06 Mai

Im Labyrinth der Götter – Blatt 191 – Leseprobe/Historischer Roman II

Der kühle Empfang von Julianus in Dividorum


Nach dem missglückten Anschlag verläuft der Rest der Reise ohne Zwischenfälle. Wenn sie durch kleine Weiler oder Dörfer reiten, schauen die Menschen misstrauisch aus ihren Verschlägen. Der sieht aber nicht aus wie ein Franke, was sind das denn für zwei Begleiter, wo kommen die wohl her, wo wollen die hin – so oder ähnlich lauten wahrscheinlich die stummen Fragen, die sie stellen. Julianus kann sie nur zu gut verstehen. Sie leben in Angst, haben Hunger und werden zu immer höheren Abgaben oder zum Waffengang gezwungen. Was für eine Welt. Verglichen mit dem Leben in der Villa Marcellina an der Liger eher erbärmlich. Julianus versucht seine Gedanken zu ordnen. Er weiß, er schwebt in Lebensgefahr. Sein Plan, Bischof von Dividorum zu werden, könnte scheitern, noch bevor er dort angekommen ist. Seine beiden Begleiter reiten stumm vor ihm her. Er kann ihr schlechtes Gewissen geradezu riechen. Als habe er die Gedanken Julianus‘ gespürt, dreht sich jetzt der eine zu ihm um:“ Wir sind bald da!“ Julianus nickt grinsend. Ihr Weg ist mehr und mehr von Leuten gesäumt, die ihnen nachstarren oder bewusst wegschauen. Getuschel dann. Von einer Anhöhe aus sieht Julianus jetzt auch den alten Kirchturm. Gleichzeitig tritt die Sonne hinter einem weißen Wolkenberg blendend hervor. Ein gutes Zeichen oder will sie mich blenden? Julianus entscheidet sich für die erste Variante.
Als sie durchs südliche Stadttor reiten, die beiden Begleiter mit der Wache sprechen, verbeugt man sich freundlich vor Julianus und lässt ihn passieren. Im Gewühl der engen Straßen steigen sie ab und führen ihre Pferde am Zügel neben sich. Ein normaler Alltag in Dividorum. Julianus nimmt das Leben der Bürger neugierig auf. Vielleicht werden sie bald zur meiner Inthronisation als Bischof kommen. Voller Neugier: Ein völlig fremder Mann, gerade erst im Schnellverfahren getauft, und auch noch aus einer alten, römischen Senatorenfamilie! Für einen Augenblick spielt er mit dem Gedanken, seinen kühnen Plan aufzugeben. Doch schon melden sich in seinem Kopf der Vater und sein Lehrer Philippus: „Für einen Römer gibt es keine Furcht. Und für die Gemeinschaft eine Aufgabe zu übernehmen, ist für jeden aus der Familie der Villa Marcellina eine Verpflichtung, die man nicht ausschlägt.“ Julianus atmet tief durch. Vor lauter Grübeln hätte er beinahe seine beiden zwielichtigen Begleiter aus den Augen verloren. Da gelangen sie auch schon zum Mittelpunkt von Dividorum: wuchtig erhebt sich vor ihnen die gedrungene Fassade der romanischen Bischofskirche, wuchtig auch die Türme. Zu beiden Seiten eines arkadengeschmückten
Vorbaus hohe Mauern, dahinter in einem Garten das bischöfliche Palais. Auf dem Platz glotzen die Leute neugierig, brechen ihre Gespräche ab, weisen mit dem Finger auf die Fremden und die drei Pferde. Als sie ihm Torbogen zur Rechten ihre Pferde abgeben, hat Julianus eine ersten Blick auf seinen Amtssitz. Ein prächtiger Bau, mit vielen Fenstern, einem Balkon und einem Portal, zu dem drei breite Stufen hinauf führen. „Man wartet sicher schon auf euch“, flüstert der eine, aus dessen Augen immer noch Schuldgefühle wie üble Nebelschwaden zu quillen scheinen. Julianus nickt. Der andere lässt den Türklopfer ertönen. Schon wird geöffnet. Man hatte sie wohl aus den kleinen Fenstern kommen sehen. Und während die beiden Begleiter Julianus‘ Gepäck von den Pferden holen, leitet ihn ein alte Priester
mit jovialer Miene weiter ins Innere, in einen Empfangsraum, wo schwere, dunkle Teppich an den Wänden hängen – mit Motiven aus dem alten Testament bestickt – und Julianus zu einem Stuhl mit hoher Lehne geführt wird, wo er sich dankend und seufzend niederlässt. „Darf ich ihnen eine Erfrischung bringen lassen?“ fragt der Alte und verzieht dabei keine Miene. „Ja, gerne, das wäre sehr freundlich. Wir haben wahrlich ein beschwerliche Reise hinter uns.“ Da verzieht der alte Priester nur kurz sein Gesicht zu so etwas wie einem mitfühlenden Lächeln, bevor er sagt: „Ich bin übrigens Pater Stephanus. Bischof Arnulf hat mich vor vielen Jahren zu seinem Hausmajor gemacht. Seit er tot ist, verwalte ich sein Haus, bis der neue Bischof kommt.“ Julianus muss innerlich herzlich lachen. Als wenn der nicht wüsste, dass hier bereits dieser neue, künftige Bischof vor ihm steht. „Das Haus Gottes und das bischöfliche Palais machen einen wohl bestellten Eindruck. Ihr seid ein umsichtiger Verwalter des bischöflichen Anwesens, so weit ich das bei meinem ersten Eindruck sehen kann.“ Pater Stephanus
fühlt sich geschmeichelt und verlässt sich erneut verbeugend den düsteren Raum. Julianus hört, wie seine beiden Begleiter Stephanus fragen, wohin sie das Gepäck bringen sollen. Für ein paar Momente schließt er seine Augen, denkt an die Villa, an Somythall, an Sumil, an Pippa. Ob sie schon in Mons Relaxus angekommen sind? Ob es Zwischenfälle gab, so wie den, den e r erleben musste? Da kommt aber schon Pater Stephanus zurück. In der Rechten ein Tonkrug und in der linken ein hölnerner Becher. Mit zitternden Händen stellt er die Gefäße auf dem großen Holztisch ab, an dessen Ende Julianus sitzt. „Danke!“ sagt Julianus, weiter nichts, als ihm das frische Wasser in den Becher gegossen wird. Später – es hatte sich natürlich längst herumgesprochen – kamen die Vertreter der Bürgerschaft von Dividorum, um den Kanditaten auf den Bischofssitz zu beschnuppern. Immerhin ist die Stadt um einiges größer und wohlhabender als Lutetia, liegt sie doch an der wichtigen Handelsstraße zwischen Augusta Treverorum und Ludgunum. Und der Bischof ist für die Bürger der wichtigste Mann. Seine Macht steht über allen. Julianus scheint auf die neugierigen Männer einen guten Eindruck zu machen. Sie behandeln ihn mit Respekt. Ob aus Überzeugung oder voller Berechnung lässt sich aus ihren Mienen natürlich nicht ablesen.

