14 Juni

Europa – Meditation # 150

Sand in die Augen streuen lassen…wie schon so oft…?

In unserer schnell-lebigen Zeit kommt das Erinnern viel zu kurz. Klar. Aber dabei ist es beim Erinnern sowieso immer eine neue Geschichte, die dann erzählt wird. Oder ? Trotzdem.

Erinnern wir uns Europäer noch?

1953 – Koreakrieg – was wurden uns da für Märchen über den bösen Feind erzählt; wir im ehemaligen Trizonesien gehörten ja nun wieder zu den Guten. So schnell kann das gehen. Und wir strickten gerne mit am Bild, das die gute Sache ins rechte Licht rückte.

Wer erinnert sich noch? In Europa?

1964 – Tonking-Zwischenfall – die Videos, die „Beweise“, dass amerikanische Schiffe ohne Kriegserklärung angegriffen worden waren. Präsident Johnson wusste, was er zu tun hatte. Später, viel später kam heraus, dass es Lügen waren, die die Grundlage bildeten für die weitere Eskalation im Krieg in Vietnam. Zumindest die Studenten protestierten an deutschen Universitäten. Den Eltern war das nur peinlich, denn schließlich verteidigten unsere Freunde doch nur die freie Welt. Wer streute da wem Sand in die Augen?

Wer erinnert sich noch? In Europa?

2003 – Irak-Krieg – der UN werden „Beweise“ vorgelegt, die belegen sollen, dass dort Massenvernichtungswaffen lagern. Aber nicht alle lassen sich zum Glück vom Sand in den Augen blenden, doch der Präsident braucht außenpolitische Erfolge und zusammen mit seinem kleinen Terrier inszenieren sie einen „Kreuzzug“ gegen den bösen Diktator…Ging es nicht um Öl?

Wer erinnert sich noch? In Europa?

2019 – Iran-Krieg? – Videos liefern mal wieder die „Beweise“, dass der Präsident nun handeln muss. Was soll er denn machen? Seinen Followern hat er gebetsmühlenartig getwittert, dass er Amerika wieder groß machen wird, und das wird ja wohl am überzeugendsten mit Waffengewalt vorgeführt. Oder? Oder geht es wieder um Öl? Oder geht es vielleicht sogar darum, von den eigentlichen wirtschaftlichen Problemen zuhause abzulenken?

Was ist aus der atlantischen „Freundschaft“ geworden?

Was aus den Werten der freien Welt?

Was aus den Lehren der Kriege in Europa?

Wir Europäer brauchen in diesen Tagen einen klaren Blick auf das Geschehen im Nahen Osten, denn auch unser Wohlergehen steht auf dem Spiel.

Zufällig oder aus Versehen in einen Krieg zu stolpern, wäre wirklich fatal.

Und ein mutwillig herbeigeführtes Unglück für uns alle…

27 Apr.

Europa – Meditation # 143

Die Eisenstraße war einmal…

Wir Europäer leben schon sehr lange auf einer eisernen Straße. Zu Lande und zu Wasser. Wenig weich und schon gar nicht seiden. Auf ihr haben wir jahrhundertelang Menschen und Sachen transportiert, die uns ziemlich nützlich waren. Paläste, Herrenhäuser noch und noch. Den Schaden oder das Nachsehen hatten immer die anderen. Das Schöne daran war aber auch, dass man sie in ihrem Leid nicht sehen konnte, musste. Zu weit weg eben.

Aber auf vielen Seetraßen – gefährlich und bald überfüllt – flossen uns Europäern die Früchte in jedem Sinne ins Haus – mal so, mal so, aber immer gewinnbringend.

So ließ sich die Botschaft der Französischen Revolution wunderbar zuhause vermarkten und in Übersee vergessen. Und unsere Brüder und Schwestern, die daheim nicht mehr genug zu essen hatten, schickten wir auch gleich hinterher. Drüben waren sie dann clever genug, für sich weiter die Freiheit zu sichern und für die anderen sie ausschließende Ausnahmen zu erfinden.

Gut, vor Gott im Himmel würden wir dann alle wieder gleich sein, aber hier unten, da gab es sehr wohl existentielle Unterschiede unter den Menschen – alle scheinbar von dem unsichtbaren Gott geschaffen, sich die Welt untertan zu machen. So jedenfalls stand und steht es in alten Texten, die vor langer, langer Zeit alte Männer ersannen, um im Chaos der Wirklichkeit und der allzu üppigen Natur so etwas wie eine gottgewollte Ordnung zu schaffen.

Das Eisen diente eben nicht nur der Landwirtschaft beim Pflügen, nein, es diente auch als Ketten für den Pranger, um die Ungehorsamen zu strafen. Die Gottgefälligen konnten ja ihre Häuser vorzeigen als Beweis, dass Gott sie vorbestimmt hatte für die ewige Glückseligkeit – später. Hier galt es aber, das Eisen zu schmieden, so lange es heiß war.

