Leseprobe # 4 Ausschnitt aus dem historischen Roman, zweiter Teil
Rochwyn – zur falschen Zeit am falschen Ort
Obwohl sich Somythall vorgenommen hatte zu lächeln, Freude zu zeigen, weil sie in der Villa Marcellina so viel Neues, Schönes und Gutes erleben durfte, kommen beim Abschied doch noch die Tränen. Und ist der Glanz in den Augen von Julianus nicht auch tränenschwer oder sieht sie es nur so, weil ihre eigenen Augen so unter Wasser stehen? Ihr Herz ist einfach ihrem Kopf nicht gefolgt. Es macht, was es will. Um Julianus nicht zu enttäuschen, dreht sie sich schnell um – man hatte ihr noch einen besonders weichen und bequemen Sattel angefertigt – und drückt dem geduldigen Pferd die Fersen in die Seite. Nicht zurückschauen, nicht zurückschauen, flüstert sie sich leise ein. Dann haben sie auch schon das Tor in der Mauer der großen römischen Anlage erreicht. Rochwyn schließt zu ihr auf.
„Wenn es zu anstrengend werden sollte, sag es bitte. Dann finden wir eine andere Lösung.“
Somythall schaut gar nicht zu ihm hin. Auch er soll die Tränen nicht sehen. Er ist so fürsorglich. Und Rochwyns Leute trotten auf ihren Tieren hinter ihnen her. Sie sollen gut aufpassen. Deshalb hat Rochwyn zwei seiner besten Kämpfer vorausgeschickt. Wegelagerer sind unberechenbar. Somythall fühlt sich gut beschützt.
„Und noch etwas, Somythall: Weil es in den letzten Tagen nicht mehr geregnet hat, dürften die Pfade leichter begehbar sein. Wir wollen versuchen, heute so weit wie möglich zu kommen. Gegen Mittag suchen wir uns einen Rastplatz, damit du entspannen kannst. Der Herr der Villa Marcellina hat uns reichlich mit guten Sachen versorgt.“
Somythall spürt bereits schon jetzt, dass das Reiten für sie beschwerlich wird. Ihr Kind – es ist ja auch sein Kind – beschimpft sie sicher in ihrem Bauch. Das stellt sie sich gerade vor und muss lachen. Rochwyn freut sich, er denkt, ihr Lachen sei die Antwort auf seine kleine Rede. Die Sonnenstrahlen werfen einen matten Schimmer auf das Laub, das noch an den Ästen hängt. Unter den Hufen der Pferde raschelt der Blätterteppich und dämpft ihr Stampfen. Wie lange sie wohl bis Luxovium brauchen werden?
Somythall entführt sich kurzerhand in angenehme Tagträume. Voegrun. Die Höhle. Als wäre es gestern erst gewesen, so deutlich kann sie sich das Bild herbeizaubern. Seine großes Augen, sein wohliges Stöhnen, ihr Summen, ihr Seufzen. Und wie sie jetzt eine Bewegung in ihrem Bauch spürt, glaubt sie das Kichern ihrer Großmutter zu hören, die ihr übers Haar streichelt und sagt:
„Mein Mädchen, du hast gut aufgepasst. Dein Kind wird euch viel Freude machen. Ist es doch ein Kind reiner Freude. Dass du sogar zwei Männer zur Wahl hast für dein Kind, macht alles nur noch besser. Lass jeden im Glauben, er sei der Vater.“
Den modrigen Duft, der vom feuchten Waldboden aufsteigt, saugt sie genüsslich ein. Noch ist auch das Gezwitscher von Vögeln zu hören. Im Dickicht raschelt es immer wieder. Rochwyn denkt vielleicht gerade, ein Wild zu erlegen, damit alle bei guter Laune bleiben. Da kommen die beiden Vorreiter zurück, gesellen sich zu Rochwyn, reden mit ihm. Er nickt. Dann sprengen sie wieder davon. Was sie wohl beredet haben, fragt sich Somythall. Als habe er ihre Frage gehört, schließt Rochwyn jetzt auf zu ihr, schaut sie besorgt von der Seite an und meint dann:
„Es strengt dich an. Stimmt’s? Du willst es zwar nicht zugeben, aber ich sehe es. Lass deinen Stolz beiseite! Du musst jetzt für zwei sorgen. Vergiss das nicht. Alle Arbeit wird von meinen Leuten und von mir erledigt. Kümmre du dich nur noch um dein Wohlergehen. Und bete, dass deine Göttin dich liebevoll schützt!“
Rochwyn gibt seinen Leuten ein Zeichen: Rast! Auf einer kleinen Lichtung pflocken sie die Pferde an und lassen die Tiere das bisschen Gras, das vom Sommer noch übrig geblieben ist, fressen. Somythall atmet auf. Pause. Kraft schöpfen. Rochwyn hilft ihr vom Pferd. Sie lässt sich einfach in seine Arme fallen, umarmt ihn dankbar, küsst seinen Hals dabei. Sie seufzt:
„Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals so hilfsbedürftig sein würde.“
„Tja, du warst ja auch noch nie schwanger!“
Sie müssen beide lachen. Wie weggeblasen ihre Angst. Wie einfach alles sein kann. Wie hell, wie klar, denkt sie dankbar. Rochwyn breitet eine weiche Decke für sie auf dem Boden der Lichtung aus, Somythall lehnt sich an eine alte Buche. Ihre Augen trinken die Farben und Formen des Augenblicks ein: Was für ein Licht, was für eine Stille, was für ein Duft! Als wäre sie in einen Traum eingetreten, so leicht und jung kommt ihr alles vor.
