04 Feb

Europa – Mythos # 27

Drei fremde Männer auf der Suche nach einer Herberge

Es nimmt einfach kein Ende. Jeder Tag wie ein Plage. Schon am frühen Morgen keine Vogelstimmen in den sterbenden Bäumen mehr, keine lachenden Kinder an ausgetrockneten Brunnen und keine Kälbchen auf verbrannten Weiden mehr. Und die Menschen wagen sich schon gar nicht mehr aus ihren Häusern. Zu schwach sind sie, zu verzweifelt. Welche Götter schicken ihnen diese schlimmen Zeiten? Wer hat die Götter so aufgebracht, dass sie nun alle strafen wollen? Gerüchte, nichts als Gerüchte huschen da von Haus zu Haus. Man tuschelt, man munkelt, man weiß nichts Genaues.

Am Rand des Bauerndorfs könnten die Lyker jetzt im Flimmern des Sonnenlichts drei Gestalten erkennen, wenn sie wollten. Aber wer will denn in diesen Tagen noch neugierig aus dem Fenster schauen? Niemand. Wer könnte es denn auch sein? Händler? Pilger? Bettler? Wen interessiert es denn? Jetzt kommt Wind auf, feiner Sand fegt feinen Stoffbahnen gleich über den verödeten Dorfplatz. Die drei Männer, die sich den Staub von ihren schmutzigen Umhängen schlagen, wundern sich. Gelten doch die lykischen Bauern als besonders neugierig und geschwätzig. Deshalb hatte Zeus sie ja auch ausgewählt für seinen Plan. Die beiden Brüder schütteln ihre Köpfe: Haben wir es dir nicht gleich gesagt, Bruder? Wir hätten gar nicht so weit laufen müssen. Hier ist niemand, der deine Geschichte hören will, niemand. Entschlossen klopft Zeus an eine verschlossene Hüttentür:

„He da! Niemand zu Hause? Wir sind durstig, suchen eine Herberge!“

Poseidon und Hades grinsen genüsslich. Da rührt sich gar nichts. Erschöpft lassen sie sich einfach an der Hauswand nieder, lösen ihre leichten Sandalen von den wunden Füßen und finden den Plan ihres Bruders gar nicht mehr lustig. In der Unterwelt oder auf dem Meer wäre es jetzt bestimmt um einiges kühler, angenehmer, als hier der prallen Sonne und ungastlichen Menschen ausgesetzt zu sein. Da knarrt der Riegel der Tür. Die Drei schauen sich erwartungsvoll an. Eine unfreundliche Stimme ist zu hören:

„Geht weiter zum nächsten Dorf! Wir haben selber kein Wasser und Essen gab es

zuletzt vor zwei Tagen. Wir sind von allen Göttern verlassen. Also geht!“

Da fällt dem Gott der Unterwelt etwas Passendes ein (wer hätte das gedacht?):

„Wir haben eine Wünschelrute dabei. Wir könnten zusammen Wasser suchen

gehen. Was haltet ihr davon?“

Zeus und Poseidon starren entgeistert ihren Bruder an. Siegesgewiss zeigt Hades den beiden seinen krummen Wanderstab, der wohl als Wünschelrute durchgehen könnte, bei etwas gutem Willen. Nun knarrt es noch ärger als beim ersten Mal, die Tür wird ein Stück weit aufgeschoben, ein kahler Kopf streckt sich ins grelle Sonnenlicht:

„Ist das wirklich wahr, Fremder? Denn wenn wir so eine verborgene Wasserstelle

finden sollten, würden wir euch auch ein Lager für die Nacht bereiten, gewiss.“

Mit einem breiten Lächeln nicken die drei Fremden als Antwort dazu. Und schon macht man sich gemeinsam auf zu einer Stelle am Rand des Ortes, wo der Bauer glaubt, Wasser finden zu können. Schließlich stehen da auch mehrere Bäume, denen zwar auch die Blätter abfallen, als wäre es später Herbst, aber vielleicht reichen die Wurzeln nur nicht weit genug hinunter, wo sich das Wasser versteckt hat. Man redet nicht viel, man schaut bedeutend in die Gegend. Zeus will die Stille unbedingt nutzen.

