Europa – Verraten und verkauft? (Meditation # 59)
Die kopernikanische Wende Teil II
Wir spätgeborenen Europäer sprechen gerne beim Blick zurück in die eigene Geschichte von der sogenannten Kopernikanischen Wende als der Zäsur, die den schier unaufhaltsamen Aufstieg Europas für die nächsten 500 Jahre zur Welt bestimmenden Macht einläutete. Doch war es wirklich eine Wende und ein unaufhaltsamer Aufstieg? Oder war es nicht bloß die Fortsetzung bekannter Muster und Mächte in neuem Gewand? Angesichts der völlig unüberschaubaren Gemengelage an Krisen und Katastrophen, mit denen die Medien derzeit ihre Auflagen wieder nach oben ausrichten können, geraten selbst die blauäugigsten Europäer in Erklärungsnot: Religionskriege, Flüchtlingsströme, Armut, Hungersnöte, Epidemien überall da, wo europäische Mächte ihre Spuren und Nachahmer hinterlassen. Das Wissen der Neuzeit nutzte nur den fremden Europäern, nicht den bevormundeten Welten, die sie erobert und ausgebeutet hatten. Seit 500 Jahren nun schon.
Jetzt wäre ein günstiger Zeitpunkt gekommen, nicht nur diese Sicht der Dinge zuzugeben, sondern auch erstmals denkbare positive Folgerungen daraus einzuläuten:
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Warum sollte es nicht möglich sein – bei diesem hohen Grad an globaler Vernetzung – dass die Europäer diese unheilvolle Geschichte zu einem Neuanfang in das totale Gegenteil bisheriger Muster wenden : Nicht mehr zu bevormunden, auszubeuten, notfalls sogar zu bekriegen, sondern den entstandenen Krisenlandschaften erstmals ohne Maske zu begegnen und erstmals wirklich zu helfen statt auf europäische Standards einzunorden?
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Warum sollte es nicht möglich sein – bei der nicht mehr weg zu redenden Gefahr für den gesamten Planeten in Sachen Trinkwasser, Regenwälder und Überbevölkerung – statt Mauerprojekte als der Weisheit letztem Schluss anzupreisen (Jerusalem, Mexiko, Ceuta und Melilla), lieber echte Teilhabe und Bildung global zu befördern?
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Warum sollte es nicht möglich sein – bei dieser offensichtlichen Offenbarungseid-Situation weltweit – dass die Alte und die Neue Welt die bisher einseitig genutzten Potentiale mit all ihren negativen Auswirkungen für die anderen erstmals in einer gemeinsamen Anstrengung mobilisierten, um eine kopernikanische Wende für alle zu ermöglichen?
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Warum sollte es nicht möglich sein – nach so vielen falschen Versprechungen und Enttäuschungen – dass die europäischen Staaten endlich die Hymne der Vielfalt anstimmen und diese Botschaft in die Welt hinaus tragen, um so etwas wie Wiedergutmachung zu beginnen für Jahrhunderte lange anmaßende Bevormundung, gewaltsame Vereinnahmung und unerbittliche Ausbeutung wertvollster Resourcen und kultureller Entfremdung?
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Warum sollte es nicht möglich sein – nach so einseitiger und habgieriger und rassistischer Verblendung und Bereicherung – dass die europäischen Staaten sich erstmals zum Anwalt all derer machen, die die nachhaltig Geschädigten und Betrogenen sind; also großen Konzernen und Kartellen die Stirn bieten und die Verteilung des lokalen Reichtums fair und transparent für die nachwachsenden Generationen organisieren und beschützen?
Die EU und die USA stehen unübersehbar vor einem Scherbenhaufen ihrer vollmundigen Versprechungen des Fortschrittsgedanken. Der pure Eigennutz hat sich endgültig erwiesen als das, was er eigentlich ist: Ein mit humanen Vokabeln verkleidetes Konzept, das nicht mehr nur die anderen verzweifeln lässt, sondern nun auch die eigenen Leute in Angst versetzt, weil so viele Notleidende unangemeldet anklopfen und Zutritt wünschen.