30 Aug

Europa – Meditation # 158

Ach ja – die guten Demokraten in Europa!

Man ist entsetzt, empört, wähnt gar die Demokratie am Abgrund, weil der britische Premier von verfassungsmäßigen Möglichkeiten Gebrauch macht, die den Gegnern natürlich nicht gefallen. Aber muss man dann gleich in Worttiraden verfallen, die zwar heroisch klingen – wir verteidigen die Demokratie gegen das Böse – aber kaum in der Sache BREXIT weiterhelfen werden?

Auch hier in Mitteleuropa stimmt man mit ein in den Chor der „Demokratie-Hüter“. Wieder wird also mit dem Mittel der Angst gearbeitet, begibt sich im Grunde damit aber auf genau die Ebene, die der politische Gegner so eiskalt bedient: Möglichst in Dauerschleife das eigene Tun preisen als letzte und damit radikale Lösung in einem Chaos, wo auf der anderen Seite bloß Versager oder Seilschaftsbrüderschaften das Sagen haben. Wenn ER jetzt nicht unerbittlich und radikal die „Sache“ durchficht, geht der günstige historische Augenblick ungenutzt vorüber und Wirtschaft und Gesellschaft versinken in Korruption und Niedergang. Gremien und Repräsentanten spielen in solch einer Notsituation einfach keine Hauptrolle mehr, sie müssen pausieren. So einfach ist das, sagt ER. Letztlich dient ER damit sogar dem Volk mehr als die gewählten Vertreter im Parlament. Es ist jetzt die Stunde der Exekutive. Punkt. Und die Zeit drängt, sagt ER!

Auch hier in Mitteleuropa gab es vor gar nicht so langer Zeit einen Konflikt, in dem die selbsternannten „Demokratiehüter“ aus Zeitnot heraus den verfassungsmäßigen Gremien einfach keine Zeit für lange Grundsatzdebatten lassen durften, weil Gefahr im Verzuge war, sagten SIE. Die Wiedervereinigung müsse schnell über die Bühne gehen, man dürfe den günstigen historischen Augenblick nicht ungenutzt verstreichen lassen. Und schon griff man zum Artikel 23 GG und zog die „Wir sind das Volk“-Bewegung über den Tisch des parlamentarischen Hauses.

Aus heutiger Sicht zeigt sich nur zu deutlich, dass diese überhastete Übernahme zu langfristigen Kollateralschäden führte, die immer noch fort wirken. Und die damals über den Tisch gezogen wurden, können heute nur zynisch lächeln, wenn sie die gleichen Leute heute gegen Boris Johnson zu Felde ziehen sehen: Parlament und Verfassung müssen geschützt werden gegen diesen Machtmenschen.

Sie haben zwar recht, aber sie sind Pharisäer, die besser vor der eigenen Tür kehren sollten, als die Vorgänge auf der Insel zu ihren eigenen zu machen.

Oder?

Denn hier in Mitteleuropa eiert die Frage, warum die Wiedervereinigung einfach nicht gelingen will, immer nur um die anderen herum und nicht um den entscheidenden Punkt: DAS GANZE VOLK hätte mitreden müssen, es hätte eine Nationalversammlung geben müssen, die verfassungsmäßig möglich war. Aber davor hatten die BRD-Demokraten wohl zuviel ANGST!

Es wäre endlich an der Zeit, diese alte, immer noch offene Wunde im „Volkskörper“ zu heilen zu versuchen und aufzuhören den eitlen Pontius PIlatus zu spielen…und endlich zu beweisen, dass die Herrschaft des Volkes in den Händen von Demokraten liegt, die sich nicht von Besitzängsten, sondern vom ALLGEMEINEN WILLEN leiten lassen.

14 Aug

Europa – Meditation # 157

Die kleinen und die großen Vorbilder in Europa

Längst haben die Bilder die Macht übernommen. Texte sind jetzt nur noch wie Fußnoten, Ablenkungsmuster für Langweiler, Einzelgänger oder Besserwisser, also Leute, die noch nicht mitbekommen haben, wo der Hammer hängt.

Und die Abfolge der Bilder hat an Tempo ziemlich zugenommen. So bleibt auch keine Zeit mehr, Bilder auf ihre Echtheit oder Bearbeitung zu untersuchen. Müßig sowieso, denn der Gier nach Bildern ist deren Entstehen einerlei, sowieso.

Mondlandung, fürstliche Eheschließungen, drei Stühle, drei Frauen, drei Aufgaben: Verteidigungsministerin auf Probe, Kommissionspräsidentin in spe und Kanzlerin vor dem Ausstieg – das macht Männern Spaß, da mal so richtig Häme auszuschütten. Denn jenseits der Bilder wüten dann die Gefühle, die sie blitzschnell erzeugen: Neid, Wut, Zorn, Schadenfreude, Missgunst…

Europa – das Bild von der gewaltsam entführten und vergewaltigten Prinzessin aus dem Libanon kennen sicher nicht so viele in Europa – wird daneben aber in zahllosen Varianten ins aktuelle Bild gesetzt:

Als ein Kontinent, der seine eigenen Geschichten vergessen hat,

als eine Landmasse, die immer mehr an Bedeutung zu verlieren scheint,

als ein Staatengebilde, das seine eigenen Errungenschaften genussvoll zu ruinieren scheint,

als ein Fleckenteppich, der eine faszinierende Vielfalt an regionalen Besonderheiten aufzuweisen hat,

als ein Machtfaktor, der in der Welt mehr und mehr seine Möglichkeiten leichtfertig zu verspielen scheint.

