26 Juni

Europa – Meditation # 102 Heimat-Text Nr. 19

Und schlafend wächst des Wortes Gewalt

Und das Wort, das gerade tags wie nachts zu wachsen scheint, weil es in aller Munde und in allen Medien zentral präsent ist, lautet:     

 M a s t e r p l a n .

Wenn der Hinweis von Nietzsche stimmen sollte, dass jeder Begriff durch das Gleichsetzen des Ungleichen entsteht, so können wir es kurz am Begriff

M a s t e r p l a n

verdeutlichen:

Hier wird ein Fremdwort, das groß daherkommt wie Vater und Mutter in Zusammenhang gebracht mit jemandem, der anscheinend wohl überlegt zu haben scheint. Ein großer Plan, ein wohlbedachter Plan. Das fühlt sich schon einmal richtig gut an. Wenn dann der Erfinder dieses wohltuenden Begriffs auch noch sich so zu präsentieren weiß, dass ihm nichts anderes als das Wohl der Menschen umtreibt, dann kann er sich sicher sein, dass viele ihm Recht geben werden – ungeprüft.

Das ist die eines Seite der Medaille. Die andere, die nicht sichtbare, ist die der Machtgier, die sich natürlich verbergen muss. Die klug mit der Angst und Verunsicherung vieler Menschen zu spielen weiß, denen das Fremde der Schlüssel zur Beseitigung all ihrer Probleme ist: je weniger wir davon haben umso sicherer sei dann unsere Welt. Eine schlichte Botschaft, die gerade in ihrer Einfachheit zu verzaubern weiß. Ein Mann, der dafür einen M a s t e r p l a n erdacht hat, ist unser Mann. Während die anderen, die doch nur um den heißen Brei herum reden, keinen Plan zu haben scheinen: Zerstritten, uneins, ratlos, planlos.

Da will man natürlich auf der sicheren Seite sein – so wie früher in der Heimat, wo man ja auch wusste, auf wen man sich verlassen konnte und auf wen nicht. Damit wird also ein starkes Gefühl angesprochen, an dem man sich nur zu gerne wärmen möchte.

M a s t e r p l a n –

klare Kante, kurzer Prozess. Da bin ich dabei, sagt dann nickend der verunsicherte Zeitgenosse, dem das Zerreden von Anliegen schon lange auf die Nerven geht.

25 Juni

Europa – Meditation # 101 Heimat-Text Nr. 18

Die schier unstillbare Sehnsucht nach H E I M A T

Das Karussell der Eitelkeiten und leerlaufenden Floskeln und Slogans dreht sich und dreht sich immer weiter. „Masterplan“ – war für ein abstraktes Wortmonstrum! Europaweit, weltweit Wortgeklingel nur. Gleichzeitig lässt sich der Zeitgenosse dieses Jahrmarktes gerne ablenken mit Ballspielen, Tempo, teuren Sachen, virtuellen Achterbahnfahrten und Opium. Das kostet natürlich – nicht nur Geld, sondern auch ungelebte Lebenszeit. Das rächt sich, denn die innere Stimme hört nicht auf zu maulen, will lebendiges Leben, will wirkliche Wirklichkeiten und keine Ersatzstoffe.

Als kleiner Ausweg bietet sich einem solchen Zeitgenossen die Sehnsucht nach heimatlichen Gefühlen an: bedingungslose Gemeinschaft zum Beispiel in vertrautem Rahmen, mit vertrauten Leuten. War es nicht die B-Jugend-Mannschaft, die nicht nur gegen Langeweile, sondern auch gegen Sinnlosigkeit half, weil man zusammen trainierte, zusammen zu Punktspielen los fuhr, gewann oder verlor – je nach dem – und so ein wirkliches Erlebnis an das andere reihen konnte. Und was war das doch für ein peinlicher Tanzkurs, mannoman! Jetzt darüber lachen tut so gut. Oder im Schachclub oder bei der Freiwilligen Feuerwehr…Das schafft ein gutes Identitätsgefühl und die Symbole dazu lieferte eine vertraute Umgebung von Freunden, Freundinnen und Gegnern.

Im Mitfiebern bei den Spielen der Nationalmannschaft scheint sich noch einmal dieses Gefühl zu wiederholen, wenn man mit Gleichgesinnten dabei ist. Im sogenannten Sommermärchen – es war aber eine wirklich erlebte Geschichte und kein Märchen, sondern nur fast märchenhaft wohltuend – verwischten sich sogar für solche Momente die sozialen Unterschiede; man duzte wildfremde Menschen und keiner war pikiert. Das erzeugte ein gutes Lebensgefühl – weil man gemeinsam dem Gegner auf die Verliererspur helfen wollte, Aggressionen hatten so ein solidarisierendes Ziel. Strahlende Gesichter, lachende Münder, freundliche Wortwechsel, Geflaxe. Möglichst in schnoddrigem Ton, im Tonfall des erlernten Dialektes und natürlich wahnsinnig kompetent!

