üble Nachrede der wütenden Kriegsherrn vom anderen Ende der Insel. Der Minos von Kreta habe sie schwer beleidigt – beim letzten Empfang am Hof, als diese Fremde aus dem Land der Zedern angespült worden war. Er habe die zwielichtige Frau mehr beachtet als sie im Thronsaal, sei mit ihr sogar gemeinsam ins Innere des Palastes losgezogen. Das müsse man sich mal vorstellen. Wieder andere flüsterten in dunklen Ecken etwas von einer Zauberin: Sie habe ihn in ihrer Gewalt. Sie brauche ihn nur anzusehen und schon werde er schwach. Wenn das nicht Unheil für alle bedeutet! Sollte man sie nicht besser steinigen? Oder einfach auf ein Floß schnallen und ins Meer stoßen, auf nimmer Wiedersehen?

Die Berater des Minos von Kreta kommen gerade zusammen. Sie haben einen Auftrag bekommen. Sie sollen Archaikos einen Namen für das Kind vorschlagen. Also doch schwanger?! Also hat er sie doch zu seiner Hauptfrau gemacht? Also ist sie doch eine Zauberin? In den Gängen des Palastes herrscht aufgeregtes Schweigen. Niemand bekommt die Frau zu Gesicht. Seit Wochen, seit Monaten nun schon. Einer der Berater erzählt gerade seinen Kollegen, er habe in der letzten Nacht einen eigenartigen Traum gehabt: Ihm seien drei Männer erschienen, verschwitzt in einer düsteren Höhle, die hätten ununterbrochen auf ihn eingeredet, er habe sie aber nicht verstehen können. Ihre Stimmen waren zu leise, zu nuschelig. Nicht ein Wort, nicht ein Zeichen? Ja, vielleicht. Ja, was denn? Raus damit! Unerwartet tritt Archaikos ein.

„Nun? Habt ihr einen Namen? Wenn ich eure Gesichter so sehe, dann

weiß ich auch schon die Antwort!“

Die drei Berater schweigen betreten und nicken zögerlich. Da spricht der Minos von Kreta aber auch schon weiter:

„Was ich euch noch sagen wollte, euch Schlaumeiern: Ich hatte letzte

Nacht einen Traum, da erschienen mir drei Priester, hohe Priester sogar,

in einem dunklen Tempel und redeten zornig auf mich ein. Ich konnte

aber ihre Sprache nicht verstehen. Als ich sie das wissen lasse, lachen

sie ganz grässlich und mein Traum ist vorbei. Was könnte das zu bedeuten

haben?“

Als die drei das hören, sind sie fassungslos. Völlig verschreckt. Ängstlich blicken sie sich im Raum um, ob jemand ihnen zuschaut, ob jemand da ist, der die Träume erklären könnte, der Bescheid weiß. Oder der sie ihnen geschickt haben könnte?  Archaikos versteht die verstörten Gesichter seiner Berater nicht. Schließlich beginnt einer von ihnen zu erzählen. Leise und stotternd. Als er fertig ist, fühlt sich auch der Minos von Kreta, Archaikos, wie von einem unheimlichen Wind berührt, der sie alle schonungslos zu streifen scheint. Um das bleiern schwere Schweigen zu beenden, wagt sich schließlich einer der dreien vor und sagt etwas, von dem er selber nicht weiß, wie es ihm in den Sinn gekommen ist:

„Wenn es ein Sohn wird, sollte er den Namen Minos bekommen.“

Alle starren den Sprecher an. Seine beiden Kollegen, weil sie sich wundern. Das wüssten wie aber, wenn sie das beschlossen hätten. Sie sind wütend auf ihn. Dürfen es aber nicht zeigen. Zumal Archaikos‘ Miene sich aufhellt, als er auf das Gehörte antwortet:

„Minos? Was für ein kühner Gedanke! Minos. Das passt zu ihr.“

Und ohne weitere Reaktionen abzuwarten, verlässt er fluchtartig den Raum. Was dann unter den drei Beratern abgeht, das sollte besser dem Gebot der Verschwiegenheit unterliegen. Denn sonst müssten viele unschöne Sätze aneinander gereiht werden, die sowie so nichts mehr ändern können. Der Name steht fest. Minos.  Archaikos eilt gerade zu der Hochschwangeren. Als sie es hört, freut sie sich sehr. Alles wird gut, denkt sie.

06 Dez.

Europa – Vier Geburtswehen (Meditation # 21)

Vier Geburtswehen der europäischen Staatenbildung auf dem Weg zu einem friedlichen Nebeneinander.

