Europa – Meditation # 108 Heimat-Text Nr. 25
Heimat – die treue Begleiterin ein Leben lang
Im letzten Heimat-Text (Nr. 24) lautete die überschrift: „Auf der Suche nach der verlorenen Heimat“ – doch jeder weiß natürlich – wenigstens insgeheim – dass man Heimat gar nicht verlieren kann, weil sie der treueste Begleiter in unserem Leben ist.
Gut. Manchmal – bei der Dauerberieselung mit Bildern, Tönen und Geschichten – kann es schon passieren, dass man glatt vergisst, dass sie uns nie im Stich lässt. Aber eben nur manchmal.
Meistens können wir uns bei ihr Rat holen, bei ihr ausruhen oder so. In einem wärmenden Gefühl von wohltuenden Erinnerungen an Tage, als noch alles wie selbstverständlich einfach nur da war: Der Kiosk an der Ecke, der Bolz-Platz, der Geruch, der morgens aus der Bäckerei quoll, die kleinen Staudämme, die man mit Begeisterung gebaut hatte, am nahegelegenen Bach, die schlanken Pappeln mit den nervenden Krähen drin, die Bank an der Bushaltestelle, wo man…
Doch jetzt scheinen solche verlässlichen Gegebenheiten immer mehr zu verschwinden. Ganze Stadtviertel sind nicht wiederzuerkennen, das Schwimmbad wird still gelegt, der Job ist nur einer auf Basis von Zeitverträgen, die Freundin hat längst einen anderen. Und das Internet hält auch nicht, was es Tag und Nacht verspricht.
Und wer ist Schuld daran? Tja, wenn man das wüsste. Aber Sündenböcke lassen sich schnell finden. Und schon ist man erleichtert, weil man nicht die ganze Zeit mit diesem unguten Gefühl in der Magengegend herumlaufen muss, sondern so etwas wie Solidarität mit Gleichgesinnten zu erleben glaubt, wenn man gemeinsam auf den Lukas haut. Auf ihn mit Gebrüll! Mensch tut das gut – wenigstens für den Augenblick, so lang es dauert…
Wenn es dann aber wieder still wird, der Kater verflogen ist, meldet sich leise, aber sehr freundlich erneut dieser verlässliche Begleiter in unserem Leben, mit unverlierbaren Stimmen, Bildern, Gewissheiten aus jungen Jahren.
Und wenn man dann ehrlich mit sich ist, schämt man sich, dass man bei diesem Sündenbock-Spießruten-Lauf doch tatsächlich mitgemacht hat: Ein begnadeter Fußballspieler mit eigenen Heimatgefühlen mag etwas falsch gemacht haben (wer macht das eigentlich nicht?), aber er ist nun beleibe nicht verantwortlich für das grotten schlechte Spiel der Nationalmannschaft- im Gegenteil, er war noch einer der besseren (wenn man so ehrlich sein will!) und mit der Gentrifizierung hat er nun wirklich nichts am Hut. Und der unselige Diesel-Skandal, der einfach unter den Teppich gekehrt wird, geht auch nicht auf seine Kappe. Oder?
Im Gegenteil: Wir könnten diese peinliche Gelegenheit nutzen, endlich einmal gemeinsam mit Gleichgesinnten (denen es auch nicht so doll geht im Moment) Halt zu machen und zu bereden, wo denn der Wurm drin steckt dieser Tage. Vielleicht wird ja etwas daraus, das tragfähig und solide ist. Reden. Statt johlen oder prahlen. Die Parteien haben wohl ausgedient. Der schrille Jahrmarkt der Krisen könnte so glatt zum Ausgangspunkt einer völlig neuen Gestaltung von Gemeinschaft werden. Und daraus könnte vielleicht sogar so etwas wie ein neues Heimatgefühl entstehen, weil selbst erlebt und gemacht. Jetzt.