25 Feb

Europa – Meditation # 180

Zuhause entstehen die Prägungen fürs Leben.

Europa hätte fast seinen Kompass verloren – wären da nicht Onkel Trump und Vetter Johnson. Es muss wohl erst nachhaltig ans Eingemachte gehen, bevor wir bereit sind zuzugeben, aufs falsche Pferd gesetzt zu haben. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Die Großmäuler entblöden sich eben nicht, ihre Fassaden als Fassaden vor sich herzuschieben. So kann auch der Dickhäutigste überzeugt werden: Es wird gelogen und betrogen, dass sich die Balken biegen. Da sind keine Gemeinsamkeiten mehr – jenseits von Kaufverträgen – nur noch das Schachern in die eigene Tasche. Und wir Europäer glaubten doch wirklich, Amerika sei das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und wir in Europa seien einfach nur eingesperrt in unseren eigenen kulturellen Fesseln, die wir „nur“ abzulegen hätten, um teilzuhaben an dieser frohen Botschaft aus Übersee. Die Briten – die Inseleuropäer im Westen – laufen ihrem Rattenfänger hechelnd hinterher, weil er neue Größe verspricht: Was die Amerikaner können, konnten wir schon vorher. Das Empire lässt sich zurückgewinnen, wenn wir uns nur aus den Fesseln der EU befreien! Am Ende dieses Lockrufes wird ein Kater warten, der die Frustrierten vielleicht noch weiter in die Hände noch radikalerer Rattenfänger treiben wird.

Da sei Rest-Europa vor! Besinnen wir uns auf die eigenen Grundsätze, wie friedliches und gedeihliches Zusammenleben verwandter Völker eines Kontinents gelingen kann: Schaffen wir in den Familien wieder ein Klima des Forderns und Förderns und nicht mehr nur des Abgrenzens gegen die anderen, die Hinzugekommenen, gegen das hohle Loblied des Verwöhnens und das uferlose Nachgeben. Denn sonst werden solche Kinder wenig Respekt und Wertschätzung lernen – im Kindergarten und später in der Schule werden sie eigensinnige Respektlosigkeit und mangelnde Wertschätzung im Kleinen üben und verbessern, bis es ihnen zur zweiten Haut geworden ist. Erwachsen können dann solche Prägungen fatale Kurzschlüsse herbeiführen: Der kleine Mann in seinem großen Auto fühlt sich plötzlich mächtig, stark, berechtigt, eigenen Frust über das Gaspedal auszuleben. Er fühlt sich ermächtigt, uneinsichtige Frauen zu bedrohen, zu schlagen, zu überfahren. Er glaubt dann sogar, dass innere Stimmen ihm sagen, in der feindlichen Welt selber unnachsichtiger Richter über Leben und Tod spielen zu müssen, um dem eigenen Fremdsein etwas Starkes entgegen zu setzen.

Zuhause – im Schutz der eigenen vier Wände und so unbemerkt für die Umgebung – werden dem kleinen Kind die Prägungen wieder und wieder eingeprägt, dass es nicht der Vater oder die Mutter sind, die etwas falsch machen, die Angst den eigenen Kindern aufbürden, sondern dass es die anderen draußen sind, die schuld am Elend der eigenen Familie sind.

Wer die Frage für das Explodieren von Gewalt im öffentlichen Raum stellt, sollte also nicht nur nach einem stärkeren Staat rufen, sondern sich genauso an die eigene Nase fassen, denn die Familie ist meistens der Anfang der Gewaltgeschichte, der wir später oft so ratlos gegenüber stehen.

17 Jul

Europa – Meditation # 106 Heimat-Text Nr. 23

Ein Moment der verzweifelten Besinnung im Wohlstandsrausch

 D I E N S T A G ,  den  17. Juli  2018

Vor hundert Jahren ermordeten die russischen Kommunisten die gesamte Zarenfamilie. Heute erinnerten mehr als hunderttausend Menschen an dieses schlimme Ereignis. Die orthodoxe Kirche Russland hat den Zaren inzwischen heilig gesprochen. Emma wird heute 95 Jahre alt. Kinder und Kindeskinder feiern mit ihr in Lindau diesen stolzen Geburtstag.

