10 Jan

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 90

Die drei göttlichen Brüder laufen Amok

Zeus, Poseidon und Hades haben es heute sehr eilig: sie wollen nicht nur den Krieg von Europas Vater Agenor nachhaltig beeinflussen, nein, sie wollen auch die drei Brüder Europas, Kadmos, Phoinix und Kilix, auf der Insel der Schaumgeborenen in die richtige Spur bringen und auch dem wildwütigen Triumphirat Woltónos, Thortys und Nemetos auf Kreta ordentlich in die Karten spielen – und das alles an einem Tag! Kein Problem für solch olympische  Götter wie sie!

Agenor, Europas Vater und König im fernen Phönizien, hat eben den breiten Fluss – so etwas hat er noch nie gesehen – in einer Furt mit seiner Streitmacht durchwatet. Nun stehen sie in der Mittagshitze am anderen Ufer und fühlen sich schon wie Sieger. Da melden sich drei Hirten. Sie wollen dem König helfen, die Assyrer mit ihrem neuen König zu besiegen. Sie kennen Schleichwege.

Nun, woher soll ich wissen, dass ihr nicht Spione des Gegners seid, ihr drei?“, fragt Agenor, der breitbeinig und geschient unter einem Sonnensegel sitzt. Dabei wirft er einen kurzen Blick zu seinem Reitergeneral Abressonios: kluge Frage oder? Der nickt, obwohl er gar nicht weiß, was dieser Blick des Königs sollte. Die drei Hirten – Poseidon, Hades und Zeus – verneigen sich ehrerbietig bis zum Boden und warten, bis Agenor huldvoll sagt:

Schon gut, schon gut, erhebt euch wieder und antwortet auf meine Frage!“

Großer König“, beginnen die drei im Chor, „wir sind Nomaden und huldigen keinem König. Ihr könnt uns also vertrauen.“

Agenor ist mit dieser Antwort sehr zufrieden und dass sie im Chor sprechen, kommt ihm auch nicht komisch vor.

Gut, gut. Dann legt mal los!“

Die drei verkleideten Hirten lassen sich nicht lange bitten und fahren dann so fort:

König Ufroras – eben erst auf dem Thron und noch sehr jung – weiß, dass ihr in sein Land eingefallen seid. Er ist gekränkt, weil ihr statt mit eurer Tochter Europa mit einem Heer in sein Land reist. Er will euch bei der Oasenstadt Melweli in einen Hinterhalt locken und vernichten.“

Agenor ist sprachlos. Was hat er nur für ein Glück! Weil er nun weiß, was Ufroras vorhat, wird er dem Hinterhalt einfach zuvorkommen und siegreich in Assur einziehen und mit unermesslichen Schätzen zurückkehren. Er bewirtet und beschenkt die drei Hirten reichlich und bricht sofort mit seinem kleinen Herr auf, um noch vor Einbruch der Dunkelheit Melweli zu erreichen.

Die drei Hirten machen sich aus dem Staub, lachen und lachen und sind schon unterwegs zu ihrem nächsten Eingriff in den Gang der Dinge – alles kluge Pläne, um Europa zu vernichten. Ihr Siegeszug scheint unaufhaltsam. Zeus mit geschwellter Brust:

Brüder, wenn wir weiter so leichtes Spiel mit den Menschen haben, werden wir spätestens zu diesem ominösen Tanzfest auf Kreta die dickköpfige und stolze Frau zu Fall bringen“.

Seine beiden Brüder schmunzeln nur. Sie freuen sich, dass ihr Bruder endlich wieder besser gelaunt ist. Ihre Zweifel halten sie lieber für sich. Soll er nur mal machen. Sie sind dabei.

So, und jetzt auf zur Insel der schaumgeborenen Göttin!“.

20 Dez

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 89

Die drei göttlichen Brüder fassen einen rabenschwarzen Plan

Die drei göttlichen Brüder – Zeus, Poseidon und Hades – können es noch gar nicht fassen: Gerade hat die Hohepriesterin in der hohen Halle des Minos von Kreta eine Botschaft ausgesprochen, die so gar nicht in das Weltbild der drei alten Herren passt. Sie sind zwar zur Zeit in anderer Gestalt unterwegs – wer schaut schon drei krächzenden Raben hinterher? – aber ihr Unwille ist nicht zu überhören, so laut schallt ihr Geschrei durch die enge Felsenbucht, in der sie eben torkelnd gelandet waren.

Bruder, da müssen wir aber sofort gegensteuern oder?“

Hades schüttelt seinen Rabenkopf und schubst dabei den Bruder ordentlich gegen den Fels.

Hey, was soll das? Dumme Frage – natürlich werden wir dieser Priesterin eins auswischen, dass sie wünscht, niemals diese Sätze gesagt zu haben, klar!“

Aber Zeus fällt einfach nichts ein. Außer Wut kreist gerade nichts durch seinen Rabenkopf.

Und wie soll denn nun dein zweiter Streich aussehen, Bruder?“ fragt Poseidon. Er vermeidet es natürlich, die große Göttin und deren Botschaft zu nennen, schließlich ist die ja längst aus dem Olymp verbannt, untergetaucht, tot geschwiegen, diese Verräterin.

