18 Nov

Historischer Roman II Blatt 99 (Leseprobe)

Blatt 99      Rochwyn und Somythall belauschen ein Gespräch am Brunnen.

Der Schnee, der erst kürzlich gefallen war, schmilzt weg wie Butter in der Sonne. Kleine Rinnsale schlängeln sich durchs Unterholz, altes Laub glänzt schwach im späten Sonnenlicht, als die kleine Mönchsgruppe angeführt von ihrem Abt in Luxovium eintrifft. Niemand nimmt Notiz von ihnen. Die Leute in der ehemaligen römischen Therme haben wirklich andere Sorgen. Der Brotpreis ist wieder gestiegen, das Brennholz ist feucht, Kinder liegen mit Fieber in nasskalten Hütten, der fränkische König will schon wieder die Abgaben erhöhen und der Bischof lässt von der Kanzel den Zehnt erheben. Was soll da die Ankunft von irischen Mönchen schon bedeuten? Nichts anderes als noch mehr Esser im Ort. Fremde Esser eben.

Rochwyn, der treue Begleiter an Somythalls Seite, steht gerade mit ihr direkt gegenüber dem Eingang zur Kirche, wo sich die beiden Äbte treffen werden, als sie ungewollt Zeugen eines böswilligen Getuschels werden. Denn vor ihnen am Brunnen tun gerade zwei in dicke, verschmutzte Mäntel gehüllte Frauen so, als wären sie mit Wasser holen beschäftigt. In Wirklichkeit lästern sie laut über die Mönche, die seit Columbans Flucht vergeblich versuchen, einen intakten klösterlichen Alltag vorzuleben. Die eine hat die Hände vor dem Mund zu einer kleinen Höhle geformt, in die sie ihren warmen Atem pustet, die andere zieht am Brunnenseil. Langsam, ganz langsam, damit sie genügend Zeit zum Lästern haben.

Das sollen die neuen irischen Mönche sein“, kichert die eine höhnisch.

Mönche? Das sind bestimmt Hintermänner vom Bischof, die so tun als wären sie irische Mönche!“

Nee, guck sie dir doch mal genau an: die fallen doch gleich in den Schlamm, bevor sie die Treppe erreichen, so zittrig und mickrig stacksen sie da hinter ihrem Führerlein her.“

Die beiden können ihr schadenfrohes Lachen kaum mehr unterdrücken.

Hat Abt Bernardus nicht genug Sorgen? Seit der fromme Columban fliehen musste, geht doch kaum noch jemand zum Gebet. Oder?“

Stimmt. Ich kenne eine Reihe Leute – hinten am Waldrand, wo die warmen Dämpfe aus dem Boden schießen – die beten wieder zu Sol Invictus. Mein Mann will, dass ich da auch wieder hingehe. Kommst du mit?“

Weiß nicht. Schau mal, jetzt begrüßt sie der Abt, als wären es seine besten Freunde.“

Dieser Schauspieler. Lieber sollte sie der Teufel holen, denkt der bestimmt.“

Schau dir sein lächelndes Gesicht an! Ein Heuchler, ein Schwächling, ein Verräter am Erbe Columbans.“

Wie meinst du das?“ fragt die Frau am Brunnenseil, das sich kaum zwischen ihren Händen bewegt hat.

Der soll doch Columban beim König angeschwärzt haben, um selbst Abt werden zu können.“

Ehrlich? Woher weißt du das denn?“

Rochwyn staunt und staunt.

Hast du das gehört, Somythall?“

Ja, habe ich. Vielleicht war es dann auch gar keine ehrliche Gastfreundschaft, die Abt Bernardus so hilfsbereit uns gegenüber sein ließ. Vielleicht ist es pure Berechnung, um beim König gut Wetter zu machen.“

Rochwyn nickt. Ihm wird klar, dass sie sich nun vor zwei Äbten in Acht nehmen müssen. Denn beide scheinen ein verlogenes Spiel zu treiben.

