27 Apr

Europa – Mythos # 79

Eine unheimliche Erscheinung mitten in der Nacht.

Zeus schläft sehr unruhig auf seinem Nachtlager. Er ist völlig allein auf dem Olymp. Die Familie ist zu Feierlichkeiten unterwegs. Es plagen ihn Albträume. Er schreckt schweißgebadet hoch. „Hera!“ ruft er ängstlich, „Hera, wo bist du denn?“ Da wird ihm erst klar, dass ja alle unterwegs sind. Nun gut, denkt der Göttervater beleidigt, was ihr könnt, kann ich schon lange. Denn gerade geht ihm wieder eine seiner genialen Ideen durch den Kopf. Er wollte doch die zwei Flüchtlinge für sich und seine Pläne gewinnen, um Europa so bald wie möglich, so schlimm wie nötig zu bestrafen. Genau. Ächzend wälzt er sich aus seinem Vlies, schnallt sich seine Flugsandalen an (die natürlich tausendmal besser sind als die von Hermes!) und eilt auf dem kürzesten Weg in den Westen der Insel Kreta, wo diese Europa ihn so schmählich hat sitzen lassen – in der Höhle neulich.

Krumm an einen Felsbrocken gelehnt schnarchen Nemetos und Thortys vor sich hin. Wunderschöner Sternenhimmel über ihnen, ein fahler Mond beleuchtet spärlich die Schläfer. Zeus schaut sie sich genau an: Zerschundene Hände, nackte Füße mit dicker Hornhaut, wirres Haar, in stinkende Stofflappen gehüllt und dicke Bäuche haben sie natürlich auch. Wie er selbst, stellt er grinsend fest, wie er selbst. Und wie stell ich das jetzt am besten an? Zeus wundert sich mal wieder über sich selbst. Er hat doch schon eine Idee.

Als erster schreckt Nemetos aus dem Tiefschlaf. Kracht mit dem Hinterkopf gegen den Fels, als er abhauen will. Das schmerzt sehr. Mehr aber schmerzt noch der Anblick direkt vor ihm: bläuliche Lichtschlangen steigen da auf und nieder, verschlingen sich ineinander, lösen sich wieder und fließen lautlos und blendend um einen weißen Riesenhirsch, der ihn finster anstarrt. Nemetos zittert heftig, seine linke Hand wandert zuckend zu seinem immer noch schnarchenden Kumpel hinüber. Der wacht grunzend auf und will gerade losbrüllen, weil Nemetos ihn aus dem Schlaf gerissen hat, als auch er sieht, was Nemetos sieht. Der Schrei bleibt ihm im Halse stecken. Das muss er träumen, denkt er sich, das kann nicht wahr sein. Aber schon werden beide eines besseren belehrt.

Der weiße Riesenhirsch starrt sie nicht nur weiter an – das riesige Geweih auf seinem Kopf schwankt dabei drohend hin und her- sondern er fängt an, röchelnde Töne von sich zu geben. Dabei läuft ihm der Geifer die Lefzen herunter. Jetzt macht er auch noch einen Schritt auf sie zu. Den beiden ist klar, dass ihr letztes Stündchen gekommen ist. Kreidebleich warten sie auf ihr eigenes gewaltsames Ende und auf den Angriff des Ungeheuers. Der Mond spiegelt sich milchig in seinen wässrigen Augen. Und das Lichtschlangenschauspiel will auch nicht enden. Nebelschwaden schweben drum herum. Außer dem grunzenden Röcheln ist nichts zu hören. Dann beginnt das Biest auch noch leise, sehr leise zu flüstern.

26 Mrz

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 78

Auf der Flucht vor Menschen und Göttern

Nemetos hastet über Stock und Stein, hechelnd hinterher sein Freund aus guten Tagen, Thortys. Die Angst steckt beiden in den Knochen. Die untergehende Sonne scheint sie von Westen her rot und hämisch zu begrüßen. Kommt nur, ihr zwei Schlaumeier, in Hesperien werdet ihre goldene Äpfel finden. In ihren Ohren klingt es wie purer Hohn. Ob sie jemals so weit kommen werden? Und nur nicht umdrehen! Der Herr der Zahlen und Namen hat bestimmt schon erfahren, wie jämmerlich sie versagt haben. Sicher schickt er schon seine Häscher los, sicher.

Jetzt lass dich nicht so hängen, wir müssen schneller machen!“ ruft Nemetos keuschend nach hinten. Thortys im Wechselbad von Wut, Angst und Selbstbetrügereien hält dagegen:

Weißt du denn überhaupt, wie wir da hin kommen, zu deinem Schafonkel?“

Nemetos traut seinen Ohren nicht. Macht der Witze, will der wieder alles besser wissen? Ob sie einen brauchbaren Schlafplatz finden werden?