23 Feb

Historischer Roman II Blatt 189 YRRLANTH – Leseprobe

Die drei Brüder verlieren ihr Herz an Pippa und Sumil.

„Habichte!“ zischt David, als er nach oben in den wolkenverhangenen Himmel zeigt. „Falken!“ kontert Jakob sofort. „Die sind doch viel kleiner!“ schiebt Jonas hinterher. Pippa, die unbemerkt hinter ihnen gestanden hatte, lacht aus vollem Halse. Sumil beginnt zu weinen. Erschrocken drehen sich die drei Brüder um, ihr kleiner Streit ist ihnen sichtlich peinlich. „Sie hat bestimmt Hunger!“ überspielt David die Szene. „Oder sie ist einfach nur müde“, mischt sich Jonas ein, während Jakob nur die Augen verdreht und Pippa unverhohlen anhimmelt. Pippas Lachen steckt nun auch die Brüder an. Die Raubvögel über ihnen haben längst abgedreht. Was sie da unten sehen, ist nichts für sie: zu laut, zu groß, zu zappelig.

Später – der Trupp hatte sich um ein kleines Feuer herum niedergelassen, die Pferde stehen längst im Halbschlaf vor sich hin kauend einfach nur da – Rochwyns Leute und die von der hohen Höhle tauschen Erfahrungen aus, was die gefahrvolle Strecke bis zur Küste noch an bösen Überraschungen für sie alle bereit halten könnte – später ermüden auch die drei Brüder in ihren aufgeregten Versuchen, Pippa ihre versteckten Gefühle zu signalisieren.

