Europa – Meditation # 156
Moment mal, Europa! Auf ein Wort, nur!
Woher kommen wir eigentlich, wir Europäer?
Aus einer kleinen Truppe von Jägern und Sammlern – sagen wir mal so etwa 170 Leute ungefähr – die meinten, sie müssten sesshaft werden und sprechen lernen. Man war fruchtbar und mehrte sich fleißig. Im Kopf tanzten ihnen ihre Ängste unglaubliche Bilder an die Schädeldecke. Die mussten bekämpft und besiegt werden.
Wurden sie aber nicht. Sie wurden bloß eingehegt in den labyrinthischen Gängen ihrer Gehirne. Vorübergehend. Manchmal. Mit sprechenden Bildern.
Schnell erfinden sie sich mächtige Überväter, die sie Götter nennen, einfach so. Mächtige Bilder, Angst erzeugend. Eins davon ist das Bild der Europa, der weitsichtigen, die von einem Gott betrogen wird, um sie zu beherrschen.
Dann geht das eine Weile so. Sie lernen schnell und nachhaltig, die Europäer. Irgendwann sind sie die Überväter satt und begnügen sich mit sich selbst: Das Individuum ist der neue Gott. Und der will allen mal so richtig zeigen, was er so drauf hat: Messen, messen, messen. Scheinbar lässt sich ja alles in Zahlen ordnen und beherrschen, dachten sie gerne. Jenseits von Sprache und Gefühl. Das Fremde ist jetzt nur noch das noch nicht Vermessene. Also alles nur noch eine Frage der Zeit.
Die Europäer machen sich – hilfsbereit wie sie nun einmal sind – auf, den restlichen Artgenossen davon nicht nur zu erzählen, sondern es ihnen auch zu verkaufen, wenn nötig auch mit Gewalt. Die waren oft in einem ganz anderen Bilderwald unterwegs als die Europäer. Das nennen die Europäer einfach mal Rückständigkeit. So fühlen sie sich gleich als Erwecker, Befreier, Erlöser.
Wo sind wir denn jetzt, wir Europäer?
Am Ende mit unserem Latein, könnte man etwas schnoddrig sagen. Aber es ist zu offensichtlich, dass die ehemals frohe Botschaft Europas längst ihre Strahlkraft in der Welt nachhaltig verloren hat. Monströse Kriege, monströse Waffen, monströse Massaker, monströser Kahlschlag von Kultur und Natur über Jahrzehnte hin. Jetzt gehen uns nicht nur die Argumente aus, nein, uns geht auch der Sand in der Sanduhr der Species in schnellem Sturz dem Ende entgegen. Und anstatt das befreiende „Halt“ in die Welt zu rufen, holen wir angstbesetzt wie eh und je – wie ein kleiner dickköpfiger Zauberer – den weißen Hasen aus dem roten Tuch und rufen beglückt: „Anthropozän! Wir sind jetzt sogar die Macher einer ganz neuen erdgeschichtlichen Epoche! Anthropozän!“ So sollen wohl alle vergnügt feste feiernd mit in den gemeinsamen Abgrund gerissen werden, nicht als Höllenfahrt, nein, als Auferstehung aus langem Albtraumschlaf.
Und wo soll die Reisen hingehen, liebe Europäer?
Falls uns das große Chaos-Programm nicht schon längst aufs Abstellgleis der ausgespielten Spiele verschoben hat – wir haben es nur noch nicht bemerkt – wären da noch ungenutzte Varianten wie dienstbereite Pflege der Vielfalt der Wesen auf diesem Planenten, Pflege der naturgegebenen Pflanzen und Abstand von blindwütigem Mehr Haben Wollen, Mehr Sein Wollen und Mehr Verbrauchen Wollen. Und Schluss mit Messen um des Messens willen! Es wäre eine überwältigend schöne Erleichterung des Lebens und Sterbens, es wäre geradezu eine Befreiung aus den alten Ängsten und Zwängen, denen wir in unseren unergründlichen Gehirnen schon so lange das Sagen überlassen haben…