„Komm, Somythall, leg dich hier hin und ruhe dich aus. Ich werde mit ein paar meiner Leute den Bärenspuren nachfolgen, die meine beiden Vorreiter entdeckt haben…“
Somythall erschrickt. Er wird mich doch nicht hier alleine lassen? Wie dürre Zweige fallen ihre schönen Gedanken in sich zusammen. Rochwyn sieht es gleich:
„Nein, nein, keine Angst, natürlich bleibt ein Trupp hier bei dir – für alle Fälle. Wir werden aber sowieso nicht allzu lange suchen. Entweder stellen wir den Bären gleich oder wir kommen ohne Beute gleich zurück.“
Somythall versucht ein erleichtertes Lächeln aufzusetzen, aber es will ihr nicht so recht gelingen. Hat sie eine Vorahnung oder ist sie einfach nur ängstlich? Sie weiß es nicht, sie will aber auch nicht ängstlich klingen, als sie schnell antwortet:
„Schon gut, schon gut! Ich wünsche Dir eine erfolgreiche Jagd und mir deine baldige Rückkehr.“
Und schon sitzen sie wieder auf ihren Pferden und reiten davon, sie wollen schnell zu den Vorreitern aufschließen. Der restliche Trupp lagert sich lässig in gehöriger Distanz von ihr unter den hohen Buchen, döst gleich vor sich hin. Was soll auch schon passieren, hier, am helllichten Tage? Dann geht aber auch alles ganz schnell. Die Stille dieses späten Vormittags mitten in einem schier endlosen Buchenwald wird sehr unschöne Bilder zu sehen bekommen und Todesröcheln hören müssen. Somythall war eingenickt, als beängstigende Geräusche sie aus ihrem schönen Traum reißen. Die Horde muss sich sehr leise angeschlichen haben, ihre Bewacher wurden wohl völlig schutzlos selbst überrascht. Somythall sieht wie sie würgend, zappelnd sich zur Wehr setzen wollen, wie sie gar nicht mehr erst auf die Füße kommen. Da haben sie schon die blitzenden Klingen an ihren Kehlen und verbluten erbärmlich gurgelnd. Die Pferde unruhig an den Pflöcken. Ob es doch nur ein Albtraum ist? Es muss einer sein, denn sonst wäre es ja ihr Ende. Ihr Kind in ihrem Bauch, es will doch erst noch geboren werden. Vorsichtig erhebt sie sich, Rochwyns zweites Schwert liegt neben ihrer Decke. Zauberei? Jetzt erst bemerkt sie es. Wie weitsichtig von ihm, denkt sie und will entschlossen nach ihm greifen. Ich muss mich jetzt selbst verteidigen, die Göttin muss mir Zauberkräfte geben. Sofort, sonst schafft sie das nicht. Es sind nur Augenblicke zwischen dem Aufwachen, dem Sehen des Schreckens, dem Aufstehen Wollen und dem Griff nach Rochwyns Schwert. Da wirft sie jemand recht unsanft zu Boden. Sie schreit, versucht weg zu kriechen, aber es gelingt ihr nicht. Als ihr jetzt erst wirklich klar wird, was da vor sich geht, schwinden ihr vor Angst, Zorn und Übelkeit die Sinne. Nah an ihrem Ohr hört sie eine raue Stimme in einer fremden Sprache rufen, dann wird ihr schwarz vor Augen.
Und wieder hat die Stille der Lichtung ihre Stille zurück. Als später Rochwyn mit seinen Leuten ohne Bär zurückkommt, ist ihnen gleich klar, was geschehen sein muss. Die Pferde fehlen, sein zweites Schwert, Somythall auch; nur die toten eigenen Leute, nackt und blutüberströmt, erzählen deutlich die schlimme Geschichte, die hier zu erzählen wäre. Aber da hat keiner mehr Stimme, der es tun könnte. Keiner. Am wenigsten Rochwyn. Er kämpft mit den Tränen. Aber es sind Tränen der Wut. Wut auf sich selbst: Wie konnte er sie nur alleine lassen? Wie konnte eine Bärenspur wichtiger sein als ihr Schutz? Um den Schmerz, der jetzt in ihm tobt, überhaupt aushalten zu können, redet er sich ununterbrochen ein, böse Geister müssen sich gegen ihn verschworen haben. Aber sie sollen ihn kennen lernen! Er wird nicht ruhen, bis er sie aufgespürt hat, bis er sie alle hingerichtet hat. Denn diese Mörderbande muss fürchterlich büßen für diese Schandtat. Er redet sich in Rage, damit er nicht an das andere denken muss, dass in ihm tobt: Die Ungewissheit, was sie mit Somythall gemacht haben, was sie vorhaben, wenn sie nicht schon tot ist. Seine Leute stehen ratlos und verängstigt vor ihm, keiner hält diesen stieren Blick aus, der nur eins brüllt und brüllt: Rache!