„Die Frauen sind schuld an der Plage. Jetzt verstehe ich auch das Orakel, das wir drei

neulich gehört haben – ‚Schweißgebadet schuften die Männer. Tag für Tag. Und die

Frauen? Sie reden und reden und sind nie zufrieden. Männer sollten stumm dagegen

halten. Sonst werden die Tratschtanten noch zu einer Plage.’“

Poseidon und Hades flüstern leise miteinander. Sie verstehen nicht, von was für einem Orakel ihr Bruder da spricht. Ratlos schauen sie zu Zeus. Der grinst nur. Der Bauer hatte aufmerksam zugehört. Er nickt, schürzt die trockenen und aufgerissenen Lippen und brummt vor sich hin. Eben erst hatte er sich wieder mit seiner Frau gestritten. Es ist so mühsam und vergeblich, sie in ihrem Redeschwall zu bremsen.

„Und wie sollten wir Männer denn dagegen halten?“

„Ganz einfach“,

erwidert Zeus zufrieden. Seine beiden Brüder können nur staunen, was der Göttervater so alles zusammenlügt.

„Drohe ihnen, notfalls auch mit etwas Gewalt. Selbst das Orakel hat dazu geraten!“

„Selbst das Orakel?“,

fragt der verblüffte Bauer da. Die drei Brüder nicken im Chor. Keiner von ihnen möchte jetzt als Zweifler angesehen werden. Sie stecken sich sogar gegenseitig mit launigen Lügen an. Hades bleibt abrupt stehen, schlägt mit seinem krüppligen Wanderstab munter auf die staubige Erde und ruft voller Begeisterung:

„Hier, ja genau hier, ich spür es! Ich kann das Holz kaum noch halten, so heftig

schlägt es aus. Da unten muss Wasser sein, viel Wasser sogar!“

Der Bauer reißt die Augen auf, kann es gar nicht fassen und rennt zum Dorf zurück. Poseidon, Hades und Zeus genießen es, dem Dummkopf hinterher zu schauen. Sie lachen und lachen. Es dauert nicht lange, da kommt in einer großen Staubwolke eine Schar Männer angerannt, alle bewaffnet mit erbärmlichen Schaufeln. Dann beginnt ein wildes Graben. Tiefer und tiefer buddeln sie sich in die Erde, feuern sich gegenseitig an.

Später, als sie johlend und singend die drei Fremden in ihr Dorf zurück geleitetet hatten – die Frauen und Kinder trugen währenddessen in kleinen und großen Krügen den ergiebigen nassen Fund in die kleinen Hütten – gibt es ein kleines Fest für die drei fremden Männer auf dem Dorfplatz. Ohne die Frauen, versteht sich. Neugierig lauschen die männlichen Dorfbewohner den Geschichten, die sie nun zu hören bekommen. Ein fahler Mond schaut ihnen dabei zu. Wenn er nicht so weit weg wäre, würde er sie warnen können: Nichts als Lügen, nichts als Lügen! Es sind drei eitle Pfauen, die Frauen nicht trauen und darum müssen sie sie schlecht machen. Glaubt ihnen nicht! Aber kein Wort des Mondes kommt da unten in der Runde an. Stattdessen saugen sie die miesen Geschichten auf wie bestes Quellwasser und spüren nicht, wie ihnen die Sinne vergiftet werden. Und da die lykischen Bauern so schwatzhaft sind, erzählen sie gerne und herrlich ausgeschmückt diese Lügengeschichten weiter, von Ort zu Ort. Den drei Brüdern kann es nur Recht sein. So wird vielleicht doch noch etwas aus ihrer kleinlichen Rache an den Frauen. Wie Funkenflug verbreiten sich seitdem diese falschen Bilder. Ob sie auch schon auf Kreta angelangt sind?

11 Jan

Euopa – Mythos # 24

Europas erstes Kind: Wie soll es heißen?

