Europa – Verraten und verkauft? (Meditation # 29)
Europa – verraten und verkauft?
Wenn man mit solch einer Überschrift im Medienwald hausieren geht, darf man sich nicht wundern, dass falsche Freunde einem auf Schritt und Tritt folgen. Denn als Subtext blubbert eine ganz schön üble Brühe dabei mit: „Wer verrät uns da, wer bereichert sich da auf unserem Rücken?“ Misstrauen ist angesagt, Verteidigungsbereitschaft – also eher kriegerische Töne derer, die sich zusammenrotten wollen um zu retten, was noch zu retten ist. Bis zur Panikmache ist es da gar nicht mehr weit. Ein ungutes Angstgefühl wird gleichzeitig gepflegt, das man glaubt am ehesten los zu werden, wenn man gegen einen gemeinsamen Feind zu Felde zieht. Wo ist er denn? Und gleich wird es noch beängstigender: Denn dem Feind begegnet man in diesen Tagen nicht in offener Schlacht. Es ist fast wie damals in Vietnam, als man den Gegner auch nie zu Gesicht bekam, aber stets von ihm umlauert war. Bis man plötzlich ohne Vorwarnung tot war. Und dann noch die vielen Flüchtlinge! Es gilt, gleich an mehreren Fronten zu kämpfen, sagen einträchtig die falschen Freunde und klopfen sich gegenseitig auf die Schultern. Muss man nur noch abnicken, weiter nichts. Alles klar?
Europa wird in die Enge getrieben. Ist doch überdeutlich oder? Wirtschaftlich sollen wir stranguliert werden mit diesem ominösen TTIP, die Kosten für die Fremden steigen und steigen und jetzt überlegt auch noch England, aus der EU auszutreten. Per Referendum. Am 23. Juni. Und nun stoßen auch die Wortkünstler zur Truppe der Verdrossenen: „…Würden die Briten die Gemeinschaft verlassen, ginge dieser nicht nur Wirtschaftskraft und Skurrilität verloren – nein, es fehlte ein wichtiges Stück Kultur in der EU…“
Klingt doch ganz einleuchtend oder? Es fehlte ein wichtiges Stück Kultur. Soso. Als würde die Insel der Briten davonschwimmen. Tut sie aber nicht. Wir könnten sie weiter besuchen, müssten weiter den Euro in Pfund tauschen und staunten von neuem über herrliche Landschaften, köstliche Biersorten und farbenprächtige Folklore in Wales, in Schottland, in England. Wie unglaublich anders sind doch diese Inseleuropäer! Wie wohltuend fremd und doch auch wieder verwandt! Und diese unglaubliche Geschichte, die sie über sich und ihr Land erzählen können!Was wäre denn dann eigentlich verloren? Gar nichts. Höchstens ein Fettring am feisten Bauch der Brüsseler buerocratia. Wir hätten also sogar noch etwas gewonnen. Denn von Verlust reden nur die Börse, die Konzerne und die Lobbyisten, denen die verunsicherten Politiker nach dem Mund reden, schließlich geht es um deren Job und Pensionen. Und die Briten selber? Wie unglaublich anders sind doch diese Kontinentaleuropäer! Wie wohltuend fremd und doch auch wieder verwandt! Die freuen sich, wenn sie verwandte Folklore in der Bretagne erleben, wenn sie die Trachten im bayrischen Wald bestaunen oder die bizarren Felsformationen in der sächsichen Schweiz. Und was diese verschiedenen Länder für verschiedene Geschichten haben! All das hat mit EU nichts zu tun, wohl aber mit Heimat, regionalen Traditionen und lokaler Geschichte. EU? Es gibt wirklich Wichtigeres im Leben der Völker in Europa und Schöneres – die Pflege der eigenen Geschichte und Sprache, der Nachbarschaftshilfe, des Jugendaustausches. Dem gegenüber ist der Popanz EURO, vor dem alle ihren Kotau machen sollen, ein Nebelkerzenkonzert: Windig, unerbittlich, wie eine Dampfwalze alles platt machend, was sich ihm in den Weg stellt. Es reicht.
Haben die beiden Weltkriege nicht schon genug an Kulturgütern, Stadtlandschaften und Menschenleben zerstört? Müssen die Europäer jetzt eilfertig noch nachlegen, um dem amerikanischen Konsum-Ego-Unendlich-Bereicherungs-Konzept blindlings nachzueifern und dabei alles eigene, historisch gewachsene über Bord zu werfen, ganze Jahrgänge von Jugendlichen auswegslos in die Arbeitslosigkeit zu verdammen und auf Roboter, Automation und prekäre Verhältnisse zu setzen? Sind wir nicht schon längst in dieser Zukunft angekommen, wenn auf diesem Globus 62 Menschen soviel besitzen wie die Hälfte der gesamten Weltbevölkerung?
Die Europäer wären verraten und verkauft, setzten sie einzig und allein auf dieses trojanische Pferd „Wachstumssteigerung um jeden Preis“, wodurch die Vielfalt in Europa zunehmend niedergetrampelt und einplaniert würde.
Vor der Vielfalt müssen wir Europäer uns nicht fürchten, sie ist unser Pfund, mit dem wir aasen können, fürchten müssen wir uns nur vor denen, die uns das Fürchten lehren wollen, falls wir nicht weiter nach der Nivellierungspfeife tanzen sollten!