Dazwischen liegen zwei sogenannte Weltkriege, zahllose Erdbeben, Massaker und tausende und abertausende von Verkehrstoten.

Wieviele ungelebte Leben! Wieviele ungenutzte Talente, wieviele nie erzählte Liebesgeschichten!

In Helsinki geht unterdessen eine kleine Theaterveranstaltung der besonderen Art zu Ende: Zwei gerissene ältere Herren haben sich dort Augen zwinkernd miteinander unterhalten. Worüber? Dies und das.

Für die Medien jedenfalls ein gefundenes Fressen – zumal es nur wenig griffiges Material aus dem inneren Kreis der Mächtigen gab und die Fußballweltmeisterschaft auch schon wieder vorbei ist. Von den zwölf Jungen ganz zu schweigen, die aus einer vollgelaufenen Höhle gerettet werden konnten. Wer hätte das gedacht?

An was soll man sich halten? Was bleibt von all dem eigentlich für das eigene Leben? Nur die Bilder vergangener Tage, der Kindheit, der Familie, der gemeinsamen Ausflüge mit Picknick am Fluss und mit diesem üblen Wespenstich. Oder war es eine Biene? Warum hatte damals der Lehrer das Bild – ein Versuch in Wasserfarben – nicht gelobt? Dabei war soviel Herzblut mit hinein geflossen. Und warum hatte sie damals eigentlich Schluss gemacht? Was war falsch gelaufen, damals?

In der Erinnerung bieten sich viele bequeme Antworten an. Aber welche wäre die richtigere? An was soll man sich halten?

Während in den allgegenwärtigen Medien eine Botschaft die nächste überbietet und erschlägt, sucht der Zeitgenosse im kleinen Europa genervt nach einem halbwegs verlässlichen Ort in Zeit und Raum, wo man sich getrost niederlassen könnte, angstfrei ausschlafen würde und lustige Gespräche führte. Stattdessen nur huschige Momente von unfassbaren Augenblicken, von ersehnter Nähe zu einem faszinierenden Wesen, das so reizvoll lockt und singt und tanzt; stattdessen nur zu viel Bilderrattern und Wörterwald, nur hektische Blickkontakte und verpasste Begegnungen, nur öde Sprachlosigkeit drum herum und kein Verstehen. Abschalten, abschalten, löschen!

17 Nov

Europa – Verraten und verkauft? (Meditation # 52)

Ein gar nicht fiktives Streitgespräch zweier virtueller Zeitgenossen

„Hör mal, wusstest du eigentlich, dass die Deutsche Bank die heimliche Hausbank von Donald Trump ist?“

„Hä? Bist du jetzt völlig durchgeknallt? Nur weil der ‘ne Wahl gewonnen hat (schön blöd, wenn die Gegenseite kein Gespür hat für den Zeitgeist und die Wut im Lande!), siehst du nun überall schon Gespenster. Und außerdem dachte ich, in diesem blog gehe es um Europa oder täusche ich mich da?“

„Nein, ganz richtig. Europa ist das Thema – aber seit der Lehmann-Pleite (das ist jetzt fast schon zehn Jahre her! Kaum zu glauben, aber wahr!) müsste doch auch dem letzten Träumer klargeworden sein, dass die europäischen Banken genauso gezockt haben wie die da drüben. Lauter blitzgescheite und wahnsinnig lernfähige Bürschchen in dunklen Anzügen und gegelten Haaren entdeckten plötzlich ihre Liebe zum Libor und anderen faulen Darlehensdeals.“

„Komm, schon gut – ich sehe, du hast voll den Überblick – schon gut. Erzähl mir einfach deine kleine Geschichte von der Deutschen Bank, der armen!“

„Mach ich, gerne.“

„Aber bitte die Kurzfassung für Schulabbrecher, ja!“

„Mein Gott, jetzt sei doch nicht gleich so dünnhäutig. Freu dich einfach auf eine scheinbare Robin-Hood-Story, die keine ist!“