Die drei ist und bleibt die siegreiche Zahl bei uns oben genauso wie hier unten bei den dummen Sterblichen. Drei von ihnen – was für ein Zufall, stimmt‘s? – sind gerade auf dem Kriegspfad, die brauchen sicher dringend Unterstützung…“

Hä? Meinst du etwa diesen Woltónos und die beiden Versager, Németos und Thortys?“ fragt beiläufig Poseidon.

Zeus nickt. Genau. Die meint er. Und jetzt kommt ihm auch die rettende Idee für den zweiten Streich:

Hört mal, ihr zwei! Wir geben den dreien jetzt göttliches Geleit – rabenschwarz“ – die drei Brüder krächzen heftig, so toll finden sie den Witz, den Zeus da gerade losgelassen hat – „und werden denen verraten, dass diese Priesterin und ihre neue Freundin – ihr wisst ja schon, wen ich meine – unterwegs vom Gerichtssaal zu ihrem Tempel leider verunglücken.“

Und an was hast du da so gedacht?“ fragt Hades ratlos.

Später, später“, bricht Zeus das Gekreische ab, „wir müssen den drei Helden entgegenfliegen, unterwegs erzähl ich euch dann, wie die das machen sollen. Einverstanden?“

Hades und Poseidon bleibt nichts anderes übrig, als zu nicken. Das Getue ihres Bruders nervt sie rabig, richtig rabig. Aber was sollen sie machen?

11 Nov

Europa – Neuer Mythos # 87

Das göttliche Urteil

Es ist leichenstill im Saal. Alle hängen an den Lippen des Angeklagten. Sardonios, der Herr der Namen und Zahlen, der Sicherheit und der Hofhaltung, atmet tief durch die Nase ein. Der Minos von Kreta starrt ihn böse an. Nun mach endlich, scheint seine Miene zu schreien. Auch er hält den Atem an. Seine Hände umfassen energisch die Anklageschrift. Zerdrückt raschelt sie zwischen seinen weiß glänzenden Fingerknochen. Da fährt ein anschwellender Luftzug durch die hohe Halle: Drei große, große Raben stürzen sich gerade von oben in die Tiefe. Erschrecktes Zucken der Zuhörer, als jetzt die drei düsteren Vögel auch noch zu kreischen beginnen. In einem furchtlosen Tiefflug umkreisen sie zweimal den Minos, dann wieder tonlos, aber heftig flatternd nach oben. Und weg.

Was war das? Furcht fährt den Menschen durch die erstarrten Glieder. Den meisten der alten Ratsherren gehen ähnliche Gedanken blitzartig durch den Kopf: Klar, das ist ein eindeutiges Zeichen der alten Götter. Sie missbilligen, was Archaikos gerade inszeniert. Klar. Insgeheim sehen sie bereits Sardonios als den neuen Minos. Dabei nicken sie sich unmerklich zu. Die Hohepriesterin und Europa erinnern sich daran, dass auch im Tempel neulich drei Raben ein störendes Theater veranstalteten. Auch sie nicken sich zu: Sie schmunzeln, sie ahnen, wer die Störenfriede wohl sind. Sardonios, der gerade die entscheidende Frage beantworten wollte, ist erleichtert. Die Verwirrung im Saal nutzt er für eine lange Pause. Vielleicht sollte er doch alles leugnen. Nur Archaikos, der Minos von Kreta, deutet diese befremdliche Flugszene selbstverständlich für sich: Die große Göttin schickt mir eine klare Botschaft. Ich bin auf dem richtigen Weg. Sardonios muss weg. Danke, Göttin, danke. Er sendet noch ein Stoßgebet hinterher. Danke.

Nun, wir warten auf deine Antwort, Sardonios“, sagt Archaikos bedrohlich leise in die aufgeregte Stimmung hinein. Dabei schaut er schmunzelnd in die Runde, um vor allem dem Rat der Alten deutlich zu machen: Haltet euch zurück, der Minos steht in vollem Saft.

Die beiden waren in meinem Auftrag unterwegs, ja“, antwortet Sardonios mit gebrochener Stimme. Er weiß, was dieser Satz für Folgen haben wird. Aber er will niemandem in der hohen Halle die Genugtuung gönnen, ihn schwach, ängstlich, feige zu sehen. Niemandem. Dieser fremden Frau, Europa, die ja an allem schuld ist, am wenigsten; ihr schickt er einen verächtlichen Blick hinüber.

Und waren sie bewaffnet?“ legt Archaikos noch einmal nach.

Ja, sie waren bewaffnet, sie sollten diese Frau“ – dabei zeigt er mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Europa – „aus dem Weg räumen, weil sie dich verzaubert hat, diese Giftmischerin!“

Entsetztes Raunen füllt den Raum, alle Blicke sind auf Europa gerichtet. Archaikos – trotz seiner Siegerlaune – wird leichenblass im Gesicht. Da meldet sich ungefragt Chandaraissa, die Hohepriesterin zu Wort.