06 Dez

Europa – Meditation # 122

War da nicht was?

Und wieder nehmen uns die Medien gerne mit in den nächsten Bilderirrwald, wir kommen kaum nach mit Umblättern und Brille putzen.

Gestern:

Die drei Kandidaten wurden gepriesen als neue Repräsentanten gelebter, volksnaher Parteiendemokratie. Scheinbar roch es nach echter Erneuerung. Die Konsumenten der Mediendemokratie konnten endlich wieder genüsslich durchatmen: Wir erwachen gewissermaßen aus einem allzu langen Alptraum der ermüdenden Alternativlosigkeit, innen- wie außenpolitisch. Einfach wunderbar!

Heute:

Sorry – Fehlanzeige. Wir stecken doch immer noch im alten Anzug: Männer möchten Geschichte machen, Frauen sollen endlich aufhören zu meinen, sie könnten es viel besser. Alte Männerrechnungen werden jetzt beglichen, als blühte uns ein lustvolles Morgenrot. Schmierentheater. Ein gewisser Herr Schäuble aalt sich in der Mentoren-Rolle und der Altmaier hält mit Eleganz dagegen. Sturm im Wasserglas. Bitter, bitter.

Dass im Nachbarland gerade landunter herrscht, ist doch nur ein weiteres Indiz dafür, dass endlich Schluss sein muss mit Aussitzen, Abwarten, Austarieren bis zum Geht-Nicht-Mehr. Statt Inhalte weiter bloß Reportagen zu Seilschaften, Abstürzen, Aufstiegen – der Wasserstand im Rhein und in den Talsperren ist dagegen so etwas wie Peanuts. Wer sagte das doch einst mit den peanuts? Schwamm drüber. Auf zu neuen Machtrangeleien, die hohen Pensionen sind ja allemal gut gesichert – gepolstert mit gut platziertem Aktienpaket…

Was wir jetzt brauchen ist Entschlossenheit, Rückgrat, Anstand oder so ähnlich werden dann die Gewinner säuseln.

Morgen:

Wenn dann der auf jung machende Mann, der den Rentnern vorschlägt, parallel zur Rente in Aktien zu machen, endlich aufs Schild gehoben sein wird, was wird sich dann ändern?

Die Medien- und Parteiendemokratie wird sich genüsslich mit der Ohrfeige für die Kanzlerin beschäftigen, ein gewisser Herr Seehofer wird sich als Mediator anbieten und ein längst vergessener Maßen wird ein Bahn brechendes Buch über die Unterwanderung des Rechtsstaats schreiben lassen. Mit anderen Worten: „gute“ Unterhaltung ist weiter sichergestellt! Ablenkungsmanöver pur.

Und wieder waren es nur Worthülsen, leere Versprechungen, alte vergorene Weine in neuen Schläuchen, sonst nichts – nach dem Parteitag der Christdemokraten in Hamburg. Denn die Schere wird weiter auseianderklaffen zwischen denen im oberen Segment und denen im überquillenden Papierkorb unten. Der Zorn der gelben Westen sollte das doch wirklich deutlich werden lassen.

Und Europa?

Europa?

Stimmt. Nach Macron und Merkel ist vor – ja vor was denn? Auch da werden uns die Medien bald wieder einen unterhaltsamen Schlagabtausch vorführen. Diesmal vielleicht zwischen Varoufakis und Barley. Hä? Wer ist das denn?

27 Aug

Europa – Meditation # 109 Monte Scherbolino II

Monte Scherbolino II

Im Frühling 1945 blühten nicht nur üppig die Kirschen und Äpfel im alt gewordenen Europa, sondern es türmten sich auch gewaltig die Trümmer in Europa und Asien in noch nie dagewesenem Maße auf. Wie sollte man zu einem friedlichen Zusammenleben in Europa zurückkehren können? „Nie wieder Krieg!“ tönte es verängstigt mancherorten. Vielerorten wurde das Grauen, das sich unter all den Trümmern und Gräbern verbarg, in schöne Sprachbilder notdürftig verpackt und verniedlicht: Monte Scherbolino zum Beispiel.

So fanden die ersten Gastarbeiter aus Italien tatsächlich ein Wort im sperrigen Deutsch vor, das zumindest von der Sprachmelodie her an die eigene erinnerte – Monte Scherbolino. Niedlich. Oder?

Sonst war einfach nur Wiederaufbau angesagt.

Und die, die noch vor kurzem die erbittersten Feinde waren, fluteten das Land mit enormen Krediten für diesen Wiederaufbau. Auch verordneten sie den Besiegten ein neues politisches System: Eine repräsentative Demokratie, in denen wenige große Parteien das Sagen haben sollten. Fünf-Prozent-Klausel usw.

Das ist jetzt mehr als siebzig Jahre her. Und wieder scheint sich ein Trümmerhaufen zu erheben. Was für Trümmer denn?

Gut, die WM ging rasant den Bach runter, aber Export-Weltmeister sind wir nach wie vor – und dieses Jahr schon wieder. Wer redet da von Trümmern?

Fangen wir einfach mal an mit den Parteien (auch von den Kirchen wird noch die Rede sein müssen!)!