Sehen wir zu, dass wir da nicht zwischen deren falsche Seilschaften geraten. Wir sollten wirklich so bald wie möglich weiter reisen, den Abt zu seinem Missionsgebiet bringen und dann wieder aufbrechen Richtung Irland.“

Ja. Aber vorher muss ich noch unser Kind zur Welt bringen. Oder?“

Rochwyn legt wärmend seinen Arm um Somythall. Unser Kind. Das klingt wie eine Zeile aus einer alten irischen Sage, denkt er dabei. Jetzt haben die Frauen am Brunnen die beiden bemerkt. Sofort hantieren sie kräftig am Brunnenseil, hieven den Bottich über die Kante und machen sich eilig davon. Sie wissen: hier in Luxovium kann man niemandem trauen. Waren das nicht auch zwei Fremde, der stolze Mann und die schwangere Frau?

17 Nov

Historischer Roman II Blatt 98 (Leseprobe)

Der fränkische König im Netz seiner Einflüsterer

Wie immer lässt er sie alle warten. Schlecht gelaunt und voller Misstrauen beäugen sich die Berater im Vorraum der Königshalle. Draußen ist es bitter kalt und es regnet. Tief hängende Wolke verdunkeln den Raum, trotz mehrerer Kerzen, die in kleinen Metallpfannen an den Wänden gespenstische Schatten werfen. Wilfrid, der Truchseß, will als letzter vorgelassen werden. Arnulf, der Bischof von Metz und des Königs engster Berater, schmunzelt voller Geringachtung vor sich hin. Bitte, bitte, denkt er insgeheim. Deine Tage an der Seite des Königs sind sowieso gezählt, du weißt es nur noch nicht. Im allgemeinen Geraune fällt immer wieder die Stimme des Hofmeisters Ernólfod auf, der hüstelnd und grummelnd seinen Unwillen zum Ausdruck bringt: Der König hat ihm nichts von dieser Audienz gesagt. Was bedeutet das? Ist er in Ungnade gefallen? Und was hat Arnulf da mit diesem Heißsporn neben sich zu bereden? Wer ist das überhaupt? Ernólfod fühlt sich sehr unwohl heute morgen. Auf seine Spitzel scheint kein Verlass mehr zu sein. Seine Augen springen hastig hin und her. Seine Ohren versuchen Gesprächsfetzen aufzuschnappen, aber das Gemurmel ist insgesamt einfach zu laut.

Endlich öffnet sich die schwere Eichentür. Vom offenen Kamin her fällt warmes Licht in den Vorraum. Das Geraune verstummt nach und nach. Des Königs alter Diener, Sarboval, schaut gelangweilt in die aufgeregte Runde und nennt den ersten Namen: „Der Knappe Pippin wird vom König erwartet.“ Dieser Name fährt allen wie ein tödlicher Pfeil ins Fleisch. Was hat das zu bedeuten? Pippin? Dieser Niemand aus der dritten Reihe, was hat der König mit dem vor? Arnulf hält den Atem an, gerade wollte er Pippin noch kluge Ratschläge geben, wie er das heruntergewirtschaftete Gut, das er ihm gerade kommendiert hat, wieder zum Blühen bringen könne, da lässt ihn dieses dünne Fähnchen im Wind einfach stehen und schreitet stolz an den alten Beratern des Königs vorbei in die Halle. Und schon schließt sich wieder die Tür.

Gleich setzt ein heftiges Gerede im Vorraum ein. Die Kerzen flackern, draußen scheint es sogar noch düsterer zu werden, zischend werden vernichtende Urteile über diesen Pippin herum gereicht. Plötzlich scheinen sich die zerstrittenen Berater alle einig zu sein: Wir müssen den König vor diesem Emporkömmling bewahren. Nicht nur hat Pippin ja vom König den Zuschlag bekommen, sich im Frühjahr um die Villa Marcellina zu kümmern, nein, auch der Bischof von Metz begünstigt ihn über die Maßen. Nur weil er die Mithras-Leute in Luxovium ins Jenseits befördert hat? Oder was steckt sonst dahinter?

