Europa – Verraten und verkauft (Meditation # 37)
Geht es auch ein bisschen konkreter?
Nach den eher allgemeinen Gedanken zu Geschichte und zum Selbstverständnis der Europäer in der letzten Meditation (# 36) ist der Ruf nach konkreten Beispielen nur zu verständlich. Und damit die Beispiele auch nicht zu groß und allgemein geraten, soll statt Angst Machen (denn das und nichts anderes hat ja die EU-Seite als Dauerbrenner auf der Platte) nun eine überschaubare Gruppe von Menschen vorgestellt werden, die sich sehr wohl als veritable Europäer verstanden wissen wollen, nicht aber als Befürworter des EU-Bürokratie-Monsters.
Sie haben keine Angst vor der Zukunft, sie haben ihr Schicksal selbst in die Hand genommen.
Sie wohnen mehr oder weniger mitten in Europa.
Sie sind etwas weniger als fünfzig Haushalte mit einer Agrargenossenschaft und zwei Gewerbegebieten.
Also schön überschaubar, man kennt sich, man hält zusammen und schaut sich auf die Finger.
Um Geld zu sparen, investiert jeder Haushalt 1500 Euro in eine autarke Energieversorgung, eine Investition, die spätestens in sieben Jahren amortisiert sein wird.
Also hat man auch ein eigenes Interesse an schwarzen Zahlen, nicht an Korruption.
Sie setzen auf regenerative Energien (Wind, Sonne und Biomasse) und Synergieeffekte, man schafft so neue Arbeitsplätze vor Ort und Aufträge für die ortsansässigen Handwerksbetriebe.
Man will sich nämlich unabhängig machen von den großen Energieanbietern.
Und es gelingt.
Man redet abends in den Kneipen über den Stand der Dinge, streitet engagiert über alternative Konzepte, einigt sich auf Kompromisse. Die positiven Veränderungen sind für jeden sichtbar, jeder hat seine Karten mit im Spiel, ja, auch sein Geld.
Längst hat man das Gefühl, sein Geld gut angelegt zu haben – vor Ort eben und nicht in Panama.
Und mit den Jahren wächst der Stolz, das Wir-Gefühl, die Gewissheit, dass es geht – ohne Angst Machen und ohne Bevormundung von irgendwelchen Gremien irgendwo.
So weit ein kleines Beispiel für einen großen Plan. Denn so oder so ähnlich können sich Haushalte zwischen hundert und fünfhundert überall in Europa gut koordinieren, kontrollieren und solidarisieren. (So etwas funktioniert auf dem Land genauso gut wie in der Stadt; da sind es dann eben selbständige Stadtteile) So bedarf es keiner langen Wege, denn Selbstverwaltung und Selbstversorgung funktionieren auf dem kleinen Dienstweg wie geschmiert. Für die verbleibenden überregionalen Themen sind immer noch genügend Raum und Koordinierungsnotwendigkeiten übrig, aber das Herzstück wäre eben die kleine überschaubare Lebenswelt von Familien und Nachbarn, die mit Hilfe direkter Demokratie ihre hausgemachten Probleme eben selber lösen. Sie pflegen so ein vielleicht positiveres Politikverständnis, weil sie sich nicht verraten und verkauft vorkommen müssen. Die Arbeitsteilung zwischen vielen kleinen Selbstverwaltungssystemen und wenigen großen Politikfeldern, die weiter über streng kontrollierte Vertreter erledigt werden müssen, könnte sicherstellen, dass sich die Ränder nicht verselbständigen, korrumpieren lassen und so größeren Schaden anrichten als Nutzen zu erzeugen.
Wer weiß, wer gemeint ist und wo diese Gemeinschaft von Menschen so erfolgreich ihren Lebensraum zu kontrollieren und zu gestalten versuchen? (Denn dieses Konzept gibt es wirklich, ist keine reine Kopfgeburt!)
Und könnten aus solchen oder ähnlichen Modellen nicht europaweit zahllose Netze von erfolgreichen Gemeinden entstehen, die übers Netz ihre Themen, Fragen, Erfolge und Probleme miteinander bereden? Und könnten sie nicht gerade aus den jeweiligen Besonderheiten – den geographischen, historischen und kulturellen – interessante Varianten entstehen lassen, die viel mehr Kreativität freisetzen würden als jede Vereinheitlichung mit ihren planierenden Nivellierungskonzepten?