24 Okt

Blatt 157 – Historischer Roman II – YRRLANTH – Leseprobe

Die fast schon vergessene Botschaft vom Glück.

Schon liegt der rote Umhang Julianus auf dem kalten Marmorboden des Tempels. Diana schaut wohlgefällig auf die beiden Wesen. Noch bedrängen sie ängstlich bedrohliche Warnungen:

„Was tust du da, Julianus?“

„Was haben die Väter dir geboten?“

„Ist dir der Ruf der Senatorenfamilie nicht heilig?“

„Mit einer Barbarin dein Blut zu mischen?“

„Somythall! Tu es nicht! Er will nur seiner Lust nachgeben.“

„Wie eine Sklavin wirst du gehalten werden.“

„Dein Kind wird dir genommen werden.“

„Er wird dich bald schon fallen lassen, sicher.“

„Haben deine Eltern dir nicht befohlen…?“

Somythall lässt ihr Unterkleid zu Boden gleiten. Julianus Augen weiten sich. Heftig geht ihr Atem.

Weich liegt sie auf den groben Stoffen. Seine Zunge sucht sich ihren Weg zu ihr. Der Lockenkopf vermischt sich mit ihren Schamhaaren. Betörende Duftwolken verwirren ihm die Sinne. Wonnewellen überfluten sie von unten her. Wollüstige Seufzer wandern lachend zwischen stolzen Säulen auf und ab. Laut und leise, tief und hell. Schnell und schneller. Als ein wildes Zucken durch ihre Beine fährt, gleitet er in sie hinein. Langsam, tief und tiefer. Dann gibt es kein Halten mehr. Und all die Fragen, die eben noch herrisch durch sie hindurch kreischten, zerrinnen im Dunkel des Zauberhauses, in dem nun die große Göttin ihre fast schon vergessene Botschaft vom Glück in ihnen verströmen lässt. Sie löscht alle Sorgen, alle Ängste, alle Vorbehalte. Was bleibt, sind ihre pulsierenden Körper, die in schönem Rhythmus miteinander tanzen, beben, schwanken. Wie Tiere. Alles Schwere in ihren Köpfen ist wie weggeblasen. Vergessen sind die eingeübten Bedenken, verflogen die warnenden Ängste. Wörterberge, die wie Lawinen über sie sonst herfielen, zerbröseln zu kümmerlichen Körnchen sinnloser Laute. Die beiden Körper sprechen nun in einer ihnen fremd gewordenen Sprache miteinander. Umarmen sich in grenzenlosen Girlanden wohliger Wärmebotschaften. Sie wissen nichts mehr von Gefahr, von Drohen, von Todesangst. Zwei Wesen in einem Rausch tiefster Sinnlichkeit und Lebensfreude vereint. Schwerelos und los von jedem Gestern und Morgen.

Ein Augenblick, der ohne Ende scheint.

10 Jan

Historischer Roman (Leseprobe – Blatt 102)

Pippa und Pippin beten zu Mamiwata

Ich will aber nicht“. Pippin steht vor Pippa und weigert sich mitzukommen.

Hör mal, du Träumer, wenn wir nicht die Unterstützung unserer Geister haben, wird dein Plan sicher scheitern.“

Streitend stehen sie im kalten Wintermorgen vor Pippins Verschlag. Der Himmel grau und tief, als wären sie schon in der Unterwelt. Hunde trotten achtlos an ihnen vorbei. Sie sind auf Nahrungssuche. Am Fluss Rauch von vielen Feuern, Fisch wird geräuchert oder gebraten. Der Geruch schmeichelt ihren Nasen, Pippa und Pippin frieren an Händen und Füßen. Ihre schmutzigen Kleider scheuern über die Haut und wärmen kaum.

Wenn wir nicht gleich los gehen, schaffen wir das heute nicht mehr. Also, kommst du mit oder nicht?“

Pippa ist es leid. Sie geht auch allein. Schließlich gehört sie mit zu den Tänzerinnen, die viermal im Jahr Mamiwata zu Ehren heimlich ein Fest feiern. Im ehemaligen Mithraskellerheiligtum. Pippin spürt es, er will keinen Streit mit den Geistern, also gibt er nach.

Glaub ja nicht, dass ich wegen dir mitkomme, Pippa. Mit geht es um die Unterstützung der alten Götter.“

Pippa lacht hämisch.

Ach ja, hast du dich nicht erst neulich taufen lassen, du Christ?“

Pippin tobt. Pippa versteht es einfach nicht. Er hat großes vor, da darf er nicht zimperlich sein.

Du weißt genau, warum ich getauft wurde. Ich hatte keine Möglichkeit, mich dem zu verweigern. Die Gunst des Bischofs wäre weg gewesen und ich hätte niemals den militärischen Segen für den Angriff auf die römische Villa bekommen, das weißt du doch. Also spiel dich hier nicht so auf.“

Pippa ist schon los gegangen, sie dreht sich nur kurz um und ruft ihm zu:

Ja, ja. Demnächst erzählst du mir noch, die alte Brunichild habe dich mit einem Zauber belegt, damit du ihr hilfst…“

Pippin zuckt zusammen. Brunichild? Wie kommt Pippa jetzt auf Brunichild?