Oben im Olymp sitzt Zeus, der zornige Obergott, alleine auf seinem Flies und legt sich gedankenschwer neue Rachepläne zurecht. Denn seine Idee, zum Frühlingsfest die Tanzfeier der Priesterinnen zu stören, um Europa doch noch so richtig zu schaden – dieser undankbaren Prinzessin – scheint ihm immer wieder als zu schwach, als zu wenig vernichtend, wenn auch seine zwei Brüder lauthals zugestimmt hatten. Hatten sie das überhaupt? Zeus hat es schon vergessen. Ist ja auch egal. Als er jetzt die beiden erfolglosen Attentäter über das Hochland seiner Lieblingsinsel laufen sieht, kommen ihm gleich neue Ideen für einen vielleicht erfolgreicheren Plan, Europa aus dem Weg zu räumen und alle Frauen für immer zu bestrafen für diese Kränkung, die ihm von Europa angetan wurde: Warum nicht diese beiden Angsthasen dazu benutzen? Gute Idee, denkt Zeus, selbstzufrieden. Sollte er seine Brüder miteinbeziehen? Da erlöst ihn ein gnädiger Mittagsschlaf von seinen quälenden Gedanken. Und schon echot sein Schnarchen durch den hellhörigen Olymp.

Keine Höhle, nirgends. Zu blöd aber auch. Nemetos und Thortys sind nicht nur müde vom Laufen, sie haben auch Hunger. Schließlich geben sie die Suche nach einem sicheren Schlafplatz auf, legen sich einfach hinter einen klobigen Felsbrocken und schlafen sofort ein.

Im Palast hat sich Sardonios, der Herr der Zahlen und Namen, auch schon einen feinen Plan ausgedacht, wie der zufällige Unfall seiner beiden Gefolgsleute, Nemetos und Thortys, bewerkstelligt werden könnte. Ihre beiden Frauen, Sarsa und Belursa, wird er als Werkzeuge benutzen. So wird niemals auch nur der leiseste Verdacht auf ihn zurückfallen können. Jetzt wartet er auf die beiden Priesterinnen, um sie in seinen Mordplan einzubauen. Die Ahnungslosen. Sardonios strotzt wieder vor Selbstvertrauen. Und wieder steigt ihm seine Macht zu Kopfe. Ein berauschendes Gefühl. Ein Genuss, lustvoll ohne Ende.

17 Jan

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 75

Zwei Machtmenschen vor dem Abgrund

Sardonius schlendert vergnügt nach seiner Besprechung mit Thortys und Nemetos Richtung Palast. Die beiden werden endlich dieser Europa ein ganz plötzliches Ende bereiten. Er grinst genüsslich. Schade, dass er den Anschlag nicht miterleben kann. Wirklich schade. Um aber seine Unschuld zu beweisen, will er gleichzeitig um eine Audienz beim Minos von Kreta nachsuchen. Der Gedanke kommt ihm ganz überraschend. Er findet: Wirklich, ein richtig kluger Gedanke. Jetzt muss er zufrieden schmunzeln. Auf dem Weg zum Palast verbeugen sich die kleinen Leute ehrfürchtig und ängstlich vor ihm. Das ist ihm noch ein zusätzlicher Genuss. Gönnerisch winkt er den demütigen zu, sich wieder aufzurichten. Er ist bester Laune. Schließlich festigt sich gerade durch einen Mord, den böse Buben sinnloserweise verüben, seine Machtstellung im Palast. Er wird die Täter umgehend hinrichten lassen. Archaikos bleibt dann gar nichts anderes übrig, als ihm, dem Hüter der Zahlen und Namen, weiter zu vertrauen.

Am Tor angekommen, schickt er gleich einen der Wächter los, Minos anzukündigen, dass Sardonius um eine Audienz ersucht. Sofort. So lange setzt er sich im Schatten der hohen Mauer im ersten Innenhof auf eine kühle Bank, um sich noch einmal in aller Ruhe jedes Wort zu überlegen, dass er bei der Audienz sagen will. Sein Puls geht schneller und schneller. Es darf jetzt nichts mehr dazwischen kommen. Vielleicht ist Europa schon tot.

Sardonius? Jetzt? Was will er?“ Archaikos ist ziemlich ungehalten über das, was der Wächter da gerade vorträgt. Er will nämlich gerade einen Spaziergang zum Tempel der großen Göttin machen. Europa geht ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Aus dem Blut. Seine Fragen klingen schroff und zornig.

Er sagt, es sei wichtig und dulde keinen Aufschub.“ Der Wächter verneigt sich und hofft, dass der Minos nicht ihm die Schuld gibt. Er ist doch nur der Bote. Archaikos schwankt einen Augenblick. Dann nickt er.

Geh, er soll sich beeilen!“ Blitzschnell macht sich der Wächter aus dem Staube. Glück gehabt, denkt er im Davonlaufen, Glück gehabt.

Wenig später öffnen die beiden Türsteher das Tor zur Audienzhalle und Sardonius tritt mit ernster Miene herein, geht in die Knie, wartet auf das Zeichen sich wieder zu erheben und sieht, wie der Minos tief durchatmet, bevor er loslegt: „Nun, was kann das sein, das zu dieser Stunde eine Audienz bei mir erfordert, Sardonius?“

Sardonius spürt, dass das Gespräch nicht nach Plan verlaufen könnte. Er macht ein besorgtes Gesicht, verbeugt sich erneut und sagt dann etwas, was er gar nicht geplant hatte:

Herr, meine Horchposten bringen zur Zeit besorgniserregende Botschaften ins Haus. Es braut sich etwas zusammen…“ Doch bevor er weitersprechen kann, fährt ihm Archaikos schroff dazwischen: „“Es braut sich, es braut sich…Es, es! Wenn du keine Namen hast, verschone mich mit so etwas!“