Fast ungebremster Mitgliederschwund – besonders bei den ehemals ganz großen Parteien! Das Zittern vor den kommenden Landtagswahlen ist fast körperlich zu spüren. Woran könnte es liegen, dass kein Verlass mehr ist auf den Wähler – wie früher? Das Wahlvolk mutiert mehr und mehr zu launigen Schmollern und trotzigen Verweigerern?

Die „Wolke“ scheint der neue Marktplatz der Eitelkeiten und Informationen zu werden, auf dem man sich anonym treffen kann, rumhört und dann aus der hohlen Hand eine schnelle Entscheidung trifft.

Parteiprogramme, lange Rede sind nur noch etwas für die Tonne. Und all das häuft sich dann auf dem neuen Müllberg – dem Monte Biliebicato.

Kurz und knackig, möglichst provokant und witzig auch sollte der politische Slogan sein – dann gibt es eine Chance auf Aufmerksamkeit. Morgen schon wieder vergessen. Und unter dem Monte Scherbolino II – alias Monte Biliebicato – modern nun die leeren Versprechungen der politischen Parteien vor sich hin. Schwamm drüber. Der Bürger aber bildet sich sein Urteil selber in kleinem Kreise. Kritisch, solidarisch trifft er mit seinesgleichen seine Entscheidungen für seine Kommune – und die Parteien können sehen, wo sie bleiben.

03 Jul

Europa – Meditation # 105 Heimat-Text Nr. 22

Gerade noch sprachlos. Wirklich. Man schien betroffen.

Aber kaum wieder zuhause, da beginnen die geduldigen Quellen der Schuldzuweisungen wieder munter zu sprudeln. Und der Betrachter wundert sich gar nicht. Denn ihm ist klar, dass Werbevetrräge und andere lukrative Vereinbarungen stärker wirken als sinnvolle Konsequenzen nach einem allzu lange gepflegten Selbstbetrug: Wir sind die Besten und werden es auch bleiben!

Das ist die sportliche Ebene.

Und die politische?

Da war man in keiner Phase auch nur ansatzweise sprachlos, gedankenversunken. Nein. Es wurde tagelang behäbig ein Pass nach dem anderen quer gestellt.

Auch hier dämmert dem Betrachter, dass es nicht primär um die Sache geht – die war schon vor mehr als zwei Jahren auf dem Tisch des Hauses präsentiert worden – sondern um Image-Pflege, um Zank wie im Kindergarten, wo kleine Kinder große Töne spucken.

Nur scheinen es jetzt große Kindsköpfe zu sein, die lauter Misstöne und Kleingeistiges von sich geben.

Und was sollen wir davon halten?

Die einen sprechen wortreich von sogenannten Kollateralschäden – ein Ausdruck, der im Irak-Krieg medial tüchtig eingeübt wurde und inzwischen zum Wortschatz jedes Besserwissers gehört und natürlich auch bei diesem Privatkrieg von den zwei ungleichen Schwestern ordentlich bemüht wurde.

Die anderen dagegen sprechen von unabsehbaren Folgeschäden für das Auslaufmodell Parteiendemokratie. Aber auch die Medien bekommen ihr Fett weg: Muss man denn wirklich jeden Rülpser besichtigen und on-line stellen? Stundenlang Warteschleifen dokumentieren? Ist das die Aufgabe der vierten Gewalt in der Demokratie?

Pausenlos Berichterstattung, sich im Kreise drehend – wie die Kontrahenten – und keinerlei Erkenntniszuwachs.

Bespiegeln sich auf der politischen Bühnen also alle nur noch selber?

Dieser Eiindruck scheint sich zu verfestigen – mit all seinen Folgen für das Urteil des Volkes über seine Vertreter: Unwürdig, kleinkariert, und kein bisschen mehr am Allgemeinwohl orientiert. Die Rechnung wird ganz sicher auf dem Fuße folgen: Das Parteien-Modell hat ausgedient.

Summa:

Nicht nur der Widespruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Fußball hat den Betrachter auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, nein, auch im politischen Spiel fühlt sich der Souverän verraten und verkauft.

Ende der Durchsage.

Nun bricht eine gute Zeit an.

Denn der Zeitgenosse muss sich nichts mehr vorbeten lassen, muss keine alten Muster bedienen, er kann sich endlich wieder auf sich und seinesgleichen beschränken, die Dinge selbst in die Hand nehmen, gesellig Probleme auf den Tisch des Hauses legen, gemeinsam darüber streiten – ohne die Parteien-Blasen-Filter-Sprache – um sich dann verbindlich die Hand zu geben: Es gilt, was wir vereinbart haben. Punkt.

Fangen wir an.

Wir arbeiten viel, wir haben viel erwirtschaftet, wir können viel teilen. Wir können es selber machen. Und Vielfalt der Stimmen kann nur dazu beitragen, die Zustimmung der meisten zu sichern.

Es geht los mit den Kindertagesstätten und endet mit den Pflegeheimen.

Die Politiker können derweil ja einen längeren Kurs in Achtsamkeit und Empathie belegen. Ist ja wohl sehr nötig.