„Die Anspielung verstehe ich jetzt zwar überhaupt nicht, aber fang einfach mal an!“

„Dicker Fisch, sozusagen – oder Fisch stinkt vom Kopf her…“

„Mensch, bist du eine Plaudertasche. Deine schlüpfrigen Redewendungen kannst du dir übers Bett hängen; komm einfach mal zur Sache!“

„Ok. Die knallharte oberste Türsteherin des amerikanischen Justizministeriums – Lady Gnadenlos, Loretta Lynch – ihr Name ist Programm – will von der Deutschen Bank so um die 14 Milliarden Dollar Strafgeld haben.“

(am Stammtisch würde jetzt jemand genüsslich raunen –  ‘ne richtig scharfe Hündin – und sich einen schlabbrigen Schluck aus seinem vollen Glas reinziehen)

„Geschieht denen ganz recht! Zocker gehören ins Casino und nicht in eine Bank der Bürger!“

„So, jetzt aber bitte keine Vorverurteilungen! Die verhandeln nämlich noch. Vielleicht geht es ja auch ein bisschen bescheidener – so 6 oder 7 Milliarden…“

„Du, da kommt mir ein völlig abwegiger Gedanke: Wäre es nicht besser, die Deutsche Bank verschöbe den Straf-Deal auf Februar 2017?“

„Warum denn das? Weil dann bei uns Karneval ist?“

„Du nimmst mich wohl nicht ernst, meinst, nur du habest den glasklaren Durchblick. Hör dir einfach mal an, was für ein Wunder der Deutschen Bank geschehen könnte – dass dann ja auch den Erhalt von Arbeitsplätzen in den hiesigen Filialen zur Folge haben könnte.“

„Aha, hier spricht der Börsenspezialist!“

„Halt den Mund, mein Lieber! Ab Januar 2017 ist die Lynch-Dame Geschichte. Ein neuer Mann wird dann das Sagen im amerikanischen Justizministerium haben (von Trumpens Gnaden…! So wie Stephen Bannon, über den sollten wir auch noch mal reden) – Frauen sind zum Grapschen da – …“

„Jetzt werde aber mal nicht unverschämt, wir begeben uns sonst auf das Niveau unterhalb der Gürtellinie. Wir wollen doch professionell an die Sache herangehen oder?“

„Schön. Meinetwegen. Jedenfalls könnte dieser neue Mann der Deutschen Bank in der Endphase der Verhandlungen ordentlich entgegenkommen; man will ja zeigen, dass ein neuer Wind weht, 2017. Im Kleingedruckten könnte unter ferner liefen darauf hingewiesen werden, dass es sinnvoll wäre, wenn die Gegenseite dem klammen Klienten in Washington ebenfalls ordentlich entgegenkommen würde – z.B. mit einem Schuldenschnitt oder so…). Und die EU bekäme grünes Licht, mit dem IWF langfristige Vereinbarungen mit Griechenland zu treffen…“

„Langsam, langsam, langsam. Ich staune nicht schlecht. Ich habe dich völlig unterschätzt.“

„Siehste, unter Blinden ist der Einäugige König.“

„Das verstehe ich zwar nicht, klingt aber ganz hübsch.“

„Was ich eigentlich sagen wollte, ist folgendes: Warum sollte ein amerikanischer Geschäftsmann und eine deutsche Bank nicht weiter die Methoden anwenden, die ihnen bisher auch immer geholfen haben, aus dem Schlamassel herauszukommen, ohne selbst die Rechnung bezahlen zu müssen? Warum? Europa hat doch schon so viel von Amerika gelernt, besonders in Sachen wunderbare Geldvermehrung und Steuerverbergung.“

„Genau – da kann ich nur sagen: Kum-Kum…?“

„Hä?“

„Das klären wir im nächsten Gespräch. OK?“

„KUM-KUM – klingt richtig spannend!“

„Die weitsichtige Europa würde sofort von ihrem Stier steigen und nach Hause schwimmen vor Abscheu und Ekel…Verraten und verkauft, würde man sie raunen hören, verraten und verkauft.“