Das konnten die Europäer ganz gut. Sie nannten es Fortschritt und später dann Entwicklungshilfe. Man ist ja kein Unmensch.

Der Glaube der christlichen Europäer ist inzwischen abhanden gekommen, die Folgen der Missionierung der Welt allerdings nicht. Und im Okzident scheint keiner zu verstehen, was die Stunde geschlagen hat. Man will nur noch konsumieren und unterhalten werden, sonst nichts. Die Geschichte dahinter kennt kaum noch jemand. Oder?

Nach den aufgezwungenen Verträge, die China am Verhandlungstisch der Europäer und Amerikaner im 19. Jahrhundert unterschreiben musste – im Hafen ankerten riesige Kanonenboote, die offenkundig signalisierten, wer wem hier die Feder führte – und den üblen Opiumkriegen danach, dreht sich nun das Karussell anders herum. Aus den verschreckten Lehrlingen sind selbstbewusste Meister geworden, die nun auf leisen Sohlen und in seidenen Socken den Spieß herumdrehen und den Europäern zeigen, in welche Richtung in Zukunft die Gewinne fließen werden.

Man findet das ganz und gar nicht in Ordnung, man protestiert, man lamentiert. Aber diesmal sitzt am Verhandlungstisch ein schmunzelnder Chinese, der keine Kanonenboote braucht, um sich durchzusetzen. Er hat seine Lektion gelernt und bittet höflich und dezent zur Kasse. Paläste, Herrenhäuser noch und noch werden in Zukunft im Reich der aufgehenden Sonne gebaut werden. Vielleicht können die Europäer da ja noch hier und da als beflissene Dienstleister gebraucht werden…wenn’s hoch kommt…

24 März

Europa – Meditation # 138

Die schön gewachsene Einheit einer wunderbaren Vielheit

Europa ist nichts anderes als das, was auch an zahllosen anderen Plätzen dieses kleinen Planeten seit langem schon geschieht: Verwandte Menschen, verwandt im Geiste auch, die sich immer wieder die gleichen Geschichten über ihre Vorfahren erzählen, die Bilder dazu erfinden und weiter geben, die im Gespräch mit der mächtigen Natur viel schon gelernt haben, aber doch immer wissen, dass  s i e  die Herrin ist und die Erdlinge nur die Gäste. Die oft auch mit Gewalt gegen Fremde oder scheinbar nicht vertrauenswürdige Nachbarn ankämpfen, als wäre nicht Platz genug für alle da und auch für alle Deutungen des Lebens und des Sterbens nicht.

Doch immer wieder kommen sie zurück auf den Boden der einfachen Botschaften von Glück und Unglück. Da ist keine Sicherheit und auch kein Königsweg, da sind nur schmale oder breite Pfade und phantasievolle Geschichten über die scheinbar richtigen und falschen Wege. Und immer wieder werden sie überrascht von neuen Deutungen, von alten Katastrophen, die einfach wieder auftauchen, als wäre das Vergangene auch vergangen und die alten Wahrheiten unüberholbar.

Die Zeitgenossen halten ihr Narrativ für richtig – schließlich leben sie ja danach – ihre Vorgänger hatten es eben nur zu vorläufigen Gewissheiten gebracht. Und diejenigen, die auf eine ganz neue Zukunft schwören, werden verlacht, weil sie sie nicht konkret benennen können, sondern nur im Vagen schwelgen. Und wer will da schon mitkommen?

So erfanden die schlauen Erdlinge griffige Begriffe für das Vergangene, bastelten feste Schubladen dafür, in die sie das wortreich Verpackte zwängten. Es kann sich ja sowieso nicht wehren, die Wortgeber sind immer die Gegenwärtigen, die nach hinten wie nach vorn die Zeiten ordentlich im eigenen Bild vertauen, damit alles schön zusammengezurrt verharrt.

Am meisten hilft ihnen aber die eigene Vergesslichkeit.

Die vor siebzig Jahren Geborenen kannten als Kinder und junge Menschen nichts anderes als den sogenannten Ost-West-Konflikt, den Kalten Krieg. Wie in Stein gemeißelt waren Zeit und Orte vermessen. Dann war es plötzlich alles nicht mehr wahr. Ein neues Weltbild wird flugs erfunden. So blieb es einem auch erspart, über die eigenen Irrtümer nachzudenken. Wie schön. Unser Gedächtnis sagte leise danke. Dann ist die Rede weltweit von der globalisierten Welt, ein sehr verführerischer Terminus Technikus, denn er soll helfen, die Vielheit der Völker, Bilder, Religionen alle in ein kleines Dorf zu holen, für jeden jederzeit betretbar, verstehbar, weil scheinbar verfügbar.

Dabei wäre es doch viel einfacher, die schön gewachsene Vielheit landauf, landab das sein zu lassen, was sie ist: Vielheit, grenzenlose, jeweils für ein kurzes Leben erlebbar. Wunderbar. Befremdlich bleibt sie sowieso.