09 Juli

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 64

 

Das Geständnis des Trasopas

Ein Dämon auf dem Meer?“ fragt Chandaraissa und hilft dem Fischer Trasopas wieder auf die Beine.

Ja, er hat sogar mit mir gesprochen: Ich sollte vom Fang etwas zum Tempel bringen, als Opfergabe sozusagen, hat er gesagt.“ Thiala, seine Frau nickt.

Hier im Korb hatten wir die Fische gehabt, aber die Katzen haben sie uns gerade eben erst gestohlen.“

So, so, die Katzen.“ Chandaraissa ist sprachlos. In Europa steigt eine unbändige Wut hoch, als sie das hört. Der Fremde in der Höhle, ER, er muss es gewesen sein. ER will ihr ans Leben. Alle starren auf die toten Katzen, Fliegen surren über dem Erbrochenen.

Todesangst in den Augen des Fischers und seiner Frau. Aber die Hohepriesterin schickt sie gnädig heim. Auch die Tänzerinnen, denen das Lachen gründlich vergangen ist und die nicht verstehen, was da gerade geschehen ist, schickt Chandaraissa mit einer Geste weg. Zurück bleiben nur Europa und die beiden toten Katzen. Und die Fliegen. Es werden immer mehr. Die Katzenaugen scheinen milchig leer und blind in den Fliegenfreudentanz zu stieren.

Wir werden den Platz mit geweihtem Wasser reinigen müssen, damit der Fluch des Dämons nicht weiter wirken kann“, flüstert Chandaraissa.

Komm, gehen wir hinein und beten zu unserer großen Göttin. Sie hat uns beschützt, gerettet“, fügt Europa leise hinzu.

Chandaraissa legt behutsam ihren Arm um die Schulter ihrer Freundin und so gehen sie langsam ins Tempelinnere.

Drinnen beten sie lange. Dazu hatten sie sich flach auf die kühlen Steine gelegt. Oben in den kleinen runden Fenstern flattern leise wie immer die vergnügten Elstern.

Ob sie beobachtet werden von dem todbringenden Dämon? Sie wissen es nicht. Aber sie sind beide fest entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen und weiter im Dienste der Göttin zu leben und zu wirken. Komme, was wolle.

12 Mai

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 61

Zeus versucht mit einem neuen Anschlag Europa zu vernichten

Trasopas, der alte Fischer, sitzt in seinem schaukelnden Boot und blinzelt ins Leere. Bisher kein einziger Fisch an der Angel, auch im Netz kein Meerleben. Nichts. Mein Alte wird wieder meckern. Und die Abgaben an den Minos von Kreta wollen auch noch gefischt werden. Ob es das Durcheinander im Palast ist, das ihm Unglück bringt? Trasopas wird Thiala sagen, dass er es im Traum genau gesehen hat: Archaikos treibt es mit einer fremden Frau, die Hohepriesterin auch. Da müssen die Götter doch Unheil als Strafe schicken. Aber warum trifft es gerade mich? Jetzt meint er über dem Wasser im Geflimmer jemanden gehen zu sehen. Winkt er ihm? Wer ist das? Trasopas reibt sich die Augen. Aber der Mann kommt einfach immer näher. Jetzt glaubt er sogar, ihn schon zu hören. Er scheint zu grinsen, als er gönnerisch säuselt: „Läuft wohl gerade nicht so gut, stimmt‘s?“ Erschrocken nickt Trasopas. Das Grinsen wird breiter. Die Sonne blendet unerbittlich, das Schaukeln schläfert ihn fast ein. Trotzdem spitzt er seine Ohren: „Ich könnte dir unter die Arme greifen – einmal mit einem Netz voller Fische und mit guter Laune deiner Thiala. Wär das was?“ Trasopas läuft es eiskalt den Rücken herunter. Woher kennt der meine Frau, was will der von mir? Die Antwort kommt ihm vor wie ein kühlender Regen: „Deine Sorgen hast du wirklich zu Unrecht. Diese Fremde, die ist an allem schuld. Sie tut ganz Kreta nicht gut.“ Trasopas ist es, als wäre es ein vertraute Stimme, die da so eindringlich auf ihn einredet. Recht hat er. Der Schweiß läuft ihm in vielen Rinnsalen am Körper herunter. Mit den Händen hält er krampfhaft die Angel. Er blinzelt weiter übers Wasser. Weiß nicht, was er sagen soll. Thiala wird ihm kein Wort glauben, kein Wort. Da ist er sich ganz sicher. „Die Fremde, über die alle gerade reden, lästern und fluchen, wohnt bei der Hohenpriesterin. Bring ihr von deinen Fischen – so als Geschenk. Ich werde dafür sorgen, dass sie ihr nicht bekommen.“