Wie vergesslich wir doch sind und wie blutleer Namen und Zahlen von Ereignissen in der europäischen Geschichte sein können!

1. Wehe.

Sicher lesen viele jungen Leute in ihrem Geschichtsbuch etwas über die großen Religionskriege im 17. Jh. mitten in Europa. Der sogenannte dreißig-jährige Krieg. Was sollen sich die Schüler darunter vorstellen? 30 Jahre Krieg! Ganz Mitteleuropa soll Schauplatz dieser Kämpfe gewesen sein. Am Ende gab es nur noch halb so viele Menschen in diesen Gegenden wie vorher. Was für abstrakte Hauptwörter und Sätze! Aber es waren keine Sunniten, die gegen Schiiten und andere Ungläubige kämpften, sondern Katholiken gegen Lutheraner. Bald gab es Länder, die ihre Katholiken zwingen wollten, dem neuen Glauben zu gehorchen oder die Verweigerer des Landes verwiesen. Viele, viele Flüchtlinge gab es da auf einmal, die durch ganz Europa flohen, um Asyl anderenorts zu finden. Mächtige Fürsten nutzten die Gunst der Stunde, um ihren Machtbereich auszuweiten oder Konkurrenten kalt zu stellen. Alles natürlich im Namen des christlichen Gottes. So oder so. Das ist gerade mal so dreihundert Jahre her.

2. Wehe.

Oder im Geschichtsbuch wurde ausführlich über die Französische Revolution, La Grande Terreur und die späteren napoleonischen Eroberungsfeldzüge in Europa bilderreich berichtet, die Zahlen der gewaltsam getöteten Europäer ist nur schwer zu benennen, so viele waren. Und wieder waren es mächtige christliche Feldherrn und Politiker, die eine bessere Zukunft und mehr Macht versprachen; am Ende blieb vieles so, wie es war – trotz der vielen, vielen zu beklagenden toten Soldaten und der toten Bürger in den von Christen bewohnten Städten und Dörfern Europas. Das Schlachten begann 1789 und endete erst 1815 – also mehr als 25 Jahre kriegerische und gewalttätige Zeiten in Europa.

3. Wehe.

Und dann erst im 20. Jh.! Da brauchten die Europäer nicht einmal fünf Jahre, um in einem mörderischen Krieg Millionen von Menschen zu töten: Die einen an der Front oder im Schützengraben, die anderen im Giftgas oder in zerbombten Häusern in Russland oder Flandern, um nur zwei Gegenden Europas zu nennen, die unter dem menschenverachtenden Materialschlachten zu leiden hatten. Und warum? Weil die einen Europäer meinten, sie seien die besseren christlichen Europäer mit größerem Anspruch auf Macht und Einfluss als die anderen.

4. Wehe.

Und nur 25 Jahre später – die Europäer wollten wohl nicht aus dem Elend lernen, das der Krieg und der Hass über sie gebracht hatte – wurde Europa noch einmal und noch viel nachhaltiger verwüstet und noch viele Millionen mehr Menschen gewaltsam umgebracht als im letzten Gemetzel!

Immer wollten die einen über die anderen Europäer herrschen – sei es aus nationalistischen oder gar rassistischen Gründen – obwohl sie alle aus der gleichen Geschichte hervorgegangen waren und alle an der gleichen Gott glaubten, mehr oder weniger. Wunderbar verschieden in Sprachen, Kultur und Traditionen, wie sie doch nun einmal sind!

Am Ende hatte dann der Freiheitswille und die Formel „Nie wieder Krieg!“, der die vielen verschiedenen Völker Europas auf friedliche Koexistenz einstimmte, gesiegt.

Vielleicht dämmert nun dem einen oder anderen doch der Gedanke, dass der scheinbar unversöhnliche Krieg der Sunniten gegen die Schiiten nicht nur nicht morgen zu Ende gehen könnte, sondern vielmehr noch viele weitere Jahre oder gar Jahrzehnte dauern wird, weil so viele mächtige Gruppen daran beteiligt sind, die den einen oder den anderen „helfen“ wollen, um dabei selber eigene Machtzonen auszuweiten oder neu aufzubauen! Und natürlich erzeugen solche kriegerichen Auseinandersetzungen Flüchtlinge noch und noch, die alle darauf hoffen, irgendwo Asyl zu erhalten, um zumindest das nackte Leben zu retten. Und noch etwas: Am Krieg verdient immer nur der Krieg! Diese Lektion sollten die christlichen Europäer doch wohl gelernt haben?