Halt den Mund! Ich komme ja mit, aber nur um die Götter…“

Zu belügen! Wie vielen willst du denn noch opfern, bevor du los legst im Frühling zu deinem Kriegszug?“

Pippin rennt zu ihr hin, hält ihr von hinten den Mund zu und zischt in ihrem Rücken: „Bist du wahnsinnig? Wenn dich jemand hört. Mein Auftrag ist streng geheim. Der junge König hat mich zu absolutem Stillschweigen verpflichtet, selbst der Bischof darf es nicht wissen.“

Ja, ja. Hab ja verstanden. Deshalb musst du mir aber nicht gleich den Atem nehmen, du Wüstling!“

Pippin lässt von ihr ab. Aber er hat das Gefühl, jetzt wieder die Oberhand zu haben.

So laufen sie am Fluss entlang, lassen Lutetia hinter sich. Sie begegnen nur wenigen Menschen. Man geht sich aus dem Weg, schaut weg, wenn man sich trifft dieser Tage. Keiner traut mehr dem anderen. Ist es ein Spitzel des Königs oder des Bischofs oder Brunichilds oder der Mönche, die überall für den Bau ihrer Basilika zu Ehren des heiligen Dionysios betteln gehen? Pippa reicht Pippin ein Stück Brot, dass sie mitgenommen hatte.

Wir kommen gut voran. Hinter der nächsten Flussbiegung müsste bereits die Abzweigung kommen zum Hain und der Höhle.“

Pippin isst schweigend das harte Brot, schluckt, kaut und hustet vor sich hin. Er hat keine Lust etwas zu sagen. Pippa hat meistens den längeren Atem. Also lieber schweigen. Ich mache sowieso, was ich will, denkt er trotzig. Inzwischen sind sie an einem kleinen Bach entlang gestolpert, der nicht weit von hier in die Sequana mündet. Sie folgen einem Trampelpfad, der sie aus dem lichten Buchenwald zu einer Lichtung bringt.

Auf der anderen Seite, da vorne, da muss es sein“, flüstert Pippa. Pippin nickt. Er war hier noch nie. Natürlich hat er von seiner Mutter früher von den Schlangenbeschwörerin, von Mamiwata, gehört. Aber er hatte sie nie gefragt, was es damit auf sich hatte.

Später, als sie in der eiskalten Höhle stehen, wird ihm erst klar, dass Pippa sich hier auszukennen scheint. Ohne zu zögern geht sie voran, obwohl er kaum erkennen kann, wo sie gerade sind. Hinter einer Biegung kann er plötzlich einen schwachen Lichtschimmer wahrnehmen.

Da vorne ist der Tanzplatz mit der Opferplatte, direkt am schwarzen Wasser“, hört er Pippa flüstern. Wo kommt das Licht nur her, denkt er.

Pippin ist sprachlos. Unversehens hat ihn ein geheimnisvolles Gefühl übermannt. Eigenartiger Geruch steigt ihm in die Nase, glitzernde Wassertropfen fallen von der Höhlendecke ins schwarze Wasser. Die kleinen Wellenkreise schimmern, als wären es Lippen die geheime Botschaften lautlos weitergeben. Dickes Geäst hängt von oben herab, als wären es Schlangen. Und dann ist er völlig starr vor Staunen. Pippa beginnt zu tanzen, sie streckt ihre Arme weit nach oben, lässt sie langsam wieder herabgleiten, dreht sich dabei auf der Stelle und schwankt mit ihrem schlanken Körper hin und her, als wäre sie eine Schlangenbeschwörerin. Gleichzeitig erregt ihn das Bild über die Maßen. Sein Atem geht schnell, sein Glied schwillt an, seine Augen glotzen übergroß auf diesen Zaubertanz vor schwarzem Wasser. Jetzt zieht sie ihn zu sich, zieht ihn herunter auf die Knie. Er spürt nichts von dem nasskalten Stein, von der Härte, die ihm da entgegen kommt. Er glaubt in einem Traum zu sein, zu fliegen, zu tanzen, ja, sogar zu singen. Pippa umarmt ihn fest dabei. Zusammen schwanken sie nun hin und her, summend, mit geschlossenen Augen.

Mamiwata, Mamiwata, sei uns gewogen, wir sind deine Diener. Mamiwata“. Pippa spricht das Gebet leise vor, immer wieder, bis auch Pippin einstimmt. Niemals hätte er gedacht, dass so etwas mit ihm passieren könnte. Niemals. Seine Lippen formen nur noch betend ihren Namen: „Mamiwata, Mamiwata.“