Drinnen spricht unterdessen der König mit Pippin.

Luxovium, Villa Marcellina, des Bischofs marodes Gut: Es gefällt mir, wie du dem König zu dienen versuchst.“

Pippin verneigt sich tief, sein Herz klopft wie wild: „Mein König, ich kenne nichts anderes mehr, als dem Königshaus ergebenst zu dienen.“

05 Mai

Historischer Roman II YRRLANTH Blatt # 90

Das Lügennetz von Abt Benedikt

Seit ihrer Ankunft in Luxovium versucht Rochwyn herauszubekommen, wohin es seine Mönche samt Abt verschlagen hat, seit sie fluchtartig die Villa Marcellina verlassen mussten. Seine innere Stimme flüstert ihm dauernd zu, doch Abt Benedikt zu befragen. Den, denkt Rochwyn, diesen Feigling, der alles daran zu setzen scheint, mit dem fränkischen König und seinem Bischof klar zu kommen? Den? Immer den Bann gegen Columban vor Augen, der so plötzlich und endgültig seine drei Klausen hier in Luxovium verlassen musste.

Ich möchte mich für eure Hilfe bedanken“, beginnt Rochwyn honigsüß das Gespräch mit Benedikt.

Oh, Jesus, unser aller Vorbild, hat niemandem je seine Hilfe verweigert. Wir tun es ihm nach.“

Rochwyn schmunzelt. Dieser Heuchler. In Wirklichkeit schrillen in seinem Kopf die Alarmglocken: Was will dieser Ire von ihm, was führt er im Schilde? Gut, spielen wir noch eine Weile das Säuselspiel weiter. Nur zu.

Und wie geht es eurer Frau? Ist sie wohlauf?“

Ja, die Frauen im Badehaus kümmern sich liebevoll um sie. Somythall ist voller Zuversicht.“

Stille. Benedikt gehen die Themen aus. Rochwyn will ihn weiter zappeln lassen. Als die Stille zu unangenehm wird, beginnt Benedikt von neuem:

Wir sind seit dem Weggang unseres hochverehrten Columbans sehr in Sorge um die Mithrasgläubigen. Das furchtbare Gemetzel in ihrem unterirdischen Tempel neulich hat uns völlig erschüttert.“

Was für ein Themenwechsel, denkt Rochwyn. Dieser schlaue Fuchs: Flucht nach vorne, das nenne ich mutig. Denn eigentlich ist der Abt doch heilfroh, auf diese nun, leider etwas brutale Art, Irrgläubige loszuwerden. Für ihn ist das sicher das Eingreifen Gottes, der eben auch eine strenge Seite hat. So oder so ähnlich wird sich Benedikt das zurechtlegen.

Nun, auch wir waren entsetzt, das könnt ihr mir glauben, lieber Benedikt. Aber im Grunde habe ich um dieses Audienz gebeten, weil ich fragen wollte, ob ihr vielleicht etwas über den Verbleib der irischen Mönche wisst, die ich ja schützend zu ihrem Missionsort östlich des Rhenus führen sollte.“

Rochwyn hat Benedikt genau beobachtet bei seiner Rede und ihm ist nicht entgangen, wie ein leichtes Zucken über sein Gesicht huschte, als von den irischen Mönchen die Rede war.

Ach, das ist es. Äh, also, von irischen Mönchen – nun, damit meint ihr sicherlich nicht Columban und seine Mitbrüder – weiß ich leider gar nichts. Sonst hätte ich es euch ja auch schon längst mitgeteilt.“

Rochwyn ist sich völlig sicher, dass Benedikt lügt. Sein Gefühl hat ihn da noch nie im Stich gelassen. Er hat auch schon eine Idee, wie er den verlogenen Abt aus der Reserve locken könnte. Jetzt will er ihn aber zuerst einmal einfach zappeln lassen.