David bietet sich immer wieder an, Sumil herumzutragen, was Pippa abschlägt. Männer sind immer so grob zu kleinen Kindern. Jonas möchte Pippa pausenlos mit Geschichten aus seiner eigenen Kindheit im fernen Argentovaria unterhalten. Warum erzählt der mir das eigentlich? Und Jakob möchte ihr die Abenteuer des Odysseus nahe bringen. Odysseus, Odysseus. Nie gehört. Sicher ein Held aus der Zeit, als die Juden in Ägypten Sklavenarbeit erledigen mussten. Ich bin einfach nur müde und unendlich traurig, weil Somythall nicht mehr da ist. Pippa kann es eigentlich noch gar nicht wirklich verstehen. Wäre es doch nur ein übler Albtraum, denkt sie verzweifelt. Dann muss sie urplötzlich wieder lächeln, denn dass die drei Brüder sich so um sie kümmern, geht ihr auch sehr zu Herzen. Und zwischen all diesen Gefühlswallungen taucht natürlich auch immer wieder dieser stolze Römer auf, mit dem sie in der hohen Höhle so unbeschreiblich glücklich war – wenigstens für Augenblicke.

„Pippa, wird dir die Kleine nicht zu schwer auf dem Arm? Ich kann sie dir gut für den Rest unserer Pause hier abnehmen.“ Dabei strahlt sie David in einer Weise an, die ziemlich viel verrät von dem, was in ihm gerade vorgeht. Seine beiden Brüder kichern nur. David wirft ihnen einen zornigen Blick zu. Doch Pippa schüttelt erneut nur mit ihrem Kopf.

Da erheben sich aber auch schon wieder Rochwyns Leute, recken sich, lachen und geben ihnen zu verstehen, dass sie weiter wollen. Auch die Leute von der hohen Höhle – völlig schweigsam und in sich gekehrt haben sie bisher den Trupp begleitet. Aber trotzdem immer nach allen Seiten forschende Blicke sendend sind sie auf ihren Pferden und mit ihren Waffen ein wohltuender Schutz.

„Aufsitzen!“ ruft ihr Anführer so laut, dass es weithin zwischen den Bäumen zu hören ist, „aufsitzen!“

Vor Schreck wacht Sumil aus ihrem leichten Mittagsschlaf auf und schreit aus Leibeskräften. Pippa versucht sie zu trösten, die drei Brüder machen sich schnell an ihren Pferden zu schaffen, denn mit schreienden Kleinkindern kennen sie sich nicht aus. Pippa summt geduldig weiche, tiefe Töne in Sumils Ohren, streichelt ihr sanft die Tränen von den Pausbacken und steht nun neben ihrem unruhig auf der Stelle tänzelnden Pferd. Da sind natürlich die drei Brüder wieder zur Stelle, jeder will ihr aufs Pferd helfen, jeder möchte die Gelegenheit nutzen, sie scheinbar völlig zufällig zu berühren. An ihren starken Armen, ihrer schmalen Hüfte, am Rücken. Und sie dabei riechen können. Diesmal ist es Jonas, der im hilfreichen Gedrängel der glückliche Gewinner ist und Pippa mit Elan in den Sattel hievt. Sumil strahlt. David und Jakob machen gute Miene zum bösen Spiel. Der soll sich nur nicht einbilden, dass er bessere Aussichten bei ihr hat als sie! Dementsprechend forsch springen sie auf ihre eigenen Pferde, und schon geht es weiter Richtung Mons Relaxus.

Unterwegs weichen die drei Brüder nicht von ihrer Seite. Dicht neben Pippa und Sumil halten sie ihre Pferde parallel zu dem ihren, dabei ist einer von den dreien immer in der misslichen Lage, dass er nicht so nah an Pippa heran kommt, als die beiden Brüder an Pippas Flanken. Gerade ist es Jonas, der das Nachsehen hat. Jakob und David grinsen. Jonas verdreht die Augen. Und über ihnen kreisen – begleitet von schrillen Schreien – zwei Greifvögel in eleganten Bögen scheinbar völlig uninteressiert und lassen sich dennoch auch nicht die kleinste Bewegung da unten entgehen.

So bilden sie drei kleine Abteilungen, die gut voran kommen: Vorne Rochwyns Leute, die insgeheim von Hibernia träumen, in der Mitte Pippa mit Sumil auf den Armen und eskortiert von den drei aufgeregten Brüdern und als kleine Nachhut die wortkargen Männer aus der hohen Höhle. Aber genauso wie die vorne kennen auch die am Ende den beschwerlichen Weg zur Küste mit all seinen Gefahren nur zu gut.

28 Dez

YRRLANTH – Blatt 186 – Historischer Roman II – Leseprobe

Boten aus Lutetia fragen nach dem Römer aus der Villa Marcellina.

„He, du, bist du der Römer Julianus?“

Obwohl fast geflüstert, wandert die Frage durch die dunkle Halle, als sollte es ein Zauberspruch sein. Die Schlafenden packen ihn mit in ihre letzten Traumbilder oder lassen sich davon zurück in den frühen Morgen holen. Wo bin ich, fragt sich Julianus, der gerade sanft an der Schulter berührt wird. Wo bin ich? Pippa neben sich – eng an ihn geschmiegt – schmunzelt und seufzt tief Atem holend vor sich hin. Sie will noch nicht wieder wach werden. Noch nicht. Denn das Eins Sein mit Julianus in dieser Nacht, das so überraschende, hält sie immer noch wie in einem Rausch gefangen.