Trasopas schluckt verängstigt. Was geht hier vor, was soll er tun? Aber während er grübelt, sieht er sich das Netz erneut ins Meer werfen. Von dem Mann auf dem Wasser kein Flimmern mehr. Nichts zu sehen, nichts zu hören. War wohl Einbildung. Ein bleiernes Gefühl legt sich ihm langsam auf den dicken Bauch. Was für ein Blödsinn auch, denkt er. Die Hitze.

Später – sein Boot schaukelt immer noch lustlos auf den flachen Wellen hin und her – zieht er missmutig das Netz wieder hoch. Er weiß, es wird leer sein. Was sonst? So nimmt er auch nicht wahr, dass ihm das Herausziehen schwerer fällt. Das Boot neigt sich gefährlich zur Seite. Dann zieht er den Fang über Bord.

Als er später im kleinen Hafenbecken anlegt, hat er sich bereits an den Anblick des Unglaublichen gewöhnt. Also doch keine Einbildung das Ganze?

 

04 Apr.

E u r o p a – Fortsetzung der alten Geschichte # 60

Zwei liebende Frauen – im Gebet vereint vor ihrer Göttin

Chandaraissa sieht es ihr an: Europa ist nicht nur schwanger, sie ist auch glücklich. Wie sie jetzt im großen Tempel der Göttin gemeinsam beten, spüren beide die Nähe der anderen wie eine wohltuende Kraft und wie vertraute Wärme. Obwohl sie sich erst seit kurzem kennen, scheinen ihnen ihre Leben miteinander verwoben wie in einem weichen, seidenen Teppich, der mit seiner bunten Vielfalt an Pflanzen und Tieren den Betrachter wie in einem Rausch der Farben und Formen versinken lässt.

Dank Sagen. Das ist es, was ihre Gebete ausmacht. Dank sagen. Die Fülle des Lebens ein Geschenk der Göttin an sie beide. Worte versiegen. Bilder feiern farbenfrohe Feste in ihrer Phantasie dabei.

Europa durchlebt noch einmal die letzten Stunden mit dem Minos von Kreta: Er hat ihr sein Wort gegeben. Und sie fühlt voller Vertrauen, dass er es halten wird. Ihre leidenschaftliche Vereinigung eben ließ sie aus allem Kleinen, Schweren davon fliegen. Als wären sie Freunde der Elstern, die doch so treu ihre Göttin überallhin begleiten. Und es ist kein Traum. Nein. Es ist wahr. Überdeutlich hört sie gerade das Flattern der Vögel über sich im Gewölbe des Tempels. Es scheint ihr wie lebensfrohes Lachen zu klingen, wie übermütiges Kichern. Da fängt sie selber an zu kichern.

Chandaraissa wundert sich.

Europa, was ist los mit dir? Etwas mehr Respekt vor der Göttin, bitte!“ flüstert sie zu ihr hinüber. Fast steckt Europas Kichern sie selbst mit an, aber sie reißt sich zusammen. Es macht ihr Spaß, die Freundin zu necken.

Oh, Chandaraissa, liebste Freundin, ich löse mich fast auf vor Freude. Ich kann nicht mehr an mich halten. Die Göttin wird es mir verzeihen. Oder?“

Für einen Augenblick hält die völlige Stille in der riesigen Halle beide gefangen. Dann müssen sie beide lachen. Längst sind sie aus ihrer Gebetshaltung heraus geglitten, haben sich an den Händen gefasst und umarmt.

Was für ein Bild! Die Schönheit der beiden Frauen verschmilzt in einer Figur der Freude, der Dankbarkeit und Sinnlichkeit. Wer wird sich so viel Kraft entgegen setzen können? Zeus? Wie denn das?