Das nur als kleines Beispiel für die Kraft, aus der wir schöpfen, wenn wir optimistisch in die Welt blicken sollen/wollen.

Hinter Abstraktionen wie Nation, EU, UNO oder TTIP lässt sich kein Heimatgefühl finden. Das sind zu große, zu leere Begriffe. Dahinter verbirgt sich für den Zeitgenossen nichts, dem er sich anvertrauen möchte, überhaupt nichts. Höchstens als Bedrohung seiner Existenz nimmt er sie unbewusst wahr.

Aber die Sehnsucht nach diesem Heimatgefühl will weiter gestillt werden. Weder die Medien, noch die Parteien, weder die VIPS noch die Aktienkurse können da punkten.

22 Juni

Europa – Meditation # 100 Heimat-Text Nr. 17

Jeder Begriff entsteht durch das Gleichsetzen des Nichtgleichen (Nietzsche)

Was aber hat dieses Nietzsche-Zitat und die ersten drei Beispiele denn mit dem Thema H E I M A T zu tun?

Ihre Abwesenheit – als wäre sie wie damals die weise Frau, die gekränkte, bei Dornröschen – ist das Hintergrundthema dieser Texte; die Heimat versucht nun aber im Untergrund oder durch die Hintertür weiter auf ihrem Recht zu bestehen; nun ist sie seit längerem gekränkt, weil sie scheinbar keine Rolle mehr zu spielen hat, weil wir ja alle zu Weltbürgern mutieren oder zumindest zu Europäern.

Wenn man also die Heimat personifiziert, ihre eine gekränkte Gefühlswelt andichtet, dann erklärt sich vielleicht auch, warum so viele ein Gefühl von Heimatlosigkeit haben, das ihnen zu schaffen macht und das sich verraten und verkauft vorkommt. Das macht wütend, blind für die eigentliche Verursacher. Und schon sind es die Fremden, die als Prügelknabe herhalten müssen.

Das Nietzsche-Zitat (vom Gleichsetzen des Nichtgleichen in der Welt der Begriffe) hilft auch hier im vierten Beispiel: Denn das Gefühl, das uns beschleicht, wenn wir in der Fremde einen vertrauten Ton in der Sprache hören, der uns an früher erinnert, oder wenn wir mit jemanden schnodderisch über die da oben lästern oder wenn wir einen Geruch oder einen Geschmack wieder erkennen aus Kindertagen, dieses Gefühl trifft uns immer mitten ins Herz: Heimat.

4. Beispiel: Die kleinen Giganten Plastik und Diesel

Plastik und Diesel, die zänkischen Geschwister und Giganten der Gegenwart lassen sich als Sach-Begriffe leicht bennen, wiewohl aber auch hier jeder etwas anderes mitschwingen lassen wird, wenn davon die Rede ist. Denn gleich hagelt es Pros und Contras zuhauf; unsere Bequemlichkeit hat sich diese beiden ehemals kleinen Geschwister zu nützlichen Handlangern gemacht. Nun scheinen sie aber – wie von Zauberhand und außer Kontrolle – vom Handlanger zum Unhold mutiert zu sein. Bisher konnte Prinzessin Europa die Hände ein Stück weit in Unschuld waschen, denn das meiste Plastik schwimmt doch irgendwo vor Thailand und Bangladesch und so…

Aber auch wir haben leider das Zauberwort vergessen, damit sie wieder werden, was sie gewesen, die großen Giganten zu Wasser und zu Lande: Einfach nur kleine nützliche Hilfestellungen im modernen Alltag. Nach und nach beschleicht den Zeitgenossen ein bleierndes Gefühl von Hilflosigkeit, von Resignation: Zu groß scheinen die Probleme geworden zu sein und wie ein Bumerang kommen sie nun zum alten Europa zurück. Und die eigene Heimat. Oft entvölkert, platt gemacht, entstellt von riesigen Lagerhallen und mit Arbeitskräften, die den eigenen verlorenen Arbeitsplatz unter Wert erhalten haben. Nur noch in der Phantasie lässt sich da die vertraute Umgebung wiederherstellen, nur in der Phantasie sitzt man am Tresen mit den Kumpels, fachsimpelt über Fußball und geht am Bach in aller Ruhe zum Angeln. Aber schon kommen die unerbittlichen Analytiker und trampeln alles als peinliche romantische Schwärmerei nieder oder gar als Gesinnung, die an schlimme Zeiten erinnern würde.