„Bist du der Römer oder nicht?“

Jetzt ist die Frage schon etwas entschiedener und fordernder gestellt. Julianus schlägt seine Augen auf. Das Dämmerlicht verhindert, dass er den Frager erkennen kann. Aber trotzdem antwortet er jetzt leise:

„Ja, der bin ich. Warum fragst du – so früh am Morgen?“

Vorsichtig richtet Julianus sich auf, er will Pippa nicht wecken. Es muss einer von den Leuten sein, die sie gestern hierhin gebracht hatten.

„Der Kronrat aus Lutetia hat einen Boten geschickt. Die wollen dich sprechen dort.“

Julianus zuckt innerlich zusammen. Ist der Verdacht nun doch auf ihn gefallen, halten sie ihn für den Attentäter am König? Da kommt aber schon die nächste Bemerkung – in breitestem westgotischen Sprachfluss:

„Sie halten wohl dich und deine Familie für würdig, Teil des Kronrats zu werden – du sollst wohl mithelfen, den neuen König zu finden.“

Julianus meint für einen Augenblick zu träumen, dann steht er aber schnell auf, lässt sich von dem Fremden führen – er will auf keinen Fall, dass Pippa aufwacht, jetzt.

In den Nischen, an denen sie jetzt wieder vorbei kommen, liegen die Paare immer noch eng umschlungen beieinander, selig schlafend und sicher auch in sinnlichsten Träumen unterwegs. Auch an Julianus huschen die Erinnerungsbilder der letzten Nacht kurz und heftig vorbei. Er muss sie vertreiben, er muss nachdenken, was er tun soll. Bleiben, weiter reisen, nach Lutetia aufbrechen?

Kalte, klare Morgenluft empfängt ihn vor der olympischen Höhle. An einem Feuer stehen drei Männer und schauen ihm und dem Wecker entgegen.

„Du bist also dieser Römer Julianus – oder?“ fragt ihn nun der Älteste am Feuer, die beiden anderen mustern ihn neugierig von oben bis unten. Nach der feurigen Nacht mit Pippa sieht Julianus etwas zerzaust und mitgenommen aus. Er fährt sich mit beiden Händen durch sein langes Lockenhaar, räuspert sich vernehmlich, bevor er sagt, was er sich eben zurecht gelegt hat:

„Der bin ich in der Tat. Ich werde so schnell, wie ich kann, nach Lutetia reiten – habe aber kein Pferd…“

Die drei am Feuer und mit ihnen jetzt auch der Mann, der ihn geweckt hatte, grinsen breit.

„Ich habe ein Pferd mitgebracht, das wäre dann geregelt – oder?“

Jetzt erst wird Julianus klar, dass einer von den vier Männern ein Franke ist.

Julianus ist sprachlos. Hoffentlich ist das keine Falle, geht es ihm durch den Kopf, als er antwortet und sich seine Hände am Feuer zu wärmen versucht:

„Ich habe aber eine Bitte: Die Frau, der Säugling und die restliche Begleitung müssten zum Hafen im Westen gebracht werden, ich hatte ihnen nämlich versprochen, ihnen Schutz zu sichern auf ihrer Rückreise nach Yrrlanth.“

„Yrrlanth?“

Die vier Männer schauen sich verdutzt an. Als würde die Frau ans Ende der Welt reisen wollen, so kam es ihnen vor bei dem Namen Yrrlanth. Der Franke ergreift als erster das Wort:

„Nun, nun. Das ist nicht mein Auftrag, wir beide müssen so schnell wie möglich Richtung Osten, Richtung Sequana!“

Dabei betont er den lateinischen Namen besonders, um dem Römer deutlich zu machen, dass er ein gebildeter Mann ist. Erwartungsvoll schaut Julianus zu den beiden anderen am Feuer. Werden sie seine große Bitte erfüllen wollen?

Insgeheim wünscht er sich, dass er, ohne Pippa noch einmal in die Augen schauen zu müssen, sofort aufbrechen kann, denn er wäre sicher hin und her gerissen zwischen sie weiter begleiten wollen und zum Kronrat aufbrechen – schließlich könnte er so den Ruf der Marcellus-Familie weiter mehren .

„Da werden wir den Ältestenrat zusammenrufen müssen! Aber der wird sicher zustimmen.“