14 Mai

Europa – Meditation # 145

Die alten Geschichten, immer wieder neu…auch in Europa

Für die jüngere Vergangenheit haben wir es schön im Gedächtnis verpackt:

Die Römer – die Parther – zwei Großmächte im Clinch.

Das Römische Reich – tausend Jahre hat es gedauert. Für uns fast schon zwei tausend Jahre her.

Die Inkas – die Majas – zwei große Mächte – längst von der Natur verschluckt. Vor fast tausend Jahren war das – nach unserer selbstgestrickten Zeitrechnung.

Auch ein Empire machte sich dick – mit vielen Armen, wie eine Riesenkrake – und bereicherte sich lange ganz ordentlich – global.

Der Westen – der Osten – zwei Machtblöcke mit einem furcht- erregenden Overkill-Potential. Über Nacht in Luft aufgelöst. In der Schule, am Tisch zu Hause, in Literatur und Film wurden wir Westeuropäer in strammem Antikommunismus erzogen (plötzlich waren die Kriegsgegner wieder dicke Freunde) und auf der anderen Seite des von Churchill sogenannten Eisernen Vorhangs wurden die Völker in strammem Antikapitalismus getrimmt. Auch da wurde Freundschaft amtlich verordnet.

Das war gestern.

Und heute? (Was ist von alledem in den Köpfen geblieben?)

Heute sind die Europäer – wie Phoenix in die Asche – zum Zaungast verkommen. Die großen sind die gleichen Verdächtigen von gestern: Chinesen und Amerikaner.

Wie einfach sind diese Bilder doch, wie schlicht, wie schwarz und weiß!

Aber wir scheinen sie zu mögen; tagaus, tagein bebildern sie uns die Nachrichten-Portale und für jeden Block gibt es auch ein ordentliches Gesicht dazu. Der grinsende Chinese und der röhrende Amerikaner. Als wären wir im Zoo!

Dabei geht es doch um Sein oder um Nicht Sein! Man will sich bereichern, übervorteilen, Märkte sichern, erobern, kontrollieren.

Und in dem kurzen Augenblick dazwischen zappeln die Europäer hin und her, als stünde eine große Zirkusnummer bevor. Jetzt dürfen sie auch mal wieder wählen gehen. Plakate posaunen Werbesprüche in die Welt, doch wer steht hier für was und zu welchem Zwecke?

Europäer in der Zirkuskuppel völlig ratlos.

Am besten einfach die Musik laut aufdrehen, grillen gehen, einen drauf machen und ein bisschen Vogel-Strauss-Gymnastik. Wird schon werden, irgendwie.Instagram hilft bestimmt. Die da oben machen ja sowieso, was sie wollen. Stimmt‘s?

Wenn wir wieder einen heißen Sommer bekommen, werden auch wieder mehr Sonnenschirme, Sonnencreme und Klimaanlagen gebraucht werden.

Und wir sind wieder voll beschäftigt mit dem nächsten Ablenkungsmanöver. Nur nicht bange machen…!

05 Mai

Europa – Meditation # 144

Monophonie statt Polyphonie!

Wie von Zauberhand herbeigeholt stimmen alle wieder den Kanon zum scheinbar alten Lied an: Es ist die beste aller Welten, in der wir leben. Es gibt keine Alternative. Wer andres sagt, ist entweder dumm oder vom Teufel besessen oder beides zugleich.

Ein schlichtes Denkmuster. Seit knapp dreihundert Jährchen wirtschaften die Europäer nach dem eigentümlichen Prinzip des Satzes: Wer Reichtum anhäuft, ist nicht nur erfolgreich und angesehen, nein, er ist auch in Einklang mit dem Willen des christlichen Gottes, der den Erfolgreichen schon auf Erden auszeichnet – als Gewissheit für seine spätere Glückseligkeit an der Seite eben dieses Gottes.

Und so heißt die schlichte Botschaft heutzutage: Mehr zu verbrauchen, als man braucht, ist die natürliche Betätigung des Menschen. Wachstum – wie in der Natur eben auch. Wer könnte dem widersprechen?

Würde das ein Vertreter einer anderen Glaubensgemeinschaft herausposaunen, so wäre er gleich als Phantast, als Fundamentalist, als gefährlicher Demagoge abgestempelt. Klar.

Aber als eigenes europäisches Weltbild ist es „natürlich“ nicht nur richtig, sondern darüberhinaus auch vorbildlich für die ganze Welt gewesen.

Wenn in diesen Tagen nun junge Leute plötzlich den Verzicht oder gar das Teilen als Alternative anzubieten wagen, dann können das nur irregeleitete Weltverbesserer sein, die man kopfschüttelnd bedauern muss: Ihr braucht eben noch ein paar Jahre, bis auch ihr verstanden habt, dass Europa den Stein des Weisen doch längst gefunden hat mit seinem kompromisslosen Bereicherungsgedanken.