Monate später. Die Gerüchte am Hof in Paito gehen genauso gemächlich wie die Wellen am nahen Strand. Der eine behauptet, Archaikos werde die Fremde zu seiner Hauptfrau machen, die gerade nuschelnd zerfallende Wellenkette scheint so etwas wie, ist doch eh alles egal, zu raunen, der andere weiß mal wieder nur aus bester Quelle, dass die Fremde gar nicht schwanger sei. Das sei bloß die üble Nachrede der wütenden Kriegsherrn vom anderen Ende der Insel. Der Minos von Kreta habe sie schwer beleidigt – beim letzten Empfang am Hof, als diese Fremde aus dem Land der Zedern angespült worden war. Er habe die zwielichtige Frau mehr beachtet als sie im Thronsaal, sei mit ihr sogar gemeinsam ins Innere des Palastes losgezogen. Das müsse man sich mal vorstellen. Wieder andere flüsterten in dunklen Ecken etwas von einer Zauberin: Sie habe ihn in ihrer Gewalt. Sie brauche ihn nur anzusehen und schon werde er schwach. Wenn das nicht Unheil für alle bedeutet! Sollte man sie nicht besser steinigen? Oder einfach auf ein Floß schnallen und ins Meer stoßen, auf nimmer Wiedersehen?

Die Berater des Minos von Kreta kommen gerade zusammen. Sie haben einen Auftrag bekommen. Sie sollen Archaikos einen Namen für das Kind vorschlagen. Also doch schwanger?! Also hat er sie doch zu seiner Hauptfrau gemacht? Also ist sie doch eine Zauberin? In den Gängen des Palastes herrscht aufgeregtes Schweigen. Niemand bekommt die Frau zu Gesicht. Seit Wochen, seit Monaten nun schon. Einer der Berater erzählt gerade seinen Kollegen, er habe in der letzten Nacht einen eigenartigen Traum gehabt: Ihm seien drei Männer erschienen, verschwitzt in einer düsteren Höhle, die hätten ununterbrochen auf ihn eingeredet, er habe sie aber nicht verstehen können. Ihre Stimmen waren zu leise, zu nuschelig. Nicht ein Wort, nicht ein Zeichen? Ja, vielleicht. Ja, was denn? Raus damit! Unerwartet tritt Archaikos ein.

„Nun? Habt ihr einen Namen? Wenn ich eure Gesichter so sehe, dann

weiß ich auch schon die Antwort!“

Die drei Berater schweigen betreten und nicken zögerlich. Da spricht der Minos von Kreta aber auch schon weiter:

„Was ich euch noch sagen wollte, euch Schlaumeiern: Ich hatte letzte

Nacht einen Traum, da erschienen mir drei Priester, hohe Priester sogar,

in einem dunklen Tempel und redeten zornig auf mich ein. Ich konnte

aber ihre Sprache nicht verstehen. Als ich sie das wissen lasse, lachen

sie ganz grässlich und mein Traum ist vorbei. Was könnte das zu bedeuten

haben?“

Als die drei das hören, sind sie fassungslos. Völlig verschreckt. Ängstlich blicken sie sich im Raum um, ob jemand ihnen zuschaut, ob jemand da ist, der die Träume erklären könnte, der Bescheid weiß. Oder der sie ihnen geschickt haben könnte?  Archaikos versteht die verstörten Gesichter seiner Berater nicht. Schließlich beginnt einer von ihnen zu erzählen. Leise und stotternd. Als er fertig ist, fühlt sich auch der Minos von Kreta, Archaikos, wie von einem unheimlichen Wind berührt, der sie alle schonungslos zu streifen scheint. Um das bleiern schwere Schweigen zu beenden, wagt sich schließlich einer der dreien vor und sagt etwas, von dem er selber nicht weiß, wie es ihm in den Sinn gekommen ist:

„Wenn es ein Sohn wird, sollte er den Namen Minos bekommen.“

Alle starren den Sprecher an. Seine beiden Kollegen, weil sie sich wundern. Das wüssten wie aber, wenn sie das beschlossen hätten. Sie sind wütend auf ihn. Dürfen es aber nicht zeigen. Zumal Archaikos‘ Miene sich aufhellt, als er auf das Gehörte antwortet:

„Minos? Was für ein kühner Gedanke! Minos. Das passt zu ihr.“

Und ohne weitere Reaktionen abzuwarten, verlässt er fluchtartig den Raum. Was dann unter den drei Beratern abgeht, das sollte besser dem Gebot der Verschwiegenheit unterliegen. Denn sonst müssten viele unschöne Sätze aneinander gereiht werden, die sowie so nichts mehr ändern können. Der Name steht fest. Minos.  Archaikos eilt gerade zu der Hochschwangeren. Als sie es hört, freut sie sich sehr. Alles wird gut, denkt sie.