Und die Betroffenen – landauf, landab? Die wenden sich mehr und mehr kopfschüttelnd ab, weil die gewählten Vertreter mit ihren Parteiprogrammen immer weniger zu überzeugen verstehen.

Es ist mal wieder die Zeit der Rattenfänger in Europa – in Polen, in Ungarn, in Italien, in Griechenland, in England, in Deutschland. Die vielen (sie nennen sich gerne „die das Gefühl haben, vom Kuchen zu wenig abzubekommen und unter Vormundschaft solcher Rattenfänger nach den Schuldigen suchen, die auch schnell gefunden sind: Die Eliten, die Fremden, die Medien ) – diese vielen bringt das System Neoliberalismus massenweise hervor, in dem die Reichen immer reicher werden und die anderen immer weniger haben für Miete, den Alltag, die Altersvorsorge.

Wir Europäer müssen also gar nicht nach Übersee schauen, wir können schön vor der eigenen Tür kehren, da wachsen die Müllberge – die ideologischen genauso wie die aus Plastik – nachhaltig weiter. Und wenn dann auch noch so ein Teenager vorlaut den gekränkten Zeitgenossen die Leviten lesen will, dann sollte man endlich mit Schuldzuweisungen einhalten und bei sich selbst anfangen. Jeder Europäer ist gefordert, jeder kann in seinem Kiez und in seiner Region mithelfen beim…

06 Aug

Europa – Meditation # 156

Moment mal, Europa! Auf ein Wort, nur!

Woher kommen wir eigentlich, wir Europäer?

Aus einer kleinen Truppe von Jägern und Sammlern – sagen wir mal so etwa 170 Leute ungefähr – die meinten, sie müssten sesshaft werden und sprechen lernen. Man war fruchtbar und mehrte sich fleißig. Im Kopf tanzten ihnen ihre Ängste unglaubliche Bilder an die Schädeldecke. Die mussten bekämpft und besiegt werden.

Wurden sie aber nicht. Sie wurden bloß eingehegt in den labyrinthischen Gängen ihrer Gehirne. Vorübergehend. Manchmal. Mit sprechenden Bildern.

Schnell erfinden sie sich mächtige Überväter, die sie Götter nennen, einfach so. Mächtige Bilder, Angst erzeugend. Eins davon ist das Bild der Europa, der weitsichtigen, die von einem Gott betrogen wird, um sie zu beherrschen.

Dann geht das eine Weile so. Sie lernen schnell und nachhaltig, die Europäer. Irgendwann sind sie die Überväter satt und begnügen sich mit sich selbst: Das Individuum ist der neue Gott. Und der will allen mal so richtig zeigen, was er so drauf hat: Messen, messen, messen. Scheinbar lässt sich ja alles in Zahlen ordnen und beherrschen, dachten sie gerne. Jenseits von Sprache und Gefühl. Das Fremde ist jetzt nur noch das noch nicht Vermessene. Also alles nur noch eine Frage der Zeit.

Die Europäer machen sich – hilfsbereit wie sie nun einmal sind – auf, den restlichen Artgenossen davon nicht nur zu erzählen, sondern es ihnen auch zu verkaufen, wenn nötig auch mit Gewalt. Die waren oft in einem ganz anderen Bilderwald unterwegs als die Europäer. Das nennen die Europäer einfach mal Rückständigkeit. So fühlen sie sich gleich als Erwecker, Befreier, Erlöser.

Wo sind wir denn jetzt, wir Europäer?

Am Ende mit unserem Latein, könnte man etwas schnoddrig sagen. Aber es ist zu offensichtlich, dass die ehemals frohe Botschaft Europas längst ihre Strahlkraft in der Welt nachhaltig verloren hat. Monströse Kriege, monströse Waffen, monströse Massaker, monströser Kahlschlag von Kultur und Natur über Jahrzehnte hin. Jetzt gehen uns nicht nur die Argumente aus, nein, uns geht auch der Sand in der Sanduhr der Species in schnellem Sturz dem Ende entgegen. Und anstatt das befreiende „Halt“ in die Welt zu rufen, holen wir angstbesetzt wie eh und je – wie ein kleiner dickköpfiger Zauberer – den weißen Hasen aus dem roten Tuch und rufen beglückt: „Anthropozän! Wir sind jetzt sogar die Macher einer ganz neuen erdgeschichtlichen Epoche! Anthropozän!“ So sollen wohl alle vergnügt feste feiernd mit in den gemeinsamen Abgrund gerissen werden, nicht als Höllenfahrt, nein, als Auferstehung aus langem Albtraumschlaf.

Und wo soll die Reisen hingehen, liebe Europäer?

Falls uns das große Chaos-Programm nicht schon längst aufs Abstellgleis der ausgespielten Spiele verschoben hat – wir haben es nur noch nicht bemerkt – wären da noch ungenutzte Varianten wie dienstbereite Pflege der Vielfalt der Wesen auf diesem Planenten, Pflege der naturgegebenen Pflanzen und Abstand von blindwütigem Mehr Haben Wollen, Mehr Sein Wollen und Mehr Verbrauchen Wollen. Und Schluss mit Messen um des Messens willen! Es wäre eine überwältigend schöne Erleichterung des Lebens und Sterbens, es wäre geradezu eine Befreiung aus den alten Ängsten und Zwängen, denen wir in unseren unergründlichen Gehirnen schon so lange das Sagen überlassen haben…