Ist das nicht ein altvertrautes Muster?

Den Andersdenkenden einfach in die Ecke des Verlierers, des Kopfkranken zu drängen – wo er dann am Pranger lauthals und unerbittlich beschimpft werden kann? Lautstark, unisono, eine Kakophonie, die, weil fast alle mitsingen, einfach richtig sein muss, so schrill sie auch in den eigenen Ohren klingen mag.

Aber – und das ist der Hoffnungsschimmer am düsteren Horizont – leise und ohne viel Trara scheren immer mehr aus aus diesem chorus katastrophicus: sie erinnern sich einfach daran, dass sie – wie die Ameise und das Rotkehlchen – nichts anderes sind, als kleine, vergängliche Wesen im unendlichen Wogen der Natur. Und stimmen ein in den hymnischen Gesang eines unwiderbringlichen Augenblicks: Jetzt. Eigentum kommt darin gar nicht erst vor. Einfühlsames Gestalten von gemeinsamem Leben aber sehr wohl. Polyphon eben.

27 Apr

Europa – Meditation # 143

Die Eisenstraße war einmal…

Wir Europäer leben schon sehr lange auf einer eisernen Straße. Zu Lande und zu Wasser. Wenig weich und schon gar nicht seiden. Auf ihr haben wir jahrhundertelang Menschen und Sachen transportiert, die uns ziemlich nützlich waren. Paläste, Herrenhäuser noch und noch. Den Schaden oder das Nachsehen hatten immer die anderen. Das Schöne daran war aber auch, dass man sie in ihrem Leid nicht sehen konnte, musste. Zu weit weg eben.

Aber auf vielen Seetraßen – gefährlich und bald überfüllt – flossen uns Europäern die Früchte in jedem Sinne ins Haus – mal so, mal so, aber immer gewinnbringend.

So ließ sich die Botschaft der Französischen Revolution wunderbar zuhause vermarkten und in Übersee vergessen. Und unsere Brüder und Schwestern, die daheim nicht mehr genug zu essen hatten, schickten wir auch gleich hinterher. Drüben waren sie dann clever genug, für sich weiter die Freiheit zu sichern und für die anderen sie ausschließende Ausnahmen zu erfinden.

Gut, vor Gott im Himmel würden wir dann alle wieder gleich sein, aber hier unten, da gab es sehr wohl existentielle Unterschiede unter den Menschen – alle scheinbar von dem unsichtbaren Gott geschaffen, sich die Welt untertan zu machen. So jedenfalls stand und steht es in alten Texten, die vor langer, langer Zeit alte Männer ersannen, um im Chaos der Wirklichkeit und der allzu üppigen Natur so etwas wie eine gottgewollte Ordnung zu schaffen.

Das Eisen diente eben nicht nur der Landwirtschaft beim Pflügen, nein, es diente auch als Ketten für den Pranger, um die Ungehorsamen zu strafen. Die Gottgefälligen konnten ja ihre Häuser vorzeigen als Beweis, dass Gott sie vorbestimmt hatte für die ewige Glückseligkeit – später. Hier galt es aber, das Eisen zu schmieden, so lange es heiß war.

Das konnten die Europäer ganz gut. Sie nannten es Fortschritt und später dann Entwicklungshilfe. Man ist ja kein Unmensch.

Der Glaube der christlichen Europäer ist inzwischen abhanden gekommen, die Folgen der Missionierung der Welt allerdings nicht. Und im Okzident scheint keiner zu verstehen, was die Stunde geschlagen hat. Man will nur noch konsumieren und unterhalten werden, sonst nichts. Die Geschichte dahinter kennt kaum noch jemand. Oder?

Nach den aufgezwungenen Verträge, die China am Verhandlungstisch der Europäer und Amerikaner im 19. Jahrhundert unterschreiben musste – im Hafen ankerten riesige Kanonenboote, die offenkundig signalisierten, wer wem hier die Feder führte – und den üblen Opiumkriegen danach, dreht sich nun das Karussell anders herum. Aus den verschreckten Lehrlingen sind selbstbewusste Meister geworden, die nun auf leisen Sohlen und in seidenen Socken den Spieß herumdrehen und den Europäern zeigen, in welche Richtung in Zukunft die Gewinne fließen werden.

Man findet das ganz und gar nicht in Ordnung, man protestiert, man lamentiert. Aber diesmal sitzt am Verhandlungstisch ein schmunzelnder Chinese, der keine Kanonenboote braucht, um sich durchzusetzen. Er hat seine Lektion gelernt und bittet höflich und dezent zur Kasse. Paläste, Herrenhäuser noch und noch werden in Zukunft im Reich der aufgehenden Sonne gebaut werden. Vielleicht können die Europäer da ja noch hier und da als beflissene Dienstleister gebraucht werden…wenn’s hoch kommt…